Predigt von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner

beim Requiem von Hans Hermann Kardinal Groër

in Maria Roggendorf am 5. April 2003

 

 

Liebe Brüder, liebe Schwestern!

 

Der Weg von Kardinal Hans Hermann Groër über die Straßen dieser Welt hat sich vollendet im Heimgang zu Gott, unserem Vater. Wie ein müder Pilger durfte Kardinal Groër nach fast 84-jähriger Pilgerschaft heimkehren in das Vaterhaus Gottes. Wenn ein Mensch geboren wird, weint er viele Tränen, aber die Mitmenschen, die Eltern und Verwandten freuen sich, dass ein neuer Mensch das Licht der Welt erblickt hat. Am Ende des Lebens, wenn der Mensch heimgehen darf, sollte es genau umgekehrt sein. Dann sollte der, der aufbricht, um zum Vater zu gehen, sich freuen dürfen. Seine Mitmenschen aber sollten traurig sein und Tränen vergießen, weil ein treuer Mensch aus ihrer Mitte gegangen ist. Bei Maria war es so. Wer einmal vor dem großartigen Marienaltar des Veith Stoß in der Marienkirche in Krakau stand, wird das österliche Lächeln auf dem Antlitz Mariens, die sterbend in die Arme der weinenden Apostel zurück sinkt, nicht vergessen können.

 

So geht es vielen von uns mit dem heimgegangenen Mitbruder und Kardinal Hans Hermann Groër. Sein letztes Lebensjahrzehnt stand unter der dunklen Wolke, unter der viele mit ihm gelitten haben. Kardinal Groër war es beschieden, wie Simon von Cyrene dem Herrn auf dem Kreuzweg zu folgen. Er war ganz eingetaucht in das bittere Leiden Jesu, das ihn aber vor der Verbitterung schützte. Er wusste sich auf diesem Kreuzweg ganz verbunden mit Maria, der Mutter Jesu, die ebenfalls vom Schwert des Schmerzes durchbohrt war. Gerade dadurch ist er vielen Menschen unterm Kreuz zu einem kompetenten Leidensgenossen geworden.

 

Wie viele Menschen aus Nah und Fern kamen zu ihm, um Wegweisung für ihr Leben zu erbitten. Gerade die Mühseligen und Beladenen, die Verachteten und die Gekreuzigten fanden in ihm einen Priester und Bischof, einen Christen und Bruder, der ganz auf ihrer Seite stand und ihnen in geistlicher Autorität Wegweisung schenken durfte. Ob Kardinal Groër nicht gerade deshalb zu einem gesuchten Beichtvater in Österreich geworden ist, und zwar bis kurz vor seinem Heimgang? War das nicht auch ein Zeugnis der Gläubigen mit den Füßen und dem Herzen für den Priester und Bischof Hans Hermann Groër? "Selig, die Toten, die im Herrn sterben...; denn ihre Werke begleiten sie" (Offb 14,13), sagt die Schrift.

 

Wir müssen am Sarge von Kardinal Groër in Maria Roggendorf gar nicht viele Worte machen. Die Tatsachen sprechen für sich. Die Wallfahrtsbasilika in ihrer Schönheit, das Priorat der Benediktiner hier vor Ort, in der Nachbarschaft die Zisterzienserinnen-Abtei Marienfeld: All das gäbe es nicht ohne Kardinal Hans Hermann Groër. Es sind Orte geworden, die den Himmel auf Erden ein wenig erfahrbarer machen und die Erde ein gutes Stück bewohnbarer werden lassen. Von der Monatswallfahrt von Maria Roggendorf ging eine Wallfahrtsbewegung nach ganz Europa und darüber hinaus aus, sodass sich an 600 Orten gläubige Menschen Monat für Monat versammeln, um sich von Maria zu Christus weisen zu lassen, gemäß ihrem Rat: "Was er euch sagt, das tut!" (Joh 2,5).

 

An seinem Sarg haben wir wirklich mehr Grund zum Danken als zum Klagen. Kardinal Groër war nicht der Mensch mit einer robusten Natur oder einer dicken Haut, sondern er war sehr leicht verwundbar und verletzbar. Darum haben ihn die Geschehnisse in seiner letzten Zeit als Erzbischof von Wien tief verwundet, ja stigmatisiert. Seit jenen Tagen ging er als Gezeichneter, als Verwundeter, ja als Stigmatisierter seinen Lebensweg weiter. Und wenn Petrus in seinem ersten Brief schreibt: "Durch seine Wunden sind wir geheilt" (1 Petr 2,24), dann ist vielleicht Kardinal Groër gerade als Verwundeter zu einem so gesuchten Seelsorger, Beichtvater und Lebensbegleiter geworden. Mir sagte ein Mann, der durch die Begegnung mit Kardinal Groër den Sinn seines Lebens wiederentdeckt hat: "Ich ging immer besser von ihm weg, als ich zu ihm hingegangen bin."

 

In den Tagen, als die dunkle Wolke über seinem Leben aufzog und er in Verlassenheit und Verachtung zurück sank, kamen die Salesianerinnen vom Rennweg in Wien und brachten ihm als Zeichen ihres ungebrochenen Vertrauens den Bischofsring des heiligen Franz von Sales. Ich weiß, wie sehr ihn dieses Zeichen der Sympathia, der Compassion, des Mitleidens gestärkt, getröstet und bewegt hat. Monate später überreichte er mir den Ring des heiligen Bischofs Franz von Sales als Dank für mein Weggeleit unter der dunklen Wolke. Ich war tief beschämt und betroffen darüber, weil ich gar nicht den Eindruck hatte, ihn intensiv genug begleitet zu haben.

 

Heute bringe ich diesen Ring dem verstorbenen Kardinal zurück, als Dank für seine Treue unter dem Kreuz des Herrn. Dieser Ring soll von nun an unserer lieben Frau von Maria Roggendorf gehören. Es ist der Ring des heiligen Bischofs Franz von Sales und des heimgegangenen Kardinals Hans Hermann Groër. Wie Maria wurde auch sein Herz durch das Schwert des Leidens durchbohrt. Wie Maria erhoffen wir und erbitten wir für ihn die Freude endgültiger Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem gestorbenen Auferstandenen. Nicht die Krone, sondern der Ring der Treue soll dafür das Zeichen sein.   Amen.

 

 

+ Joachim Kardinal Meisner

   Erzbischof von Köln