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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

Die Gottesfrage einer ametaphysischen Epoche
von Kurt Krenn

 Ein Artikel aus dem Buch

WESEN UND WEISEN DER RELIGION
von CHARLOTTE HÖRGL, KURT KRENN und FRITZ RAUH
S. 248-266

1. Auflage 1969
© by Max Hueber Verlag, München
 

Der Verfasser dieses vor fast 30 Jahren publizierten Beitrags über den "Dialog" ist jetzt Diözesanbischof von St. Pölten. Die damaligen Gedanken sind auch heute noch aktuell und können helfen, grundsätzliche Dimensionen des Dialogs über Gott angesichts des derzeit in der Katholischen Kirche Österrreichs durchgeführten "Dialogs für Österreich" in den Blick zu bekommen.
 


In der scholastischen Philosophie und in der katholischen Theologie war es bislang eine selbstverständliche begriffliche Ausübung, den Atheismus als eine weltliche Gegebenheit sehr genau zu besehen und in seiner Unterschiedlichkeit zu bewerten: So konnte man schließlich in Erfahrung bringen, daß selbst die übergroße Zahl derer, die die Anerkennung eines Gottes nicht leisten wollen, dennoch einen Gott zu ihrer lebendigen Mitte hat. Für diese Menschen blieb der Weg offen, den in ihrer Unwissenheit und Irrigkeit verborgenen - aber dennoch irgendwie anwesenden - Gott zu seinem begrifflichen Recht im Denken und Glauben kommen zu lassen. Daher war der Dialog, der bislang mit Menschen atheistischer Überzeugung geführt wurde und sich als solcher zu rechtfertigen suchte, grundsätzlich nur als ein Weg der Bekehrung zum Gottesglauben denkbar. Freilich gehört es heute vielfach zum taktischen Repertoire katholischer Bereitschaft zum »Dialog«, dieses grundsätzliche Ziel einer Bekehrung als einen Mißgriff totalitärer und vergangener Stadien der Theologie zu bewerten. Doch sei gegen eine solche Ansicht die Frage gestattet, ob das Ziel der Bekehrung zum Gottesglauben nicht zumindest eine ebenso respektvolle und lebendige Solidarität mit den nichtglaubenden Menschen zur Grundlage hatte wie der heutige »Dialog« unter der Perspektive des bloßen »humanum«.

Denn schließlich gründet die erstrebte Bekehrung eines Nichtglaubenden auf der Überzeugung, daß Gott auf dem Boden selbst irriger Vorstellungen und Meinungen zu seinem begrifflichen Recht in Wahrheit und Glauben kommen kann. Und Toleranz und menschliche Solidarität ist nur darin wahrhaftig, worin man dem anderen die gleiche Werthaftigkeit wie sich selbst zuerkennt. Jede Solidarität, die dem anderen eine größere Werthaftigkeit zuerkennt als jene, die man seine eigene nennt, übersteigt das Können menschlicher Verantwortung, wird zur Heuchelei und zum Herd neuer zwischenmenschlicher Konflikte. So haben Toleranz und Solidarität sich weder an einem abstrakten »humanum« noch an einer werthaften Überordnung des anderen zu bewähren, sondern darin, daß der Christ dort, wo er von seiner tiefsten und eigensten Werthaftigkeit überzeugt ist, dem anderen die Solidarität absoluter Wertgleichheit zuerkennen will. War es also nicht doch konsequenter, die Solidarität der Wertgleichheit mit dem Nichtglaubenden als »glaubender Mensch« denn als »Mensch« zu suchen? Ist der Glaubenseifer früherer Jahrhunderte, der zur Bekehrung des Nichtglaubenden drängte, nicht vielleicht doch eine erstrebte Solidarität in der Wertgleichheit des Gläubigseins?

Aus dieser Möglichkeit drängt sich heutzutage die Frage auf, ob denn ein Gespräch unter Glaubenden und Nichtglaubenden zu Recht von der Solidarität der Wertgleichheit abzusehen imstande ist. Kann man sich über die Gottesfrage verständigen, wenn man mit dem anderen nicht in die Solidarität des Wertes der eigenen Überzeugung eintreten will, sondern eine »Gleichheit« zur Gesprächsgrundlage erhebt, die sich weder am Wert des einen noch an dem des anderen bemißt? So bleibt am Ende solcher Fragen zu bedenken, ob ein Gespräch zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden über Gott möglich ist; ein Gespräch, das nicht unter dem Postulat der wertgleichen Solidarität steht, sondern eine Toleranz wertunbezogener Dimension zur Grundlage hat. Freilich muß festgehalten werden, daß die Frage nach der Möglichkeit eines solchen Gesprächs sich nur daran entscheidet, ob über Gott selbst gesprochen werden kann, nicht jedoch am informativen Austausch beiderseits anerkannter menschlicher sozialer Gegebenheiten.

Die Wahrheit in zweierlei Dialog

Gott wird heute zweifellos in ein wertungebundenes, wertoffenes Gespräch mit Atheisten gebracht, das wohl eher ein Verständnis für den Gottesglauben denn die Bekehrung des Nichtglaubenden sucht. Über Gott mit Nichtglaubenden zu reden, bedeutet für den Glaubenden eine totale Übernahme Gottes in den Bereich seiner persönlichen Entscheidung. Gott existiert für den entschiedenen Nichtglaubenden einfach nicht, der gesprächsbereite Glaubende gibt Gott somit vollends die Gestalt und die Existenz seiner eigenen menschlichen Entscheidung. So wird im Gespräch zwischen Christen und Atheisten über Gott vom Christen sowohl die loyale Haltung eines Gesprächspartners als auch die völlige Bedingung der Sachlichkeit des Gesprächsobjektes (Gott) gefordert werden. Darf man erwarten, daß sich Wahrheit ereignet, wenn der loyale und verantwortlich sachliche und der andere loyale und atheistische Gesprächspartner ein Gespräch über Gott eröffnen? Kann darin jene Wahrheit sich ereignen, die ihr Werden diesem Gespräch verdankt und Wahrheit ist, weil sie für beide Sprechenden Geltung hat? Oder ist das Gespräch über Gott der abstrakte Austausch bloßer Solidaritätserklärungen auf dem Boden der Humanität, ist dieses Gespräch über Gott ein »Gespräch ohne Wahrheit«?

Es ist durchaus zutreffend, die heutigen Gespräche solcher Art als »Gespräch ohne Wahrheit« vorerst zu qualifizieren, ohne damit jedoch den Irrtum oder die Unwahrhaftigkeit ins Spiel zu bringen. Die Qualifikation des radikalen Dialogs als eines »Gesprächs ohne Wahrheit« bringt jedoch auch eine andere Kehrseite ans Licht: Selbst wenn der Dialog als Gespräch ohne die bereits in die Werthaltung des Gesprächspartners einbezogene Wahrheit geführt wird, befindet sich der Dialog in einem vorgegebenen Establishment bezüglich der Wahrheit. Man könnte dies das gnostische Establishment des Dialogs nennen; denn schließlich wird der radikale Dialog mit der Erwartung geführt, daß sich in ihm die Wahrheit ereignet. Und, streng genommen, geht es nicht nur um das Ereignis der Wahrheit, sondern um deren Konstitution. Wollen wir Ereignis und Konstitution der Wahrheit im Kontext des Dialogs unterscheiden, kann dies so erfolgen: »Ereignet« sich die Wahrheit, bedeutet dies, daß eine in dem einen Gesprächspartner bereits werthaft angelegte Wahrheit auf eine kommunikative und soziale Basis gestellt wird; das heißt nicht einfach, daß der eine den anderen überzeugt oder bekehrt hat; vielmehr ist es so, daß die werthaft subjektgebundene Wahrheit zu jener Wesensanlage vorstößt, daß sie allgemeingültig und erkennbar ist, wenn das beiderseitige Gespräch die Anerkennung einer Wahrheit ergibt. »Ereignis der Wahrheit - im Dialog bedeute also dies: Eine Wahrheit, werthaft in einem oder in beiden Gesprächspartnern angelegt oder auch beiden mit Anspruch auf Anerkennung übergeordnet, vollzieht im Gespräch ihre Identität dadurch, daß ihre Anlage zu Allgemeingültigkeit vollzogen wird. In jedem Fall jedoch ist der Beitrag des Dialogs ein komplementärer, der eine Dimension an der Wahrheit ist; so ist schließlich auch die Umkehrung der Aussage »die Wahrheit ereignet sich im Dialog« zumindest gleich zutreffend, denn der »Dialog ereignet sich an der Wahrheit«.

Es scheint jedoch, daß der Dialog bezüglich der Wahrheit auch noch anders angelegt werden könnte als sich an der Wahrheit zu ereignen. »Sich an der Wahrheit ereignen« bedeutet für den Dialog, daß er der Ort der Bewährung zur Allgemeingültigkeit für die Wahrheit ist. Nun ist es jedoch denkbar, daß der Dialog aller vorgängigen Entscheidung zu einer Wahrheit ledig betrieben werden könnte. Dies heißt, daß der Dialog als ein rein funktionales Gespräch eröffnet werden muß. »Funktional« bedeutet, daß die Bewegung, in welcher sich der Dialog eröffnen soll, eine Bewegung sein muß, die von einer metaphysischen Sachbestimmtheit präjudiziert sein darf; die reine Bewegung, die durch kein Bewegtes vorerst bestimmt ist. Die reine Bewegung des funktionalen Gesprächs ist es, die heute vielfach als loyale Gegenleistung des glaubenden Christen zum Dialog mit den Nichtglaubenden angeboten wird. Man betrachtet den Ort des funktionalen Gesprächs als eine Ebene, die vor jeder metaphysischen oder religiösen Entscheidung des Gesprächspartners liegt und eine humane Koexistenz selbst zwischen Theisten und Atheisten ermöglichen soll.

Es soll hier nicht die Frage beantwortet werden, ob ein solches funktionales Gespräch in der Tat überhaupt möglich ist. Schließlich kann immer noch geltend gemacht werden, daß das funktionale Gespräch zumindest eine vorerst denkbare Möglichkeit sei, die durchzudenken eine lohnenswerte Gedankenanstrengung sein müßte.

Bevor wir es mit dem Gottesproblem in der funktionalen, »ametaphysischen« Ebene eines solchen Dialogs versuchen, muß folgende Präambel zur Kenntnis gebracht werden: Im funktionalen Gespräch ereignet sich keine Wahrheit. Wie ist dies zu verstehen? Dies soll nicht heißen, daß keine der im funktionalen Dialog getroffenen Aussagen etwas mit Wahrheit zu tun hätte. Die reine Bewegung des funktionalen Dialogs bedingt, daß eine Aussage erst dann in die Bewegung eines solchen Dialogs gerät, wenn sie - ähnlich wie eine geometrische Gerade - durch zwei Punkte festgelegt ist; das heißt, daß eine Aussage sich erst dann in der Bewegung (= »Wahrheit«) des Dialogs hält, wenn sie von beiden Gesprächspartnern akzeptiert wird. Damit ist ersichtlich, daß die Wahrheit im funktionalen Dialog niemals in ihrem Wesen etwas wie ein Anspruch sein kann, der sich von einem zum anderen Partner gerichtet bewegt. Die Wahrheit des funktionalen Dialogs ist die Feststellung gemeinsamer, beiderseitiger Interessen. Die Wahrheit als Anspruch hingegen bleibt in solchem Dialog ein Standpunkt, der niemals in Bewegung gerät, weil die Festlegung durch das beiderseitige Interesse fehlt und sie so eine »ungerichtete« Bewegung bleibt. So gibt es zwei Gestalten denkerischen Übereinkommens: die Wahrheit als Ereignis und die Wahrheit als gerichtete Bewegung oder besser als Richtigkeit.

Vor allem muß festgehalten werden, daß dem funktionalen Dialog jedwede Art von Transzendenz völlig fremd bleiben muß. Definiert man für gewöhnlich die Wahrheit als »adaequatio intellectus et rei«, muß die Richtigkeit des funktionalen Dialogs als »aequatio intelligentium de re« bezeichnet werden. Wenn wir die Wahrheit (Richtigkeit) vorhin eine Feststellung beiderseitiger Interessen genannt haben, so muß »Interesse« im weitesten Sinn des Wortes verstanden werden. »Interesse« meint die faktische Zuständlichkeit des Gesprächspartners, soweit diese erkannt und mit dem anderen in Beziehung gebracht wird. Nur dann, wenn sich die Fragen und ihre Zwecke von beiden Partnern treffen, wird die reine Bewegung des funktionalen Dialogs zu einer Aussage gerichteter Bewegung (in Richtigkeit). Eine Transzendenz ist nun deswegen nicht möglich, weil die Gerichtetheit der gewonnenen Erkenntnisse und Aussagen des funktionalen Dialogs nur im Ausgleich der jeweiligen Zuständlichkeit beider Partner zustande kommt; und selbst die größte Summe solcher gemeinsamer Standortbestimmungen (auch in deren bester geordneter Gesamtheit) vermöchte nicht eine einzige Aussage transzendenten Anspruches zu erbringen. Denn eine Wahrheit, die im denkerischen Ausgleich zweier Standpunkte - wie dies im funktionalen Dialog der Fall ist - angelegt ist, hat jedes Charisma der Transzendenz veräußert. Der transzendent angelegten Wahrheit hingegen ist es wesentlich, Anspruch zu sein; und diese strukturelle Anlage der Wahrheit ist es, die im nichtfunktionalen Dialog ihr Ereignis findet, indem ihr Anspruch in Allgemeingültigkeit bewährt wird. Damit sei die ametaphysische, reine Bewegung des funktionalen Dialogs als frei von jeder Transzendenz indiziert; Transzendenz scheint nur dort möglich zu sein, wo die Wahrheit in ihrem Richten (in ihrem Anspruch) bereits konstituiert ist und dazu nicht eines Gerichtetwerdens in der Entzweiung des funktionalen Dialogs bedarf.

Die Gnosis des Dialogs

An dieser Stelle möchte noch einmal bedacht werden, daß hier nicht eine Wertung, sondern eine strukturelle Unterscheidung der Anlagen des Dialogs vorgenommen werden soll, so daß auch Wahrheit als Ereignis und Wahrheit als Richtigkeit in keinem werthierarchischen Verhältnis festgelegt werden. Wenn man heute feststellen muß, daß der Raum theologischen Denkens vielfach mit der Form des Dialogs ausschließlich identifiziert wird, drängt sich die Sorge um den Bestand der Gottesfrage auf; dies um so mehr, wenn etwa mit Berufung auf einen humanen Humanismus der loyale, weil radikale, Dialog zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, Theisten und Atheisten zustande kommen soll.

Es dürfte wohl zutreffend sein, in gewissen Manifestationen heutiger Theologie von einer »Gnosis« des Dialogs zu reden. Wird der funktionale Dialog zur einzigen produktiven Grundlage theologischer Erkenntnisse und Haltungen erhoben, bedeutet dies ein Verfahren von gnostischer Exklusivität, da der Anspruch des funktionalen Dialogs schließlich dahin zielt, jedweden Erkenntnisinhalt von theologischer Relevanz bewältigen und über diesen denkerisch verfügen zu können. Da die Wahrheit im funktionalen Dialog grundsätzlich gerichtet ist, d. h. niemals an sich und allein, sondern immer nur im Dialogfeld zweier Partner Gültigkeit hat, könnten wir eigentlich von der Kreativität verbindlicher theologischer Inhalte von seiten des funktionalen Dialogs sprechen. Diese Situation müßte sich zumindest dort ergeben, wo Theisten und Atheisten bezüglich der Gottesfrage sich zu einem solchen Dialog entschließen; dort ist jeder gemeinsam formulierte Standpunkt - auch wenn er etwa nur die gemeinsame Frage nach Gott besagt - bereits ein kreativer Entschluß der Dialogpartner.

Damit stellt sich nun folgende Frage: Unabhängig von einer vorgängig entschiedenen Position des Dialogpartners soll bedacht werden, ob die reine Bewegung des funktionalen Dialogs dessen Inhalt grundsätzlich adäquat sein kann; ist jeder Inhalt in einer kreativen Bewegung des Dialogs erstellbar oder ist der Dialog dem Inhalt gegenüber nur ein zufälliger, nicht aber allgemein ermöglichender Horizont? Auf die Gottesfrage bezogen heißt dies: Wie weit kann sich die Gottesfrage in einem solchen Dialog zu einer Sachlichkeit und Inhaltlichkeit verdichten, ohne dabei Anspruch zu sein? Wie weit kann der funktionale Dialog zwischen Theisten und Atheisten die gerichtete Wahrheit des Gottesproblems verantworten; läßt sich »Gott« im Dialog inhaltlich adäquat erfassen, und ist die gemeinsam verantwortete Wahrheit der Gottesfrage eine Gestalt der Wahrheit, die zur Wahrheit des Daseins Gottes selbst in irgendeinem realen Verhältnis steht? Mit anderen Worten: Steht die »gerichtete Wahrheit« überhaupt in einem irgendwie bestimmbaren oder bestimmten Verhältnis zur »Wahrheit als Anspruch«? Hat der »gerichtete Gott« irgend etwas mit dem »lebendigen Gott« zu tun?

Gott in den Maßen menschlichen Denkens?

Fast möchte es scheinen, als kehrte in unserer Epoche formelhaft die Streitfrage des »ontologischen Gottesbeweises« wieder. Das Faszinierende und Abschreckende dieses Gottesbeweises liegt in der Erfahrung, daß Gott selbst in die Bewegung des Denkens geraten zu sein scheint, d. h. Gott selbst scheint auf einmal die Maße menschlichen Denkens zu tragen. So erwacht im Durchdenken dieses Gottesbeweises immer wieder der menschliche und religiöse Verdacht, daß Gott doch eigentlich mehr und etwas anderes sein müßte als die zum Inhalt gekommene Gestalt menschlicher Denkbewegung. Gott scheint in seinem Dasein im Licht des sogenannten ontologischen Gottesbeweises nunmehr die Länge, Breite, Höhe und Tiefe menschlichen Denkens zu haben; dennoch beweist das jahrhundertealte Unbehagen und Mißtrauen gegenüber diesem denkerischen Kunstgriff, daß das Dasein Gottes als »gerichtete Wahrheit«, als Gestalt, der die Denkbewegung adäquat zu sein scheint, ohne den Ernst der »Wahrheit als Anspruch« bleibt. So sehr vielleicht heute das säkularisierte Denken fordern mag, Gott als eine totalitäre Gestalt seiner eigenen (d. h. des Denkens) Bewegung zu deklarieren, verhält sich dennoch das menschliche Denken im Augenblick der Erfüllung eines solchen Wunsches - und dies erfüllt sich doch im ontologischen Gottesbeweis - höchst merkwürdig: Wie man auch immer den logischen und ontologischen Hergang beurteilen mag, ob man den denkerischen Kunstgriff dieses Gottesbeweises eines Fehlers zeihen mag oder nicht, im Endresultat dieses Beweises stehen Gott und das ausgreifende Denken in einer unmittelbaren Entsprechung. Und es ist gerade diese Unmittelbarkeit, die den Zweifel am Gelingen des Gottesbeweises aufkommen läßt. Denn, wo Denken und Gedachtes (in diesem Fall Gott) trotz ihrer Verschiedenheit einander unmittelbar zu entsprechen scheinen, regt sich das Bedürfnis menschlichen Denkens nach der Vermittlung. Es scheint eine fundamentale Besinnlichkeit des Denkens zu sein, sich selbst in seiner Unmittelbarkeit zu mißtrauen; in jedem Fall der Selbstbesinnung sucht das Denken vom ontologischen Gottesbeweis zurück zu einer Vermittlung, ob dies nun in der Rückkehr auf den klassischen Gottesbeweis auf dem Boden der Kausalität oder im Rückgriff auf eine ametaphysische oder arationale Glaubensentscheidung geschieht.

Das Denken selbst ist es, das sich immer wieder von der schalen Identität von Denken und Gedachtem - wie dies im ontologischen Gottesbeweis in einer Radikalisierung demonstriert wird - abwendet. Es ist dies die schale Identität, die die vordergründige Glaubwürdigkeit für eine rationalistische Aufklärung, eine humanistische Schwärmerei und eine säkularisierte Religiosität in deren obersten Maximen liefert.

Wir können überdies behaupten, daß diese Unmittelbarkeit, diese Identität der Maßstäbe des Denken und des Gedachten, das Paradigma einer jeglichen Gnosis darstellt. Denn die Gnosis erstrebt letztlich nichts anderes, als die Identität von Denken und Gedachtem (oder Denkbarem) als absolut gegenwärtig zu setzen. In diesem Sinn erlebt die Gnosis des ontologischen Gottesbeweises in der Aufklärung und in der heutigen denkerischen Säkularisierung nichts anderes als eine weitere konkrete paradigmatische Neuauflage.

Solchem Denken ist es eigen, die Identität von Denken und Gedachtem in einer gewissen Abstraktion von jedem Inhalt zu konzipieren; so läßt sich in diese gnostische Grundstimmung jedwedes denkerische Programm einbringen und mit Emphase als verständig ausweisen. Denn ein solches Denken lebt von jenem paradigmatischen Optimismus, der die Übereinkunft von Denken und Gedachtem sich ohne jede inhaltliche oder geschichtliche Vermittlung vorstellt. In dieser gnostischen Identität wähnt man sich über jedes Gezänk metaphysischer und theologischer Positionen erhaben, denn das gnostische Paradigma scheint für jeden begehbar, der sich in der reinen Denkbewegung zur Darstellung seiner Gedanken entschließt; denn jedes denkerische Programm läßt sich bis zu seinen obersten Maximen am gnostischen Paradigma durchführen, ohne daß eine inhaltliche oder geschichtliche Vermittlung das systematische Werden eines solchen Programmes präjudizierte; man muß eben nur die gnostische Illusion teilen, daß Denken und Gedachtes im Gleichmaß (= »Identität«) ihrer Bewegung bereits eine Absolutheit finden, die zwar ausschließlich formal ist, nichtsdestoweniger aber begründend sich verhält. So berechtigt sich durchaus die Benennung dieser gnostischen Identität als einer »aufgeklärten« oder »säkularisierten« Identität; man meint in dieser einen Raum gefunden zu haben, der jede metaphysische Position in die Selbstaufgabe zugunsten einer agnostizistischen Gleichheit aller Positionen zwingt; und die Aktuation sämtlicher Positionen im Horizont und Schrittmaß der aufgeklärten Identität ergibt den Anschein unvoreingenommener Gleichheit und loyaler Freizügigkeit jeder denkerischen Position.

Wollen wir diese Fragestellung auf den Ausgangspunkt unserer Überlegungen, auf den Dialog, zurückwenden, scheint der funktionale Dialog nunmehr seinen Lebensraum gefunden zu haben. Allerdings hängt somit auch das Gelingen des Dialogs von der Voraussetzung ab, daß Denken und Gedachtes in ihrer größten Weite und Radikalität sich in der Unmittelbarkeit einer Identität entsprechen, die ohne Vermittlung bleibt.

Das Denken in Unmittelbarkeit und Vermittlung

Wie jedoch ist es möglich, daß Formales und Gegenständliches, Denken und Gedachtes, in der gnostischen Identität der Aufklärung, des Humanismus, der Säkularisierung zu jener absoluten Entsprechung kommen, die nun einmal eine solche Identität verlangt? Schließlich beruht jede konkrete Aktuation dieser Identität auf der Überzeugung, daß Denken und Gedachtes in ihrer ganzen Weite einander gleichlaufend entsprechen, ohne daß es dem denkenden Geist gegeben wäre, von einem unabhängigen Beobachterstandpunkt diese identitäre Entsprechung zu verifizieren. Da jedoch die Maxime dieser Identität (Denken = Gedachtes) in Unmittelbarkeit grundgelegt ist, wäre jeder Schritt menschlicher Denkanstrengang bereits unvermittelt (d.h. zumindest wertfrei) in dieser Identität angelegt. (Dabei kommt der Verdacht auf, daß die Unmittelbarkeit und Wertfreiheit dieser Identität eine enttäuschende Abstraktion ist, an der jeder Denkschritt seine letzte Unbedingtheit verliert jener apriorischen Illusion zuliebe, sich über jede metaphysische Verbindlichkeit erhoben zu haben.)

Von dieser Unmittelbarkeit des Denkens und des Gedachten zueinander also ist nicht nur die Maxime der Identität (Denken = Gedachtes) betroffen; auch jeder einzelne, am partikulären Gegenstand erstellte Denkschritt ist bereits von der Unmittelbarkeit der Maxime gestaltet, zumal wohl jede Vermittlung solcher Denkschritte in inhaltlicher oder geschichtlicher Abhängigkeit die Unmittelbarkeit und Gültigkeit der Maxime selbst in Frage stellen würde. So bringt die Maxime aufgeklärter Identität aus eigenem Selbstverständnis nicht einmal die Forderung vor, die einzelnen Denkaussagen innerhalb einer und derselben metaphysischen Position in systematischer Kohärenz zu sehen und zu verstehen. Wenngleich die Unmittelbarkeit solcher Identität gegenüber jedem Denkschritt den großmütigen Schein eines unbegrenzten ideologischen Pluralismus liefert, bleibt für das kritische menschliche Denken die unmittelbare Entsprechung von Denken und Gedachtem immer noch eine bloße Behauptung, die durch keine denkerische Vermittlung in ihrer Geltung erhärtet wurde.

Die Frage bleibt bestehen: Wie verifiziert sich die Unmittelbarkeit der Identität von Denken und Gedachtem? Oder dieselbe Frage anders formuliert: Wie ist es möglich, daß die Vielzahl menschlicher Denkschritte und ideologischer Positionen immer jeweils unter der Maxime Denken = Gedachtes steht und dennoch keine jener vielen Positionen das Recht abzuleiten vermag, von ihrer jeweiligen Inhaltlichkeit und konkreten Geschichtlichkeit aus gegenüber anderen Positionen und gegenüber der Maxime selbst Vermittlung zu sein? Wer oder was verifiziert die Maxime jener Identität und ihre vielfach partikulären und konkreten Aktuationen, die unvermittelte und nicht-vermittelnde Momente einer und der selben Maxime sind? Dazu genügt nicht die bloße Behauptung, daß jeder Anspruch einer Vermittlung sein Recht verloren habe, weil die gnostische Identität das notwendige Paradigma für moderne Haltungen wie Toleranz, Agnostizismus, Gleichberechtigung, Freiheit und ideologische Indifferenz sei. Auch die soziale Bewährung eines solchen Paradigmas, die uns den ewigen Frieden im Widerstreit der Meinungen zu geben gewillt ist, erbringt noch nicht den denkerischen Bestand der Maxime.

Worin liegt nun das Verhältnis, das eine einzelne konkrete denkerische Position als zum gnostischen und aufgeklärten Paradigma gehörig ausweist? Jede ideologische Position könnte für sich die Identität von Denken und Gedachtem beanspruchen; worin liegt nun der Unterschied der einzelnen Positionen voneinander, jener Unterschied, der keinen Anspruch darauf hat Vermittlung zu sein? Der Unterschied liegt in dem zeitlichen und geschichtlichen Standort der einzelnen Position, wobei jedoch das Geschichtliche - aus der radikalen Perspektive der Unmittelbarkeit einer jeden Position bezüglich der gnostischen Identität betrachtet - jeder Vermittlung und daher jeder Geschichtlichkeit entäußert erscheint. Der geschichtliche Standort läßt sich nur aus der nackten Zeitlichkeit bestimmen; so ist dieser geschichtliche Standort ein letztlich beziehungsloser Punkt, dessen einzige Beziehung zu anderen Positionen aus der ablaufenden Bewegung der Zeit nur hergestellt werden kann. Dabei muß die Zeit wiederum als bar jeder Vermittlung vorgestellt werden; denn die Zeit, die sich als Vermittlung trägt, wäre bereits Geschichte. (Es möge jedoch beachtet werden, daß vorausgehende Aussagen über Zeit und Geschichte aus der Konsequenz des aufgeklärten, gnostischen Paradigmas getan werden.)

Wenn die Zeit aus der Sicht des gnostischen Paradigmas zum nichtvermittelnden Standort wird, läßt sich das unmittelbare unvermittelte Verhältnis der einzelnen ideologischen Positionen als Grundlage jeder Toleranz deklarieren. Damit wäre die Toleranz der zur Kenntnis genommene Zufall, dem aus Motiven unmittelbarer Solidarität die Zufälligkeit denkerisch garantiert wird. So sind die zeitlichen Standorte verschiedener Ideologien als Momente (einer zeitlichen Bewegung) vorzustellen, die durch die Zeitlichkeit gegeneinander zu einer beziehungslosen Negation der Unterscheidung finden. Wo der unvermittelte zeitliche Standort die Verschiedenheit ideologischer Positionen zu jener gnostischen Identität erfassen muß, wird die Zeit zum ungeschichtlichen Vehikel der Negation. So ist der Ausschluß jeder Vermittlung in der gnostischen Identität dafür verantwortlich, daß die Zeitlichkeit zum Ziel der Vertatsächlichung verschiedener ideologischer Positionen als bloßes Vehikel der Negation gedacht wird.

Wer die Zeit in dieser nicht-vermittelnden, geschichtslosen Apathie konzipiert, macht dieselbe zum Paradigma des Zufalls für das immerwährende Werden und Vergehen konkreter ideologischer Positionen. Freilich interpretiert sich die Zeit selbst gegen die Konzeption, sie sei das anspruchslose Paradigma des bloß Tatsächlichen und Zufälligen. Denn, wenn die Zeit für den Pluralismus ideologischer Positionen aufkommen muß, muß sie die verschiedene Tatsächlichkeit derselben als Negation begründen. Daß die Zeit dabei jedoch als vermittelnde Geschichtlichkeit ins Spiel zu kommen trachtet, manifestiert sogar jene beziehungsloseste Funktion, die das Paradigma der gnostischen Identität der Zeit zuzugestehen bereit ist: die Negation. Und in einem agnostizistischen Pluralismus von Ideologien fällt es der Zeitlichkeit zu, die tatsächliche Verschiedenheit ideologischer Positionen informativ und zugleich ohne metaphysische Vermittlung zu bewältigen; denn, wenn die Verschiedenheit der Positionen durch eine negative Unterscheidung in der zeitlichen Ebene statuiert wird, muß die Zeit als etwas rein Funktionales im Dienst der Negation sich qualifizieren.

Damit erreichen wir wiederum, wie vorhin beim rein funktionalen Dialog, das Problem der reinen Funktionalität: von der Bewegung des Denkens wird gefordert, daß sie sich jeder metaphysischen Verbindlichkeit enthalte. Wir wollen an dieser Stelle nicht die Frage nach Berechtigung oder Nichtberechtigung der Metaphysik zur Sprache bringen. Hier soll die Negation (die selbst jeder Agnostizismus zur Kenntnisnahme seiner selbst noch beanspruchen muß) erweisen, ob sie die Zeit als die reine Funktionalität, der ja die Negation ihren Ausdruck auferlegt, in eine weitere metaphysische Hintergründigkeit und Besinnlichkeit drängt oder ob die Negation in der reinen Funktionalität der Zeit ihr denkerisches Auslangen findet. So spitzt sich anhand der Frage nach der reinen Funktionalität die Frage nach dem Bestand der gnostischen Identität, der unmittelbaren Übereinkunft von Denken und Gedachtem, auf folgende Alternative zu: Ist der Komplex inhaltlicher Bestimmtheiten des Denkens von der reinen Bewegung, von der reinen Funktionalität des Denkens so zu bewältigen, daß die Funktionalität sich letztlich nicht in einem weiteren Denkschritt zu einer metaphysischen Position aufzubauen braucht, oder fällt im Umgang mit dem Komplex inhaltlicher Bestimmtheiten die Bewegung des Denkens schließlich doch in eine vermittelnde Beziehung zu den Inhalten? Denn erst in diesem Stadium gebiert sich das Denken zur Metaphysik, da die Bewegung des Denkens zum Ereignis der Wahrheit wird, d.h. sich zur Vermittlung entschließt. So ist der Entschluß des Denkens zur Wahrheit ein Entschluß zur Vermittlung. Damit ist die Frage nach der unmittelbaren Übereinkunft von Denken und Gedachtem in dieser Frage festgehalten: Entsprechen inhaltliche Bestimmtheit und die Bewegung des Denkens einander unmittelbar, oder ist ihre Entsprechung dem ständigen Prozeß einer äußeren Verifikation ausgesetzt? Ob man dieser Frage in der einen oder in der anderen Richtung zustimmt, die Antwort wird vorerst eine bloße Behauptung bleiben.

Es wird zu zeigen sein, daß sowohl die inhaltliche Bestimmtheit als auch die reine Bewegung des Denkens auf eine Mitte verwiesen sind; diese Mitte erst steuert den ständigen Prozeß der Verifikation in der Vermittlung. Und sollte das Eingehen der inhaltlichen Bestimmtheit und der Bewegung des Denkens aufeinander auf die Notwendigkeit einer solchen Vermittlung verweisen, werden sich im selben Augenblick die Maximen des Agnostizismus und jedes aufgeklärten Denkens als leere emphatische Beteuerungen für eine Identität erweisen, die nur im unkritischen Denken eine wohlgelittene Existenz der Opportunität fristet. So ist die Frage nach der Wahrheit unseres Erkennens, die kritische Frage, nicht zuerst eine Frage, ob wir wahrhaft erkennen und was wir erkennen; es dürfte auch hier nicht geraten sein, in einem transzendentalphilosophischen Verfahren die Wahrheitsbedingungen unseres Denkens dem konkreten Zugriff der Geschichte zu entziehen.

Das Gelingen der kritischen Frage besteht darin, die Wahrheit des Erkennens und Denkens in der Vermittlung anzulegen; wenngleich die transzendentalen Bedingungen des Denkens und der inhaltlichen Komplexität sich unserer Verfügung zu entziehen vermögen, in der Vermittlung halten wir den Entschluß des Denkens zum Ereignis der Wahrheit in Händen; und die Vermittlung wird der Leitfaden der Wahrheit unseres Denkens; und an der Vermittlung erweist sich die Wahrheit in ihrer Geschichte, so daß die Ganzheit der Geschichte uns jene transzendentale Konstitution des Denkens erfahren läßt, wofür die transzendentalphilosophische Begründung nur bloße Behauptungen aufzubringen imstande war. Dies soll uns jedoch nicht zur Annahme verleiten, die Geschichtlichkeit (die bedachte Ganzheit der Geschichte) dieser Vermittlung wäre die Wahrheit selbst. Denn ein Dreifaches ist es, das den Ent-Schluß zur Wahrheit bedeutet: die Bewegung, der Inhalt, die Vermittlung. So kann Metaphysik niemals zu einer bloßen Frage aus geschichtlicher Perspektive werden; sie wird - recht verstanden - immer Anspruch bleiben, weil sie die Wirklichkeit, die notwendige Wirklichkeit der Übereinkunft von Denken und Gedachtem ist.

An der Negation selbst, an der scheinbar beziehungslosesten Funktion, wollen wir die Anlage des Denkens zur Vermittlung nunmehr prüfen. In der Negation findet das Denken als reine Bewegung seine am wenigsten vermittelnde Gestalt; während in der Affirmation noch eine wesentliche Abhängigkeit vom affirmativen Inhalt gegeben ist - schließlich affirmiert das Denken ein ganz bestimmtes Seiendes -, entfernt sich die Negation vom Inhalt weg in der Richtung des bloßen Gegensatzes. Wie muß dieser bloße Gegensatz der Negation gedeutet werden? Affirmiert z.B. das Denken von einem Seienden, daß es ein Mensch ist, ergibt sich mit Selbstverständlichkeit, daß es zugleich kein Tier, keine Pflanze, kein Engel ist. Besteht die Negation des Denkens hingegen z.B. darin, daß ein Seiendes kein Mensch ist, ergibt sich weder, daß es kein Tier, keine Pflanze, kein Engel ist, noch daß es ein Tier, eine Pflanze, ein Engel ist. Die Negation scheint an diesem Beispiel zu erweisen, daß sie selbst einer gewissen »Unendlichkeit« von inhaltlichen Bestimmungen (Tier, Engel, Pflanze) gegenüber indifferent ist; oder besser gesagt, fast scheint das Denken in der Negation die reine Bewegung ohne inhaltliche Vermittlung zu sein. Denn das Denken scheint sich in Gegenüberstellung zu einem vermittelnden Engagement einen »unendlichen« Beziehungsraum geschaffen zu haben, in dem die beziehungsloseste Funktion - die Negation - jede inhaltliche Beziehung und Vermittlung in der »unendlichen« Unbestimmtheit verfallen zu fassen scheint. In der Negation scheint es so weit zu kommen, daß die »Unendlichkeit« - sonst unerläßliche Koordinate jedes metaphysischen Denkschrittes - zur unvermittelten und nicht-vermittelnden Belanglosigkeit wird. Verschwindet die unendliche Komplexität der Inhaltlichkeit auf diese Weise aus den Belangen menschlichen Denkens, ist die unmittelbare Entsprechung von Denken und Gedachtem nach dem Konzept der gnostischen Identität eine geradezu naive Feststellung, die in keiner Weise auf eine geschichtliche Verifikation angelegt ist, sondern die Zufälligkeit des Zusammentreffens der Denkbewegung und des Gedachten in der »unendlichen« Indifferenz der Negation selbst zur Ehre einer Weltanschauung bringt.

Doch ein genaueres Hinsehen belehrt uns, daß die Negation nicht eine reine und zum Inhalt beziehungslose Bewegung des Denkens ist. Denn die Anlage der Negation gegenüber der (indifferenten) »Unendlichkeit« inhaltlicher Bestimmungen ist selbst ein Verhältnis, das die Negation erst in einer grundsätzlich inhaltlichen Bestimmtheit zum Funktionieren bringt: Denn die Negation ist - ähnlich wie die Affirmation - nicht nur auf ein ganz bestimmtes Seiendes (das negiert wird) bezogen; wenngleich aus einer negativen Aussage sich ohne Anwendung eines weiteren hermeneutischen Hilfsmittels keine durch die Negation inhaltlich vermittelte Aussage ableiten zu lassen scheint, ist der Gegensatz der jeweils konkret bestimmten Negation zur »Unendlichkeit der nicht-vermittelten Inhalte« dennoch nur in der Dimension inhaltlicher Bestimmtheit und Unbestimmtheit zu denken. Dies bedeutet nichts anderes als folgendes: Die Negation als Funktion der reinen Denkbewegung ist zu ihrem Selbstbegreifen auf eine vermittelnde Mitte verwiesen, selbst wenn die konkret bestimmte Negation keiner inhaltlichen Vermittlung fähig zu sein scheint; die Gesamtanlage der Wirklichkeit der Negation kann sich nur an einer vermittelnden Mitte verstehen, deren Bestimmtheit weniger partikulär konkret als vielmehr »struktural« inhaltlich und afunktional konzipiert werden muß.

Vielleicht möchte man sich an dieser Stelle fragen, warum überhaupt der scheinbar verborgenen Mitte der Negation nachgegangen wurde. Eigentlich galt unser Interesse vorerst nur der Zeitlichkeit, die einen Pluralismus unvermittelter ideologischer Positionen zu gewähren schien. Allerdings mußte diese Zeitlichkeit im Gegensatz zu jeder vermittelnden Geschichtlichkeit als bloße Ebene der Wirklichkeit der Negation gedacht werden. Ist nun die Negation als die möglichst radikale Funktion der Unvermitteltheit dennoch einer vermittelnden Mitte überführt, hat sich auch die Zeitlichkeit als die Ebene der Verwirklichung der Negation gegen ein rein funktionales Verständnis ihrer selbst interpretiert; so läßt sich das Denken auf dem Boden der Zeitlichkeit nur vermittelt und vermittelnd bewerkstelligen. Dies bedeutet, daß selbst der scheinbar belanglose Rahmen der Zeitlichkeit und Negation das Denken zu einer metaphysischen Haltung verpflichtet, denn das Denken findet keinen Lebensraum, in dem es reine Bewegung sein könnte; schon die Zeitlichkeit als das primäre Totale einer solchen Bewegung verpflichtet das Denken zum Aufsuchen einer vermittelnden Mitte. Damit hat das Denken seine letzte Ebene eingebüßt, die ihm ein unbeschwertes Dasein in Tatsächlichkeit ohne metaphysische Hintergründigkeit noch zu verheißen schien; damit verweist auch die Situation der Zeitlichkeit das Denken auf seine metaphysische Innerlichkeit.

Metaphysik und die »Gleichzeitigkeit« der Kybernetik

Für die ametaphysische Konzeption des Denkens ist in unseren Tagen eine neue Hoffnung erstanden: Sind die Zeitlichkeit und die sich in ihr gestaltende Negation wirklich die radikalsten Situationen der Unvermitteltheit des Denkens und verweisen diese dennoch das Denken gleichfalls an eine vermittelnde Mitte, könnte nur die Überwindung der Grundsituation der Zeitlichkeit das Denken noch seiner Verpflichtung zur Metaphysik entziehen. Es blieb unserer Epoche vorbehalten, die Vision einer Wirklichkeit anzubieten, die jeder zeitlichen Grundsituation des Denkens enthoben zu sein scheint. Man könnte diese neuartige Situation eine »Gleichzeitigkeit« nennen. Das Programm, eine solche Gleichzeitigkeit in möglichst weitem Umfang zu erreichen, ist grundsätzlich darauf angelegt, das Totale von möglichen Tatbeständen in eine Gleichzeitigkeit von Beziehungen zu bringen. Während es früheren Epochen gegeben war, die »Vergangenheit« als Geschichte in der »Gegenwart« einzubringen, ist heute bereits auch die »Zukunft« grundsätzlich gegenwärtig. Denn, wenn wir vom tatsächlich noch unvollkommenen Leistungsstand der kybernetischen Wissenschaft absehen, ist vor allen anderen wissenschaftlichen Möglichkeiten die grundsätzliche Anlage der Kybernetik auf eine »Vergleichzeitigung« alles Gegebenen ausgerichtet. Dies bedeutet nicht, daß die kybernetische Vergleichzeitigung auf eine Überwindung des zeitlichen »Früher« und »Später« unter dem Aspekt der physischen Realität zustrebt; mit der Vergleichzeitigung aller Gegebenheiten sind andere philosophische Momente der Wirklichkeit in ihrem Bestand bedroht: Mit dem zunehmenden Erfolg der kybernetischen Wissenschaft wird die Unterscheidung »Wirklichkeit« - »Möglichkeit« immer mehr an denkerischer Relevanz verlieren. Denn es ist das Wesentliche der Kybernetik, alles (auch nur Denkbare) in die Gegenwart, besser gesagt, in die Gleichzeitigkeit zu drängen. Schließlich ist es die Grundanlage der Kybernetik, jede Gegebenheit mit jeder (auch zukünftigen) Gegebenheit in Beziehung setzen zu können. Wenn diesem unbegrenzten Beziehungschaffen der Kybernetik einmal auch das Vermögen technischer Anlagen zur Verwirklichung solcher Beziehungen entsprechen wird, wird die Unterscheidung »Wirklichkeit« - »Möglichkeit« grundsätzlich gegenstandslos, weil durch das Vermögen zur Vergleichzeitigung in der Kybernetik alles Denkbare grundsätzlich »Wirklichkeit« ist. Damit soll nicht gesagt sein, daß alles Denkbare auf einmal »Wirklichkeit« sein kann oder soll; wenn jedoch alles auf diese Weise »Wirklichkeit« sein kann, hat vor allem nicht die »Möglichkeit«, sondern die »Wirklichkeit« den Verlust ihrer philosophischen Relevanz hinzunehmen.

Wengleich durch die Kybernetik alles in den Bereich der »Wirklichkeit« rückt, ist die entscheidende Größe nunmehr die Denkbarkeit oder »Möglichkeit«, sodaß ein neuer Grundsatz nicht mehr nur lauten würde: »ist etwas wirklich, ist dieses auch möglich«, sondern ebenso: »ist etwas möglich, ist dieses auch wirklich«. Dadurch, daß die Kybernetik jede Zukunft als »noch nicht wirklich« durch die Unbegrenztheit ihres Beziehungschaffens überholt, erweist sich die »Wirklichkeit« immer mehr als eine besondere Weise der »Möglichkeit«; besser gesagt, die Unterscheidung beider hat ihre denkerische Relevanz eigentlich verloren. Aus der kybernetischen Vergleichzeitigung folgt die ständige »Gegenwärtigkeit« menschlichen Denkens; und die harte Grenze der »Möglichkeit« gegen die »Wirklichkeit«, das »Sein« und »Noch-nicht-Sein« der Zeitlichkeit, hinterläßt mit ihrem Verschwinden in der Gleichzeitigkeit die unmittelbare und unvermittelte Gleichheit von »Möglichkeit« und »Wirklichkeit«.

Freilich soll noch einmal gegen jedes Mißverständnis dieser Aussagen betont werden, daß es hier nicht um die Reflexion über eine tatsächliche pragmatische oder utopische Selbstgegenwart der Welt und ihrer wissenschaftlichen Möglichkeiten geht; die besagte Gleichsetzung von Möglichkeit und Wirklichkeit soll vor allem die Grundanlage einer durch und durch technisierten Welt und der daraus hervorgehenden Strukturen und Situationen für das menschliche Denken vorstellen. Und die jeder denkerischen Vermittlung (in Richtung auf Metaphysik) entgegengesetzte Vergleichzeitigung der menschlichen Weltsituation zeigt ebenso auch wie die in der Vermittlung der Geschichtlichkeit sich konstituierende Zeitlichkeit das am Paradigma der Zeit mit so verschiedenem Erfolg sich verstehende menschliche Denken.

Es sind nicht die Programme pluralistischer Koexistenz der Ideologien, die die Metaphysik heute in ihrem Bestand entscheidend zu bedrohen vermögen; die bislang in der Geschichte des menschlichen Denkens härteste Bewährungsprobe für die Metaphysik bringt jene Wissenschaft mit sich, der die Zeit keine Grenze zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit mehr bedeutet. Wer das Totale aller Wirklichkeit durch »Gleichzeitigkeit« in den Griff bekommt, kann dem Denken die Vektoren (= die Zeitlichkeit) seiner Negation richtungslos werden lassen; denn die Wirklichkeit jeder Negation ist die Zeitlichkeit; wenn es aber dem Denken an der Wirklichkeit seiner Negation fehlt, wird jede Vermittlung zur bloßen Vordergründigkeit eines Denkens, das in der Negation sich seiner vordergründigen Bindung nicht mehr immer wieder entheben kann. Wenn in der Gleichzeitigkeit die Negation nur mehr die bloß gestaltende Anordnung der totalen Wirklichkeit sein darf, verliert das Denken seine wirkliche negative Grenze und seine Selbigkeit; denn die dem jeweils negierten konkreten »Etwas« abgewandte Seite der Negation ist für das Denken in jedem seiner Momente eine Totalität; eine Totalität, die eine unendliche Selbstgleichung des Denkens ist, in der jede Wirklichkeit nur mehr in metaphysischen Verhältnissen Gestalt und Bedeutung hat. In diesem Sinn könnten wir die Negation als den Mittler und Übersetzer partikulärer Gegebenheiten in metaphysische Verhältnisse bezeichnen. Dieser Ernst der Negation, diese Einweisung ins Metaphysische, ist jedoch nur möglich, wenn die Zeit die Unumkehrbarkeit der Negation sichert; denn, was nicht vom »Noch-nicht-Sein« und vom »Schon-Sein« der Zeit getragen wird, bleibt umkehrbar und austauschbar, und das Denken bleibt so in seiner Negation absolut vordergründig, so daß die Negation nichts anderes wäre als die eventuell gestaltenden Konturen »gleichzeitiger Gegebenheiten«.

Die Gottesfrage im Gleichnis ihrer Vermittlung

Kann es für eine Epoche, deren Zukunft bereits begonnen hat, in deren Welt Denkbares und Wirkliches eigentlich keine relevante Unterscheidung mehr gegeneinander haben, noch so etwas wie eine Gottesfrage geben? Kann sich ein Gott für das menschliche Denken überhaupt noch von der Totalität wissenschaftlicher Möglichkeiten oder humaner Wirklichkeiten unterscheiden? Bislang entschied sich für das menschliche Denken die Gottesfrage vornehmlich an der Bejahung oder Verneinung der Existenz und Wirklichkeit Gottes. Was bedeutet jedoch unserer Epoche die Versicherung, daß Gott existiert; einer Epoche, die eine Totalität im Griff zu haben glaubt, an der sich die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit als belanglos bricht? Denn es blieb einer kybernetischen Epoche vorbehalten, im unermeßlichen Beziehungschaffen zwischen wirklichen oder möglichen Sachverhalten eine erfahrbare Totalität zu wirken, die Möglichkeit und Wirklichkeit ohne jene vermittelnde Mitte erscheinen läßt, die deren Unterschied zu metaphysischer Relevanz brachte.

Für die Gottesbeweise der klassischen scholastischen Metaphysik ging es in der Hauptsache um den Erweis der Existenz eines höchsten Wesens; und die Existenz Gottes galt als erwiesen, wenn das Bedenken bestimmter metaphysischer Strukturen (wie Veränderung, Verursachung, verschiedene Seinsvollkommenheit) eine Unendlichkeit verlangte, um die Denkschritte in solchen Strukturen zuendedenken zu können; so bedeutete diese Unendlichkeit das einfache notwendige Totale der Wirklichkeit solcher Strukturen. Der Gott, der solcher Unendlichkeit den Namen gab, blieb jedoch ein »unvermittelter Gott«; und zu Recht betonte die scholastische Metaphysik, daß uns kein Mittelbegriff aus dem Bedenken solcher Strukturen in das Wesen Gottes hineinvermittelt. Dennoch durfte sich der scholastische Gottesbeweis als gelungen betrachten, da die ausgedachte Unendlichkeit die Existenz und Wirklichkeit Gottes bedeutete, welcher auf dem Verfahrensweg der Analogie Wesensaussagen über Gott zugemittelt werden konnten und damit erst eine ernsthafte Vermittlung versucht wurde. Diese Unendlichkeit, aus dem Bedenken metaphysischer Strukturen gefordert und mit der Wirklichkeit eines höchsten Gottes gleichgesetzt, konnte bislang trotz ihrer eigentlichen Unvermitteltheit eine denkerische Prärogative als »Existenz Gottes« behaupten.

Dem Denken unserer Epoche jedoch scheint jener Sprung zu gelingen, der die unvermittelte Existenz (so auch die eines höchsten Gottes) in das neue Totale seiner Möglichkeiten als denkerisch irrelevant einordnet. Welchen Anspruch wird dann ein Wesen erheben können, sei es auch das absolut höchste Wesen, das sich dem Denken in seiner bloßen »Existenz« vorstellt, wenn das Denken unserer Epoche in der »Existenz« durchaus nichts Transzendentes mehr erahnt? Und die bloße »Existenz« eines absolut höchsten Wesens ist aus der Perspektive des heutigen Denkens nicht mehr ausreichend, den Theisten vor einer pluralistischen »Koexistenz« mit der atheistischen Weltanschauung zu bewahren.

Derartige Feststellungen haben nicht zum Ziel, die Gültigkeit der Gottesbeweise in Zweifel zu ziehen; das metaphysische Denken muß jedoch sein Vermögen an einer veränderten Konjunktur des Denkens erproben. Metaphysische Aussagen, die bislang in der Unvermitteltheit der »Existenz« ihre Gültigkeit besaßen, erweisen sich nunmehr als vordergründig und dem weltanschaulichen Gustus des Pluralismus verfallen; denn das funktionale Denken hat die »Existenz« bereits in das Totale seiner reinen Bewegung im kybernetischen Duktus einbezogen: Ein Gott, der »existiert«, bedeutet als solcher für das Denken nunmehr weder eine metaphysische Größe noch ein metaphysisches Verhältnis. Beläßt die Metaphysik Gott in der hehren Erhabenheit seiner denkerisch unvermittelten »Existenz«, ist Gottes »Existenz« nichts anderes als die vordergründig projizierte Unendlichkeit einer in metaphysischen Verhältnissen bedachten Endlichkeit. So bleibt es möglicherweise unserer Epoche vorbehalten, der Metaphysik in ihrem Lichtpunkt, der Gottesfrage, ihre Unvermitteltheit vor Augen zu führen. Und es muß eine Frage von absehbarer Zeit sein, bis die Gotteslehre solcher Art als letztlich ametaphysisch sich ausweist und in den ideologischen Pluralismus des rein funktionalen Denkens gerät.

Welche Zukunft dürfen wir der Gottesfrage überhaupt noch zugestehen? Für das Denken unserer Epoche dürfte es grundsätzlich unerheblich werden, ob das Denken von endlichen Gegebenheiten ausgehend zu einem höchsten Gott in seiner »Existenz« aufsteigt oder die Gottesfrage von einem höchsten Gott absteigend sich verifiziert. Um in den Bereich absoluter metaphysischer Wahrheit zu gehören, genügt nicht das Bestehen in der unvermittelten »Existenz«. Nur eine Wahrheit, die ins Gleichnis ihrer Vermittlung gebracht wird, kann Anspruch auf metaphysische Absolutheit und Gültigkeit erheben. So ist auch die Gottesfrage, soweit sie von metaphysischer und nicht bloß ideologischer Bedeutung sein will, zu einer Frage der Vermittlung geworden. Wenn die christliche Religion einen in Offenbarung und Menschwerdung sich vermittelnden Gott bekennt, begibt sich nicht gerade damit die Gottesfrage auch in unserer Epoche in ihr neues Gleichnis der Vermittlung, aus der dem Denken ein Gott von metaphysischer Absolutheit und Ausschließlichkeit zufällt? Mag man auch die Gottesfrage des philosophierenden Denkens zu einem ideologischen Pläsier deklariert haben, die Gottesfrage aus dem Glauben an den sich offenbarenden und menschgewordenen Gott wird das menschliche Denken wieder an seine metaphysische Innerlichkeit verweisen.

Damit beantwortet sich das Problem der Zukunft der Gottesfrage: Das menschliche Denken kann sich an der Vermittlung des sich offenbarenden und menschgewordenen Gottes immer erneut als metaphysisch verifizieren; die Gottesfrage wird einen um so größeren Anspruch geltend machen können, je gangbarer für das menschliche Denken Gottes Vermittlungen sind. Für den christlichen Glauben bedeutet diese Frage die unbegrenzte Forderung, Theologie zu sein und zu werden. So wird in Zukunft nicht jener Gottesglaube bestehen, der sich im Anspruch einer unvermittelten Verkündigung ergeht; die Zukunft der Gottesfrage wird sich darin verifizieren, wie weit der Gottesglaube es auf sich nehmen will, in seinem vermittelnden Gleichnis, in der Theologie, ein metaphysisches Engagement zu wagen.



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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 02.07.1998.

 

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