Krenn nennt größten Fehler:
"Ich bin zu wenig radikal"

    

Im "Presse"-Interview erhebt St. Pöltens Diözesanbischof Kurt Krenn Einspruch gegen Pläne, 2003 einen Katholikentag zu veranstalten, geißelt Dummheiten in der Kirche und sieht in der Papst-Wahlordnung eine große Gefahr.

VON DIETMAR NEUWIRTH - "DIE PRESSE" 14.04.2001

In letzter Zeit ist es in der Kirche Österreichs ruhig geworden, auch Sie sorgen für weniger Aufregung. Haben Sie mit Ihren Kritikern Frieden gemacht, haben Sie weniger Lust am Disput oder wurde Ihnen aufgetragen, sich zurückzunehmen?

Bischof Kurt Krenn: Ich habe von niemandem einen Auftrag, den würde ich auch nicht akzeptieren. Ich bin ja ein freier Bürger, auch wenn ich eine kirchliche Aufgabe habe. Daß ich nicht mehr so im Schußfeld stehe, hängt von den Journalisten ab. Ich habe immer dasselbe gesagt. Es gibt die Gewöhnung, und ich werde heute von mehr Leuten verstanden als früher. Das ist ein gutes Zeichen einer geklärten Identität.

Sind auch Konflikte geklärt, oder wurde nicht manches unter den Teppich gekehrt?

Krenn: Es ist sicher noch manches ungeklärt, aber wir haben nie etwas unter den Teppich gekehrt. Nur, manche wollten etwas hören, wozu wir nicht in der Lage waren. Wir Bischöfe haben sicher in manchem verschiedene Optionen. Der Glaube ist uns allen gemeinsam. Ich würde mir gar nicht wünschen, daß jeder Bischof so redet wie ich. Es gibt heute eine bestimmte Form von besserem Verständnis, daß man versucht, mit mehr Mühe den anderen zu verstehen, obwohl man ihn manchmal doch nicht verstehen kann, und dann hält man manchmal den Mund und der andere auch. Das sind auch Arten von christlicher Zusammenarbeit.

Hat man gelernt, mit Gegensätzen umzugehen und eventuell als bereichernd, jedenfalls nicht zerstörerisch zu sehen?

Krenn: Es gibt eine Theorie, daß alles eine Bereicherung ist, das stimmt nicht. Es gibt viel Dummheit, viel Irrtum, aber das war zu allen Zeiten auch in der Kirche so. Ohne unbescheiden zu sein, können wir sagen: Wir ertragen einander ehrlich.

Was sind heute die größten Dummheiten in der Kirche?

Krenn: Die größten Irrtümer sind, daß Menschen vielleicht von Gott reden, ihn aber nicht mehr in die Wirklichkeit einbeziehen. Wer will Gebote halten, wenn er nicht an Gott glaubt?

Gilt dieses von Ihnen genannte Ertragen nur unter den Bischöfen oder auch im Verhältnis zu Gruppierungen wie die Plattform "Wir sind Kirche", die das Kirchenvolks-Begehren veranstaltet hat.

Krenn: Als Bischöfe brauchen wir keine sonderlichen Anweisungen zum Mitbrüder-Sein. So dumm sind wir auch nicht. Sicher haben wir Auseinandersetzungen, aber ich habe gehört, auch die Apostel haben so ihre Auseinandersetzungen gehabt. Wir fragen uns, was der Wille Gottes ist, was Christus sagt, wie wir es den Menschen weitersagen. Diese Bewegung "Wir sind Kirche", die steht nicht auf dem Boden des Glaubens, aber ich möchte sie dorthin bringen.

Was war der Salzburger Delegiertentag für Sie nachträglich betrachtet?

Krenn: Der Delegiertentag war in der Intention gut. Am Ende sind Dinge aufgetaucht, die gar nicht von uns gewollt waren. Auch aus Schlampereien heraus ist es etwas chaotisch zugegangen. Sünder bleiben wir. Ich habe gerne mitgetan. Daß 200, 300 Leute ein Konzil fabrizieren, das lehrt und nicht irrt, war zu viel. Aus dem, was herausgekommen ist, kann ich keine Hoffnung schöpfen. Ich kann auch diesen Ergebnissen nichts Gutes wünschen.

Es ist Ihnen angenehm, daß die Wirkung verpufft ist?

Krenn: Ja, der Kirche zuliebe ist es gut, daß nichts daraus geworden ist.

Sind alle Risse schon geheilt?
Krenn: Die Risse bestehen natürlich, sie werden nie ganz geheilt sein. Das war auch früher so. Da gibt es halt Eitle und Demütige, G'scheite und Dumme. Das heißt noch lange nicht, daß alles bedauert, beklagt werden soll. Mit vielen Rissen kommen wir ganz gut zurecht. Sie sind Ausdruck unserer Menschlichkeit, auch Sündigkeit. Sünder bleiben wir. Wir sollen doch nie so tun, als würden wir irgendeinen Tag erreichen, an dem wir alle Heilige sind.

Wie ist die Situation von Glaube und katholischer Kirche in Österreich heute?

Krenn: Es ist, ich möchte es vorsichtig umschreiben, nicht schlechter geworden seit einiger Zeit, was natürlich nicht allzuviel heißt, denn wir haben noch so viel aufzuholen. Wir fahren auf der Ebene der Talsohle, aber wir stürzen nicht mehr weiter ab.

Es gibt den Vorschlag aller Laienorganisationen, 2003 einen Christentag oder Katholikentag zu veranstalten ...

Krenn: So kann man es ja nicht machen, daß einem etwas einfällt und - verzeihen Sie diese materialistische Denkweise - dann erst fragt, wo bringen wir das Geld her. Wir können nicht mit über 70 Millionen Schilling, woher sie auch immer kommen mögen, so ein Ereignis finanzieren. Das ist schon ein Unmaß des Materiellen, was nicht gut ist. Wenn man so etwas macht, um wieder ein wenig den Riß zwischen den Gruppen zu vergrößern, dann hat es nichts gebracht. Das ist in einem solchen Unmaß bilanziert, das geht nicht. Wir haben das nicht, selbst wenn wir nur die Hälfte davon bezahlen sollen.

Sehen Sie überhaupt die Notwendigkeit für ein derartiges gesamtösterreichische s Treffen?

Krenn: So, wie das dargestellt wurde, ist es nicht notwendig. Es ist keine qualitative Verbesserung des Christlichen, sondern ein großes Fest, das sehr viel kostet.

Ist nicht ein Zitat aus Ihrem jüngsten Hirtenbrief ein klassische Beispiel dafür, wie schwer sich die Kirche heute tut, sich verständlich zu machen? Sie haben Verheiratete in einem Hinweis auf die Geheime Offenbarung, wo dieser Ausdruck anders als heute verstanden wird, zur Jungfräulichkeit aufgefordert.

Krenn: Ich habe mir gedacht, daß das ein bißchen lustig betrachtet wird. Da kommen ein paar und sagen, mein Gott, der Krenn weiß nicht, was Jungfräulichkeit ist. Ich wollte sagen: Dem Lamm zu folgen, wohin es auch geht. Man darf sich auch in einer Ehe nicht verlieren und die Ansprüche Gottes nicht mehr sehen. Ein Verheirateter kann nicht sagen, ich liebe meinen Gatten über alles und dann nichts mehr. Wir haben keine Ratlosigkeit, was wir den Menschen sagen sollen, was fehlt ist, daß wir von dem Guten und Wahren Zeugnis geben. Das ist das Defizit. Wir sind zu wenig bereit, Zeugnis zu geben. Wahrscheinlich sind wir selber noch nicht genug überzeugt von dem, was wir oft sagen.

Sie blicken jetzt schon auf viele Jahre als Bischof zurück. Was war Ihrer größter Fehler?

Krenn: Daß man zu wenig radikal ist.

Zu wenig radikal, was heißt das?

Krenn: Daß man zu wenig oft wirklich den Dingen auf den Grund geht. Über mich wird ja viel geschimpft, also muß ich annehmen, daß das eine oder andere begründet ist. Die Menschen sind leider Gottes oft so wenig mitteilsam, daß sie einem die Fehler nicht sagen.

Wieso zu wenig radikal? Gerade Sie treten doch besonders prononciert auf.

Krenn: Es gibt manches, wo ich mich zu schnell zufrieden gebe. Ich denke oft noch viel zu wenig über das Zukünftige nach, an Leute, die es erst geben wird, wenn ich schon in der Gruft von St. Pölten verfaule. An die muß man auch denken. Da hat unsere Zeit an Weitsicht verloren. Konflikte sind notwendig. Ich möchte Konflikte nicht provozieren. Das haben dann die Leute von der Medienseite gemacht. Medienleute geben sich immer so beleidigt, reden gleich von Medienschelte. Ja, warum darf man denn nicht auch über Euch schimpfen, Ihr tut es ja auch ohne Hemmungen manchmal. Da wird das Leben dann ein bißchen menschlicher und lustiger auch oft, wenn man nicht mit solcher Leichenbittermiene herumläuft und überall Unrecht und Beleidigung wittert.

Geradezu Unerhörtes ist im Vatikan rund um das Ökumene-Schreiben Dominus Iesus geschehen. Der neue Kardinal Kasper hat offen Kardinal Ratzinger kritisiert.

Krenn: Das gehört sich nicht. Ich möchte auch sagen, in der Erklärung zum Rechtfertigungsdekret da war manches nicht unbedingt eine Häresie, aber theologische Flickschusterei.

Interessant, das von einem Mann zu hören, der immer auf Rom und römische Dokument hinweist.

Krenn: Das war eben leider nicht ganz ein römisches Dokument. Ratzinger mußte ja eingreifen. So macht man es nicht. Wenn Kasper Ratzinger kritisiert, muß er zuerst sich selber an der Nase nehmen.

Wie erklären Sie sich die Kardinals-Ernennung des Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz Lehmann?

Krenn: Was der Papst entscheidet, da bin ich wieder ganz römisch, das ist auch für mich gut.

Experten haben keine Erklärung für Lehmanns Ernennung ...

Krenn: Ich auch nicht. Ich hab' das auch dem Papst gesagt. Was der Papst macht, das ist für mich einfach irgendwie der Wille Gottes. Der liebe Gott weiß schon, warum er Lehmann als Kardinal will. Auch wenn jemand zum Bischof ernannt wird, und ich meine, der ist nicht das Gelbe vom Ei - sobald er ernannt ist und geweiht, ist er Mitbruder wie jeder andere, und dem will ich auch helfen.

Der Papst hat eine Kurienreform angekündigt. Kardinal Ratzinger hat jüngst angedeutet, daß der Zentralismus zurückgedrängt werden soll und die Ortskirchen mehr Gewicht erhalten sollen. Ist das eine richtige Richtung?

Krenn: Ich wäre oft froh, wenn mir Rom in manchem mehr helfen würde. Was mich sehr besorgt macht ist die Papst-Wahlordnung, die nicht ganz dem Ideal der Kirche entspricht. Wenn sich keine Zwei-Drittel-Mehrheit ergibt, entscheidet ab dem 30. Wahlgang die einfache Mehrheit, und das erscheint mir sehr gefährlich. Bisher hat man auch einen Kompromiß-Papst gehabt. Bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit muß man sich bald auf Kompromiß-Suche begeben, und das ist jedenfalls besser, als mit einer kleinen Mehrheit etwas durchzubringen.

Das sollte zurückgenommen werden.

Krenn: Sicher, das wäre gut.