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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

Jahr des Heiles - Jahr der Gnade
Das Heilige Jahr 2000
Beitrag für das "Jahrbuch der Diözese St. Pölten 2000"

In Fragen des Glaubens und des kirchlichen Lebens gibt es verschiedene Wege zu Einsicht und Anwendung; dies trifft auch auf die Frage zu, was für Katholiken das Große Jubiläumsjahr 2000 bedeutet und an gnadenvollen Chancen mit sich bringt. Sowohl konkrete praktische Erwägungen wie auch theologische Gedanken müssen sich in das Ganze des Erlösungswerkes Gottes, das wir im Gedenken an 2000 Jahre seit der Menschwerdung Christi feiern, wesentlich und wahrheitsgemäß einfügen.

In diesem Beitrag des Bischofs für das Jahrbuch der Diözese St. Pölten 2000 soll Konkretes und auch Machbares vorgeschlagen werden: Ganz sicher ist die Jahreszahl 2000 in sich nichts Außergewöhnliches; es werden die Mühen und Sorgen des Alltags 2000 die gleichen wie bisher sein. Dennoch liegen die Chancen der Veränderung zum Besseren bei uns und in unseren persönlichen Entscheidungen, die gewohnte Grenzen und Fehler durchaus überwinden können.

Wir dürfen Jubiläen feiern, damit die vielen gewöhnlichen Tage zwischen den Jubiläen ihren großen Zusammenhang und ihren Ernst aus den Großtaten Gottes erhalten. Es gibt in unserem Leben und in der Geschichte der ganzen Schöpfung keine einzige Sekunde, die nicht auch Zeit des Heils und der Erlösung wäre. Es liegt im Wesen der irdischen Zeit, daß jede Sekunde und Stunde gleich lang dauert wie die anderen. Gäbe es nicht den Menschen, der die Zeit erfährt und sich der Zeit bewußt wird, wäre der Ablauf der Zeit das Eintönigste, dessen Ende irgendwann da ist. Die Zeit, die Anfang und Ende hat, ist etwas Geschöpfliches, dessen Urheber der ewige Schöpfergott ist, der die Zeit mit den Dingen schuf aber zugleich völlig über der Zeit steht.

Die Rätselhaftigkeit der Zeit versucht der Mensch durch die Magie der Zahlen zu enthüllen; daher gibt es Kombinationen und Spekulationen mit der Zeit, die genauso nichts erbringen wie die Astrologie, die nur von der unseriösen Neugier lebt.

Der sittliche Mensch will immer schon mehr als machtlos im Fluß der Zeit stehen; jede freie und persönliche Entscheidung, über die nur der Mensch verfügt, ist ein Hinaustreten aus der Gleichförmigkeit der Zeit. Jedes Urteil mit absoluter Geltung ist ein Übersteigen dessen, was uns in der Zeit umgibt. Nicht nur Freiheit und Wahrheit sind die Sache des Menschen; auch Feste und Jubiläen kann nur der Mensch feiern. Denn nur dem geistbegabten Menschen gelingt es, das Ereignis der Zeit in einem Ganzen irgendwie festzuhalten und diesem eine Weise der Transzendenz und Absolutheit zu geben.

Die Fähigkeit zum Feiern der Feste und zur jubilierenden Erinnerung gehört zum Wesentlichen des Humanen, in dem sich die Zeitlichkeit des Menschen mit der unveränderlichen Ewigkeit Gottes in eine gewisse von Gott geschenkte Übereinstimmung bringt: Feste und Jubiläen begründen sich in der Gottesbeziehung, die gegenüber dem unerbittlichen Fluß der Zeit das ewige und unabänderliche "Jetzt" der Wirklichkeit Gottes erfahrbar macht.

Die Seligkeit des Feierns kann also nicht bloß ein zufälliges Gefühl des Menschen sein. Die heilige Liturgie der katholischen Kirche, die vor allem in der sakramentalen Feier der Eucharistie etwas anderes als ein bloß zeitliches Ereignis ist, erreicht eine Höhe, von der das II. Vatikanische Konzil feststellt: "Jede liturgische Feier (ist) als Werk Christi, des Priesters und seines Leibes, der die Kirche ist, im vorzüglichen Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht" (Konstitution über die heilige Liturgie, Nr. 7).

Wenn wir das Jubiläumsjahr 2000 feiern, beziehen wir uns auf die Menschwerdung Christi, die sich ereignete, als die "Zeit erfüllt" war und Gott seinen Sohn sandte (vgl. Gal 4,4). Vor aller Zeit ist der ewige Sohn Gottes aus dem Vater geboren; nicht die Zeit ist es, in deren Summe der Erlöser aus Maria Mensch geworden ist; Christus hat vielmehr die Zeit erfüllt mit jenem Leben, das ihm, dem menschgewordenen Auferstandenen gehört, weil der Auferstandene nicht mehr stirbt (vgl. Röm 6,9). Es geht also um die von Christus erfüllte Zeit, in die wir sterbliche Menschen eintreten müssen, damit eine Zeit des Heils und der Gnade in unserer Geschichte sich ereignen.

Wenn wir Menschen in der Teilhabe an der Gnade Christi unsere Geschichte gestalten, werden unsere Gebete und Taten, unsere Mühen und Feiern, unsere Treue und Prüfungen aus der wirklichen Mitte des Erlösers gelten und zugleich mehr sein als unsere meßbare Zeit, die kommt und unwiederbringlich vergeht. Der Ernst des Feierns und Jubilierens lebt also nicht von einer runden Zahl, sondern von der Bekehrung, die durch Christus und die Kirche zur Botschaft der Geschichte an den Menschen geworden ist.

Wie sollen wir in unserer Diözese das Jahr 2000 gemäß der Absicht Gottes und für die Erhebung zu Gott feiern?

Gott ist die Liebe, Gott ist die Barmherzigkeit, die jedem Menschen geschenkt ist, wenn er ein Mensch guten Willens ist. Wenn wir als sündige Menschen jeden Tag um die Versöhnung mit Gott und um die Verzeihung unserer Sünden bitten müssen, dann soll das Jubeljahr 2000 die große Erinnerung an Gottes verzeihende Liebe sein. Jeder von uns soll seine Sünde vor Gott bekennen. Jedem steht das Sakrament der Buße offen; jeder kann durch dieses Sakrament wie der verlorene Sohn zum göttlichen Vater heimkehren und den Frieden seines Gewissens wiederfinden.

Sünde und Schuld des Menschen sind ein Mißverhältnis des Menschen gegenüber Gott und gegenüber der Wahrheit des Menschen selbst. Jede Sünde ist ein ganz konkreter Mangel an dem, was in Gott heilig ist. Sünde bedeutet nicht nur, daß das Bewußtsein von Schuld dem Gewissen des Menschen die Sünde anzeigt. Wir glauben an Gott und wissen dadurch, wer Gott ist, mit dem der sündige Mensch nicht übereinstimmt. So ist Sünde nicht einfach eine unbegründbare Sache eines Gefühls, sondern die vom gebildeten Gewissen des Menschen angezeigte Abweichung von der Heiligkeit Gottes und vom ordnenden Willen des Schöpfers.

Gott ist heilig aus sich und in sich und hat keinerlei Bedarf, sich Heiligkeit zu erwerben oder diese zu vermehren. Gott ist der Heilige, er war es immer und er wird es ewig sein. So kann Gott in voller Unbedingtheit die Menschen aufrufen: "Ich bin der Herr euer Gott. Erweist euch als heilig und seid heilig, weil ich heilig bin" (Lev 11,44). Sicher ist es für uns mühsam, heilig zu werden und heilig zu sein: Wir werden zum Bösen versucht, wir müssen das Böse meiden und das Böse durch das Gute besiegen; wir müssen der Sünde als der Treulosigkeit gegenüber der Heiligkeit Gottes widersagen. Wir müssen in jedem Schritt zu unserer Heiligkeit bedenken, daß unsere Seligkeit es sein wird, Gott zu erkennen wie er ist. Und Gott ist heilig; so werden wir ihn erkennen und lieben und bei ihm sein.

Wenn das Heilige Jahr der Erlösung aus dem Zufall und aus der Gleichförmigkeit der ablaufenden Zeit sich erheben soll, ist unsere Heiligung das Gebot der Stunde. Wem es nicht gelingt, sein Leben in Heiligkeit zu beenden, dem bleibt nur das ewige Scheitern in der Gnadenlosigkeit der Hölle.

Der heilige und geheiligte Mensch ist schließlich der Sieg über die Sünde; er darf zum Vater im Himmel heimkehren, der ihn einst zum Leben und Heil vorausbestimmte durch Jesus Christus. Das Drama unserer Heiligung vollführt sich darin, daß Gottes Liebe immer größer als unsere Sünde ist; wir dürfen immer wieder neu beginnen, wenn die Sünde uns besiegt, wir aber wieder Gottes Liebe suchen.

Wenn wir den Gnadenweg des Heiligen Jahres gehen wollen, müssen wir viele konkrete Erkenntnisse gewinnen und Taten setzen. Zuerst ein Wort an alle Gläubigen: Die sakramentale und persönliche Beichte ist bei vielen in Vergessenheit geraten. Wir erfreuen uns eines gesicherten Wohlstandes, der oft das Gewissen einschläfert. Jede Sünde ist ein Abfall von Gott, den wir oft vergessen oder manchmal sogar verachten. Denn die Gebote Gottes dürfen den lauen Menschen anscheinend nicht mehr Weg und Weisung sein; so leben viele in Stolz, Gleichgültigkeit, Ungehorsam, Unzucht und Untreue; gemeinsam ist all diesen Sünden gegen Gottes Gebote der Maßstab von Menschen, die so leben, als ob es Gott nicht gäbe.

Wir brauchen ein gebildetes Gewissen, das um die Gebote Gottes, um das Gesetz Christi, um die Lehre der Kirche und um die Ordnung des Schöpfers weiß. Daher ist es von größter Bedeutung, daß alle Menschen auf Christus und die Kirche hören. Christus sagt zu den Aposteln und zu allen, die sein Werk fortführen: "Wer euch hört, der hört mich; wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat" (Lk 10,16).

Der auferstandene Herr hat den Aposteln die Vollmacht zur Sündenvergebung verliehen; die Kirche selbst hat den Auftrag, in ihren Sakramenten die Vergebung der Sünden und die Gnade der Gotteskindschaft zu vermitteln. Ohne die Kirche und gegen die Kirche erlangt der Mensch nicht sein Heil. Wer also mit Gott versöhnt sein will, muß auch mit der Kirche Christi versöhnt sein. So kann das Heilige Jahr der Gnade nur denen gewährt sein, die den Weg der Gnade in der Kirche gehen: Wer mit Gott versöhnt sein will, der muß in der Kirche leben und die Kirche lieben. Wer die Kirche durch Austritt verläßt oder den Glauben der Kirche bestreitet, dem kann die Kirche nicht geben, was ihn mit Gott versöhnt; ihm sind die Sünden nicht erlassen.

Nach der Lehre des II. Vatikanischen Konzils ist die Kirche "Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott". Wer aber die Kirche ablehnt, der lehnt seine innigste Vereinigung mit Gott ab und stört zugleich die "Einheit der ganzen Menschheit", für die die Kirche in Christus gleichsam das Sakrament ist (vgl. LG 1).

Wie Christus der alleinige Erlöser des Menschen ist, so ist auch alles Heil in der Kirche Christi grundgelegt, auch wenn noch viele Menschen die Kirche nicht kennen und nicht bewußt zu ihr gehören. Wer Gott finden und lieben will, der kann ohne die Kirche nichts erreichen. Die Kirche ist jene Notwendigkeit, mit der Gott für immer seine Liebe zu den Menschen verbunden hat; durch Christus, der die Kirche gestiftet hat, wird die Kirche allezeit jenes Sakrament gleichsam sein, das nicht zufällig sondern aus Gottes eigenem Willen für jeden Menschen zum Heil werden kann.

Man hört heute, daß die Mißverständnisse bezüglich der Kirche oft darin liegen, daß der Ursprung und das Ziel der Kirche nicht mehr als in Gott begründet gelten. So wird die Kirche in unserer Zeit zum Gegenstand profaner Gedanken und rein menschlicher Interessen; damit hätten wir den Glauben an die Kirche als "Geheimnis" verloren. Der Begriff eines Geheimnisses des Glaubens bedeutet nicht einfach, daß wir mangelhaft erkennen und eigentlich nichts wissen. Es ist vielmehr der göttliche Ursprung dessen, was wir Geheimnis/Mysterium nennen; das Geheimnisvolle liegt darin, daß nicht mit menschlichen Mitteln der Vernunft und des Wissens die wahre Wirklichkeit des Geheimnisses Gottes ermessen werden kann. Es ist letztlich das Geschöpf-Sein des Menschen, das in allem sich dem Schöpfer verdankt, aber in allem Gott immer noch unähnlicher als ähnlich ist.

Es gab Jahrhunderte der Kirchengeschichte, in denen ein Heiliges Jahr von den Christen nicht gefeiert wurde; es handelt sich also eher um ein "Zeichen der Zeit", das die Kirche auch im Jahr 2000 als das Gotteszeichen aufnehmen und verkünden wird: Versöhnt euch mit Gott; kehrt um und seid Christi Brüder und Schwestern!

Auch wenn wir uns bewußt sind, daß es nicht zum Wesen der Kirche und des Glaubens gehört, ein Jubeljahr der Erlösung zu feiern, wollen wir dennoch den Aufruf des Heiligen Vaters als ein Tor zur Gnade des Erlösers betrachten. Die Chance dieses Zeichens der Zeit ist der Weg, Gott über alles zu lieben und die Kirche mit ihrer konkreten Ordnung als die immerwährende Gegenwart Christi im Menschen und in der Geschichte zu glauben und alle Hoffnung auf jene Liebe des Vaters zu setzen, die uns in Christus offenbart ist.

Wenn wir also dankbar und würdig vom Weihnachtsfest 1999 bis zum Fest der Erscheinung des Herrn im Jahr 2001 das Jubeljahr feiern wollen, werden wir für unsere Versöhnung mit Gott und mit unseren Brüdern und Schwestern viele Ideen entwickeln und viele konkrete Wege beschreiten müssen. Bald wird es wieder Jahre geben, in denen wir uns nur mehr an 2000 erinnern. Vielleicht jedoch wird es dann Menschen geben, die gerade im Jubeljahr 2000 Gott wiedergefunden haben, sich bekehrt und ihre erste Liebe zu Gott erneuert haben. Auch wenn nur ein einziger Mensch in diesen Tagen der Gnade sein Heil und seinen Seelenfrieden gefunden hätte, wäre alle Mühe vor Gott gerechtfertigt.

Ich hoffe, daß die Priester und Gläubigen der Diözese ihre Begabungen dafür einsetzen. Ganz besonders groß wäre unsere Freude, wenn die Jugend, der das nächste Jahrtausend gehören wird, sich in der Kirche Christi sammelt und uns Hoffnung gibt. Ein neues Bronzeportal im St. Pöltner Dom, das zum Beginn des Heiligen Jahres gesegnet und geöffnet werden wird, soll für lange Zeit ein historisches Zeugnis dafür geben, daß unser Land und seine Menschen zu Christus und zur Kirche gehören.

 

Das Jahrbuch 2000 ist bereits erschienen.

Jahrbuch der Diözese St. Pölten
herausgegeben und verlegt vom Bischöflichen Pastoralamt der Diözese St. Pölten

Bestellungen beim Behelfsdienst der Diözese St. Pölten, Klostergasse 15, A-3101 St. Pölten, presse.stpoelten@kirche.at; Preis: ATS 90,- (+ Porto)


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 09.11.1999.

 

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