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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

Predigt bei der Messe am Gründonnerstag
9. April 1998
im Dom zu St. Pölten

Liebe Brüder im Dienst der Priester und Diakone, liebe Mitbrüder!
Liebe Männer und Frauen des gottgeweihten Lebens, liebe Gläubige!

Viele Menschen begannen an Jesus zu glauben. Es versammelten sich die Hohenpriester und Pharisäer, die ratlos schienen: "Was sollen wir tun, da dieser Mensch viele Zeichen wirkt? Wenn wir nicht gegen ihn vorgehen, werden alle an ihn glauben; die Römer werden kommen und uns Land und Leute wegnehmen! Einer von ihnen, Kajaphas, der Hohepriester jenes Jahres, sagte zu ihnen: Ihr versteht überhaupt nichts. Ihr bedenkt nicht, daß es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt und nicht das ganze Volk zugrunde geht" (Joh 11,47-50).

Der Hohepriester jenes Jahres war auch ein Mittäter an der Verurteilung und am Kreuzestod Christi. Dennoch sagt er in seiner feindseligen Furcht etwas, was das Geheimnis der Erlösung in dessen Mitte trifft: Es ist besser, wenn einer stirbt. Der eine Mensch, der für das Volk sterben und der die zerstreuten Gotteskinder sammeln sollte, konnte nur der Sohn Gottes sein: Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch.

Was kann schon ein einzelner Mensch bewegen? Wie kann ein Mensch die vielen Menschen erlösen, in aller Welt, zu allen Zeiten? Es gibt Stifter von Religionen und Lehrer der Menschheit. Auch wenn ein Lehrer alle Wahrheit die Menschen gelehrt hätte, dieser Lehrer wäre deswegen nicht der Erlöser des Menschen. Jesus Christus ist die höchst sagbare und niemals übertreffbare Wahrheit. Deswegen hätte er jedoch nicht als der eine Mensch für die vielen sterben können! Die Wahrheit Christi mußte mehr als Wissen, Erkenntnis, Einsicht und Urteilsfähigkeit für den Menschen sein; die Wahrheit Christi begründet keine Gelehrtenschule und keine humane Lebenskunst.

Die Wahrheit Christi spricht sich in dem aus: Einer stirbt für das Volk Gottes; einer stirbt nur einmal und für alle Zeiten; für alle Menschen und für immer genügt es, daß der Sohn Gottes diesen Weg in Einsamkeit und zugleich in Vollmacht und Herrlichkeit antritt. In diesem größten Ereignis der Geschichte neigen Wahrheit und Liebe ineinander, sie sind schließlich ein- und dasselbe, weil Gott die Wahrheit und die Liebe ist.

Jesus, der eine Mensch, der für alle sterben wollte, gibt uns dieses Gebot: "Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe als die, wenn einer sein Leben gibt für seine Freunde" (Joh 15,12 f).

Adam, der erste Mensch sündigte; die Sünde dieses einen Adam stellte alle Menschen unter die Macht des Bösen. Christus, der zweite Adam, befreite durch seine Liebe alle Menschen von der Sünde. Es ist dies das Geheimnis der Erlösung: einer stirbt am Kreuz, alle werden erlöst.

Wenn der eine wahre Gott und Mensch stirbt, ereignet sich soviel Liebe, daß die Geschichte geheilt wird, die Macht der Sünde gebrochen und für alle Menschen Erlösung bereitet ist. Auch dies ist eine Kundgabe dafür, daß Gottes Liebe größer ist als unsere Schuld; wenn der eine Erlöser stirbt, ist Heil für alle, zu allen Zeiten und an allen Orten.

Wenn wir das Abendmahl Christi, die heiligste Eucharistie feiern, verkünden wir den Tod des einen Erlösers, bis er wiederkommt in Herrlichkeit.

Die göttliche Gnade der Eucharistie wirkt darin, daß nicht an jedem Tag jedesmal ein anderer als Erlöser stirbt; zu allen Zeiten ist es derselbe und eine Erlöser, dessen Sterben und Auferstehen gültig und erlösend ist. Der eine und einzige Sohn Gottes versöhnt uns zu allen Zeiten mit dem Vater; der eine und einzige Heilige Geist ist es, der Christus verherrlicht und seinen geheimnisvollen Leib, die Kirche, als ihre "Seele" zusammenfügt. Und die Eucharistie, die wir feiern, ist unter dem Zeichen des Brotes und Weines die geheimnisvolle Wirklichkeit der immerwährenden Gegenwart des Erlösers in denen, die Gott lieben. Die Eucharistie ist das immerwährende Ereignis dessen, was der Römerbrief sagt: Christus, von den Toten auferweckt, stirbt nicht mehr; der Tod hat keine Macht mehr über ihn (vgl. Röm 7,9). Die Eucharistie, in der uns Christus seinen Leib und sein Blut reicht, ist Leben, das nicht mehr endet, ist Leben für die Welt.

Die Eucharistie wäre ein leeres und bedeutungsloses Nichts, wenn nicht wahr und wirklich wäre: "Jesus Christus ist derselbe, gestern und heute und in Ewigkeit" (Hebr 13,8).

Unser irdisches Leben geht zu Ende. Jeder Mensch schaut bange auf dieses Ende. Jeder von uns betet mit dem Psalmisten: "Im sicheren Glück dachte ich einst: Ich werde niemals wanken. Herr, in deiner Güte stelltest du mich auf den schützenden Berg. Doch dann hast du dein Gesicht verborgen. Da bin ich erschrocken ... Was nützt dir mein Blut, wenn ich begraben bin? Kann der Staub dich preisen, deine Treue verkünden?" (Ps 30,7.8.10).

Als die Zeit erfüllt war, ist der Erlöser selbst in unsere bangen Fragen, in unsere Verzweiflung und Todesangst eingetreten. Christus stirbt nicht mehr und erhält für uns das Leben unversehrt. Wie Christus in jedem Menschen leidet und fragt, so betet er auch für uns und in uns den Lobpreis des gütigen Gottes: "Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet. Dafür singt dir mein Herz und will nicht verstummen. Herr, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit" (Ps 30,12 f.).

Die heiligste Eucharistie ist jene Liebe Christi, in der wir uns auf den einen Erlöser verlassen, der für uns alle stirbt, damit Leben ist, was des Menschen ist. Wenn wir heute gedenkend das Abendmahl feiern, treten wir ein in jenes Leben der Fülle, an dem wir teilhaben, weil einer für uns alle gestorben ist.

In der Nach vor seinem Tod geht Jesus nach dem Mahl auf den Ölberg, wo er jene Todesangst erfährt, die alle Dimensionen seiner Einsamkeit ausmißt. Die Jünger schliefen ein; vor Traurigkeit konnten sie nicht wachen. Aber Jesus hat in der Ölbergstunde jene Liebe zum Vater gefunden, die ihn einstehen läßt für die vielen des Volkes Gottes. Der Einsame ist der eine, der ein für allemal uns erlöst hat.

Amen.


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 11.04.1998.

 

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