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Beitrag in der Zeitschrift "Gottgeweiht", Nr. 2/1996
Der geistliche Kampf
Unter den Paulusbriefen ist der Epheserbrief vielleicht jener, der am meisten zu Kampf und Entscheidung drängt: "Wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs" (6,12). Paulus schreibt diesen Brief aus dem Gefängnis; der rastlose Apostel ist im Gefängnis zum Verweilen verurteilt. Er sinnt über Gottes Wege und über das rechte Wort beim Verkündigen des Geheimnisses des Evangeliums nach. Und den Gläubigen ruft er zu: "Nutzt den rechten Augenblick, denn das Böse beherrscht die Zeit" (5,16). Der Apostel läßt uns Einsicht gewinnen in die Kräfte der Geschichte, in denen anderes sich ereignet als der Kampf gegen Menschen aus Fleisch und Blut. Es tut sich etwas in der Welt und zwischen den Menschen, das sich nicht auf Gott berufen kann, das zu Gott in Widerspruch steht und alle Bereiche des Menschen durchzieht.
Wenn die Geschichte des Menschen und der Welt einst in das Leben in Fülle einmündet, dann wird Gott über alles in allen Menschen sein, wird es einen neuen Himmel und eine neue Erde geben, in denen Gerechtigkeit wohnt, dann werden Gottes Kinder Gott schauen, wie er ist. Was sich jedoch ereignete in der Geschichte, es war durchsetzt von den Kräften des Bösen, ehe es dazu kommt, was die Mühe der Kirche Christi zu bewirken hat, "daß aller Same des Guten, der sich im Herz und im Geist der Menschen oder in den eigenen Riten und Kulturen der Völker findet, nicht nur nicht untergehe, sondern geheilt, erhoben und vollendet werde zur Ehre Gottes, zur Beschämung des Teufels und zur Seligkeit des Menschen" (II. Vatikanisches Konzil, LG 17). Äußerst selten nennt das Konzil den "Teufel"; er spielt eine Rolle darin, daß aller Same des Guten, der sich im Menschen und in dessen Geschichte findet, nicht untergehen, sondern geheilt, erhoben und vollendet werden soll. Gelingt dies, wird Gott Ehre und Heil den Menschen; beschämt aber wird der Teufel, der das Gute haßt und mit seinen Schlichen gegen das Gute das Böse betreibt.
Der Epheserbrief mahnt: "Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den Schlichen des Teufels widerstehen könnt" (6,11). "Vor allem greift zum Schild des Glaubens! Mit ihm könnt ihr alle feurigen Geschosse des Bösen auslöschen. Nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes" (6,16 f). Geht es hier um ein Drama, bei dem der Mensch ein hilflos Getriebener oder ein unbeteiligter Beobachter ist? Wer kämpft gegen wen? Wer kämpft wofür? Woher der Kampf, in dem es um Bestehen und Sieg geht?
In unserer heutigen Denkweise gibt es eigentlich keinen Platz für das Böse, denn alles Fehlerhafte und Unzukömmliche beruht auf Störungen, die durch das Können des Menschen zu beheben sind; auch das Böse erscheint uns als ein Fall des gestörten Zusammenspiels. Das Böse scheint mit dem Geheimnis der Freiheit nichts zu tun zu haben. Warum also der Aufruf zu Bereitschaft und zu Kampf gegen das Böse, wie es der Epheserbrief fordert?
Als Geschöpf hat der Teufel seinen Aufstand gegen Gott längst und für immer verloren. Der Teufel weiß längst, daß es für ihn keinen Platz mehr gibt in Gottes Schöpfung; sein Verworfen-Sein von Gott besteht folglich darin, daß er kein Ziel und keine Entscheidung mehr hat, wo es noch eine Gelegenheit zu Hoffnung und Liebe gäbe. Der Kampf des Bösen gegen Gott geschieht aus Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Wenn der Epheserbrief zum Widerstand gegen die Schliche des Teufels aufruft, müssen wir uns fragen, was der Teufel noch tun kann, um Gottes Werk zu stören.
Gott stellt sich selbst im Menschen auf die Probe. Der letzte Akt des Dramas im Kampf des Bösen mit Gott spielt sich dort ab, wo die Freiheit noch nicht endgültig in Liebe und im Guten erfüllt ist: Im Menschen, den Gott als sein Abbild schuf; im Menschen, um dessentwillen Gott die Dinge schuf; im Menschen, der auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist (vgl. GS 24). Wenn der Böse der Allmacht Gottes auch längst unterlegen ist, versucht er sich dennoch beim Menschen, dem Gott Dasein und Freiheit in Liebe schenkte. Noch ist in der Geschichte nicht jenes Geheimnis offenbar, daß Freiheit und Liebe eins sind, so daß es für den freien Menschen nicht Gutes oder Böses, nicht Liebe zu Gott oder Verweigerung dieser Liebe gibt, sondern nur mehr Gutes und Liebe die Freiheit des Menschen erfüllen können. Es ist dies die aus Gnade gelebte Gottesentscheidung des Menschen, die darin liegt, daß Gott als das absolut Gute und als die unendliche Liebe sich offenbart und der Mensch glaubend erkennt, daß Gott nur Liebe und nur das absolut Gute ist. Was der Mensch glaubend erkennt, das ist jedoch mehr als ein intellektuelles Urteil, welches das Sein des Menschen nicht berührt. Denn wenn sich Gott dem Menschen offenbart, kann der Mensch die Wahrheit Gottes nur erkennen, wenn sie in allem seine eigene menschliche Wahrheit ist, die jede rein theoretische und objektivierte Wahrheit des erkennenden Menschen überschreitet. Ohne Vorbehalt muß der Mensch selbst das "sein", was ihm Gott offenbart, auch wenn Gott unendlich größer und vollkommener als der Mensch an sich ist.
Wir rühren hier an das Geheimnis der Teilhabe des Menschen an Gott. Die bekannte Frage der Theologie lautet: "Finitum quomodo capax infiniti? - Wie kann das Endliche des Unendlichen fähig sein?" Sofern wir diese Frage darstellen und vielleicht auch nur anfänglich beantworten können, ist uns eine Antwort über Gott auch zur Antwort für das geworden, was die göttliche Wahrheit über den Menschen ist. Wenn das Wort gilt, daß der Mensch sagen kann: "Kenne ich mich, kenne ich Gott; kenne ich Gott, kenne ich mich" - so muß es um eine tiefste Gemeinschaft zwischen Mensch und Gott gehen, die den Unterschied zwischen Gott und Mensch wohl nicht aufheben kann, aber den geschöpflichen Menschen in einem Ursprung weiß, der Einheit vor Vielheit, der Freiheit im Guten und in der Liebe vor Freiheit zur Sünde und die Wahrheit vor Zweifel und Irrtum gewährt.
Der "Unterschied" zu Gott, der den Menschen noch in die Vielheit der Dinge stellt, den Menschen sündigen und Liebe verweigern läßt, dem Irrtum und dem Zweifel ausliefert, ist auch für den Menschen nicht das Letzte. Über dem Unterschied, in den Sünde und Irrtum einbrechen können, steht Gottes absolute Einfachheit, die der Einheit, dem Guten und der Liebe und der Wahrheit den ewigen Vorrang gibt; hierin liegt die Teilhabe des Menschen am Göttlichen, die uns Gottes Abbild sein läßt, in der Gottes unübertreffliche Liebe als eine unlösbare Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch auch als das tiefste Geheimnis und als die höchste Wahrheit über den Menschen besteht.
Diese nicht ganz einfachen Gedanken wollten der Frage antworten, wie denn der längst besiegte Böse noch zum Versucher und zum Feind des Menschen werden kann. Wir müssen ernst nehmen, daß der Epheserbrief es ernst mit dem Kampf gegen den Teufel meint; hier geht es nicht um überlebte Mythologie, die uns gleichgültig gegenüber den Zeichen der Zeit und gegenüber dem Ziel der Heilsgeschichte sein läßt. Auch unser Dasein läßt sich als bloße Auseinandersetzung mit Menschen aus Fleisch und Blut nicht deuten, denn es geht gegen den Bösen und seine Macht. In Gott erkennen wir längst den Sieg Gottes über das Böse; wie das Heil des Menschen seine Zeit und seine Erfüllung hat, so muß auch der Böse, der verführt und zerstört, im Menschen besiegt werden.
"Laßt euch durch niemand und auf keine Weise täuschen. Denn zuerst muß der Aufruhr gegen Gott kommen und der Mensch der Gesetzlosigkeit allen sichtbar werden, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, daß er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt" (2 Thess 2,3 f). Wenn der gesetzlose Mensch allen sichtbar wird, wird ihn Jesus durch den Hauch seines Mundes dahinraffen und durch den Glanz seiner Ankunft vernichten, auch wenn der Gesetzlose alle Kraft des Satans bei seiner Ankunft haben wird (vgl. 2 Thess 2,8 f).
Noch ist uns vieles verborgen, was zum Geheimnis des Bösen gehört und zu seiner Zeit offenbar wird. Sicher ist, daß im Menschen sich ereignen und erfüllen wird, was in Gott die Liebe, die Wahrheit, das Heil und die Gnade ist. Als die Geliebten Gottes können wir nicht von ferne dem folgen, was Gott zur Prüfung und zum Heil des Menschen bestimmt. Wir sind einbezogen in jene Auseinandersetzung mit dem Bösen, in der Gott Sieger und der Mensch jener Gewinn Gottes ist, in dem die Sünde ihren Platz verloren hat.
"Lebt als Kinder des Lichts" (5,8), sagt uns der Epheserbrief. Das
Licht aber bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor (5,9).
Wer aber ist es, in dem in Fülle jenes Werk für Gott gelungen ist,
das Gott im Kampf mit dem Bösen läutern ließ? Es ist der Gottmensch
und Erlöser Jesus Christus, der Mensch wurde, uns in allem gleich, ausgenommen
die Sünde. In Jesus Christus ist also der Sieg Gottes über den Teufel
hinterlegt; es ist der Sieg Gottes, der nicht aus einer bloßen Allmacht
Gottes herrührt; es ist der Sieg Gottes, der schließlich im Menschen
und in der Freiheit des Menschen Gestalt und Gültigkeit gewinnt; es ist
der Sieg Gottes, dessen Allmacht sich im Gottmenschen Jesus Christus als Liebe,
die größer als alle Sünde ist, erweist.
Der Sinn der Geschichte ist durch Christus die Erlösung und das Heil des Menschen, auch wenn der Böse bis zum Ende der Zeiten am Werk ist und die Kinder Gottes mit Wachsamkeit und Bereitschaft wie Krieger gegen die Schliche des Teufels zu kämpfen haben. Alle Getauften, alle Geweihten, alle Gottgeweihten sind in dieses Geschehen einbezogen. In Christus ist der Sieg der Liebe Gottes für immer und für jeden bereits vollbracht; in Maria, die mit dem Erlöser und seinem Menschsein in allem und in höchster Weise übereinstimmt, ist das Werk der Erlösung mit der ganzen Menschheit schon gemeinschaftsfähig geworden.
Wie einst durch den einen Menschen, Adam, die Sünde in die Welt kam, so ist durch den einen Menschen, Jesus Christus, für alle Menschen die Erlösung gelungen. Nicht nur im Gottmenschen Jesus Christus besteht das Heil des Menschen; in Maria hat die Heilsgeschichte die Reinheit des Ursprungs aus Gott und das Ziel in Vollendung, denn nicht mehr übertreffbar ist das Leben in Fülle, das Gott denen bereitet, die ihn lieben. Wir stehen vor einem Geheimnis der Liebe Gottes: Was Gott in einem Menschen gelingt, d.h. in Jesus Christus und Maria, das eröffnet das Heil für jeden Menschen.
Keiner von uns jedoch ist ein bloßer Mitläufer dessen, was Gott wirkt. Wer gerettet sein will, muß die ganze Liebe Christi und die ganze Gnade durch Maria nach dem Maß seines guten Willens und seiner guten Werke in sich eintreten lassen. Nicht der "bloße" Mensch wird gerettet, sondern der geheiligte und heilige Mensch, in dem trotz aller Sünde und Schuld die Liebe Gottes siegt.
Bis zum Tod hin wollen wir Christus folgen. Sind wir
in Christus gekreuzigt, dürfen wir bekennen: So lebe nun nicht mehr ich,
sondern Christus lebt in mir (vgl. Gal 2,19 f).
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