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Alt-Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten


Kurt Krenn ging es stets um die Wahrheit

 

Nach einem Jahrzehnt langer und schwerer Krankheit starb der emeritierte Bischof von St. Pölten am Samstag, dem 25.01.2014

Von Stephan Baier

Quelle: Die Tagespost, 28.01.2014, www.die-tagespost.de
Mit freundlicher Erlaubnis des Autors auf www.hippolytus.net publiziert

 

Wien (DT) Weder seine Gegner noch seine Bewunderer – und beider Zahl war in Österreich beträchtlich – hätten je bestritten, dass Bischof Kurt Krenn eine überaus beeindruckende, erstaunliche, außergewöhnliche Persönlichkeit war. Bevor er sich 2004, nach dem Rücktritt als Diözesanbischof von St. Pölten, ganz in das Schweigen zurückzog, konnte er leutselig mit einem Glas Bier in der Hand mit Arbeitern und Bauern scherzen, konnte auch geistreich über die Philosophie von Hegel oder Heidegger diskutieren. Doch unabhängig von Ort und Zeit, von Rückenwind oder Gegenwind, von Widerpart und Auditorium ließ Kurt Krenn an einem nie einen Zweifel: dass es ihm darum ging, den Menschen von der wirklichen Wirklichkeit Gottes zu künden.
Eine akademische Karriere, wie sie seine beiden Brüder machten, schien auch Kurt, geboren 1936 im oberösterreichischen Rannariedl, irgendwie in die Wiege gelegt. Beide Eltern waren Lehrer. Der Vater starb jung, fiel 1944 als Soldat in Frankreich. Mutter Leopoldine hielt die Familie zusammen, war zeitlebens seine engste Bezugsperson. Nicht zufällig waren in seinen letzten Lebensjahren, als Kurt Krenn schon ein Pflegefall war, zwei Fotos stets in Sichtweite des Krankenbettes: ein Bild der Mutter und eines von Papst Johannes Paul II. Zurück zur Kindheit: Im Gymnasium des Stiftes Schlierbach fiel der hochbegabte Kurt rasch auf, lernte leicht und viel, gab den um Jahre älteren Maturanten Latein-Nachhilfe.
Den jungen Priesteramtskandidaten schickte der Bischof von Linz 1955 für ein Jahrzehnt nach Rom. Hier las Krenn nicht nur das Gesamtwerk des Thomas von Aquin – im lateinischen Original – wie er auch seine Notizen in mikroskopisch kleiner Schrift auf Latein verfasste. Er verschlang Kant und Hegel, Aristoteles und Wittgenstein. Theologie und Philosophie studierte er an der Gregoriana, parallel dazu Kirchenrecht an der Lateran-Universität. Als „Werk eines Meisters“ klassifizierten die Professoren seine 1962 publizierte philosophische Dissertation über den „Sinn des Seins in der Befindlichkeit der Partizipation beim hl. Thomas von Aquin“. Da kreiste sein Denken bereits ganz um „die Begründung aller Analogie und Sinnhaftigkeit im personalen Geistwesen“, um die Freiheit Gottes und die Personalität des Menschen, um den „Vollzug des Wahren und Guten“, wie es am Ende seiner Dissertation heißt.
1962 wurde Kurt Krenn in der römischen Jesuitenkirche Sant' Ignazio zum Priester geweiht. Die Primiz feierte er in der Basilika Santa Maria Maggiore. Die Pfarrarbeit nahe Rom beendete ein Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung: Krenn setzte seine Studien in Tübingen und München fort. 1970 wurde er Professor für Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Linz, hielt zeitgleich Vorlesungen an der Universität Linz über Umweltethik und theologisch-naturwissenschaftliche Grenzfragen. 1975 wurde er Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg. Joseph Ratzinger lehrte hier, bis zu seiner Ernennung zum Erzbischof von München-Freising, Dogmatik und Dogmengeschichte – Kurt Krenn von 1975 bis 1987 Philosophie. Ratzinger wie Krenn ging es darum, den christlichen Glauben als vernünftig, und die menschliche Vernunft als Gott-fähig zu zeigen.
Kirchenpolitik spielte in Krenns Regensburger Vorlesungen keine Rolle. Hier ging es darum, sich denkerisch dem Ganzen zu nähern, der „wirklichen Wirklichkeit Gottes“ als Mitte aller Theologie. Krenn widersprach der Aufsplitterung der Theologie in profanwissenschaftliche Disziplinen: „Will die Theologie eine eigenständige Wissenschaft und nicht nur die Summe von einzelnen religionswissenschaftlichen Bemühungen sein, muss die Wirklichkeit Gottes also Gegenstand und begriffliches Movens aller theologischen Disziplinen sein.“ Krenn war stets überzeugt, dass der Mensch nicht Schöpfer, sondern Entdecker der Wahrheit ist. „Der Mensch hat eine Teilhabe zur Wahrheit.“ Seine Vorlesungen und Seminare waren Einübungen in das metaphysische Denken.
So sehr ihn die Philosophie auch bewegte und die Lehrtätigkeit faszinierte, immer blieb er zugleich Seelsorger. Und er blieb zeitlebens seiner Familie und seiner engeren Heimat verbunden: Von den Vorlesungen in Linz und Regensburg eilte er ins Mühlviertel, um Filialkirchen zu betreuen, kommunale Projekte voranzutreiben und bei seinen Leuten zu sein.
1977 wurde er Geschäftsführer der Internationalen Gesellschaft für Religionspsychologie, später deren Vorsitzender und Herausgeber der Zeitschrift „Archiv für Religionspsychologie“. Mit den Dogmatikern Leo Scheffczyk und Anton Ziegenaus gab er ab 1985 das „Forum Katholische Theologie“ heraus. Er hielt Vorträge in Polen und Italien, beeindruckte den Lubliner Metaphysiker und späteren Lemberger Kardinal Marian Jaworski mit seiner Analyse der Enzyklika „Redemptor hominis“, war hin und wieder bei Johannes Paul II. zum Frühstück geladen. Immer wieder aber wanderte sein Blick nach Oberkappel, in die Heimat.
1987 ernannte Johannes Paul II. den Oberösterreicher zum Weihbischof für die Erzdiözese Wien. Hier waren kirchliches Milieu und säkulare Öffentlichkeit bereits höchst gereizt, denn die Ernennung des Benediktiners Hans Hermann Groer zum Nachfolger des weltläufigen Kardinal Franz König hatte im Jahr zuvor viele Gemüter in Wallung gebracht. An Krenns Ernennung entlud sich nun, was sich innerkirchlich an Aggression aufgestaut hatte: Unterschriftenaktionen und Memoranden wandten sich gegen Kurt Krenn, den das Magazin „Profil“ als „österreichischen Ratzinger“ titulierte. Krenn, dem jede Menschenfurcht völlig fremd war, wich keiner Konfrontation aus. Auf den „heißen Stuhl“ eines deutschen Privatsenders wagte er sich ebenso wie in asymmetrisch komponierte ORF-Diskussionsrunden.
Anders als an der Regensburger Universität traf der Metaphysiker hier aber nicht auf junge Wahrheitssucher, sondern auf unversöhnliche und polemische Kritiker. Nicht das gemeinsame Ringen um das Wahre und Gute war hier Ziel des Dialogs, sondern die Wirkung im Schlagabtausch. Mit dem Gegenüber änderte sich bald auch der Ton. Wie er unterschiedliche Sportarten beherrschte, etwa Boxen, Fußball und Tennis, so auch unterschiedliche Tonalitäten in der Diskussion. Kurt Krenn musste viel einstecken, aber er lernte auch auszuteilen. Die Kontroversen wurden schärfer, die Medien trugen zur Zuspitzung bei.
Noch immer ging es Kurt Krenn um die Wahrheit Gottes und des Menschen, doch wurde dem Wiener Weihbischof nun jeder Begriff wie eine Waffe um die Ohren geschlagen. „Der Mensch hat ein Recht auf die Wahrheit“, sagte Krenn, doch seine Gegner hörten nur Anmaßung und Dialogverweigerung. Es brauche wieder die Toleranz, dass man „Irrtum nennen darf, was Irrtum ist“, sagte Krenn und stach damit in das Wespennest des Relativismus. Immerhin wurde wieder über Gewissen und Offenbarung, über das Wesen der Kirche und die Wahrheitsfähigkeit des Menschen öffentlich gestritten – aber nicht in akademischer Diskussionskultur, sondern auf dem Niveau des Boulevard.
Als philosophischer Denker wurde Krenn in Österreich bloß von einer Minderheit beachtet. Für die Massenmedien, denen er oft für eine Story gut war, schien er ein Boxer im kirchenpolitischen Ring.
1991 wurde Kurt Krenn zum Diözesanbischof von St. Pölten ernannt. Zum Wahrheitssucher und Glaubenslehrer trat nun die Dimension des Regierens. Krenn wollte nicht bloß verwalten, sondern gestalten, wollte die ihm anvertraute Ortskirche enger an die Weltkirche anbinden, weil jede Teilkirche nur „in der ganzheitlichen Identität der Gesamtkirche“ wirklich Kirche sein könne. Die „Wahrheit des Glaubens“ zu verteidigen, Begriffe wie Toleranz und Gewissen vor der Profanierung zu retten, dem innerkirchlichen Provinzialismus zu widersprechen und die Protestantisierung der katholischen Kirche als Irrweg zu entlarven, das waren Anliegen, die Bischof Krenn auch innerhalb der Kirche unversöhnliche Gegner einbrachten.
Die Differenzen mit niederösterreichischen Pfarrern und Äbten, aber bald auch innerhalb der Bischofskonferenz – nicht zuletzt über den „Fall Groer“ – wurden von den Medien breit ausgeschlachtet. Und Bischof Krenn wich den Mikrofonen selten aus. Doch alle Kontroversen über die Ausrichtung der Kirche und ihrer Theologie hätten den streitbaren Hirten von St. Pölten nicht zu Fall gebracht.
Die Förderung des Priesternachwuchses war ihm ein zentrales Anliegen, und wurde ihm letztlich zum Verhängnis. Im Gespräch mit dieser Zeitung meinte Krenn 2001, man müsse Erfolg auch quantifizieren, also solle man seine Amtszeit daran messen, ob es nachher mehr Priester in der Diözese gebe als vorher. Das Pöltner Seminar wuchs, aber das Unkraut darin offenbar auch. Als der von ihm installierten Leitung des Priesterseminars homosexuelle Aktivitäten zugeschrieben wurden, als Krenn die Vorwürfe allzu schnell abtat, da wandten sich viele Bischöfe von Krenn ab. Der Vorarlberger Diözesanbischof Klaus Küng, der im Juli 2004 zum Visitator bestellt wurde, ortete üble Missstände im St. Pöltner Seminar. Der Druck auf den gesundheitlich bereits angeschlagenen Bischof Krenn wuchs – der Druck auf den ebenfalls nicht gesunden Papst auch. Ende September 2004 schließlich trat Kurt Krenn als Diözesanbischof von St. Pölten zurück. „Ich habe immer gesagt, ich werde das tun, was der Papst sagt“, lautete seine Begründung.
So präsent Kurt Krenn in den 17 Jahren seines bischöflichen Dienstes gewesen war, so konsequent entzog er sich nun der Öffentlichkeit. Er zog sich ganz zurück, um – entsprechend seinem Bischofsmotto „Christi misericordia pax nostra“ – in der Barmherzigkeit Christi seinen Frieden zu finden.
Zum 70. Geburtstag schrieb ihm sein früherer Regensburger Professorenkollege, Papst Benedikt XVI., in einem Trostschreiben: „Wie ich höre, leidest Du an Leib und Seele. So liegt es mir am Herzen, Dir ein Zeichen meiner Nähe zukommen zu lassen.“ Hatte er bis 2004 die Kirche in Österreich maßgeblich mitgeprägt, so stand für Kurt Krenn am Ende nun ein Jahrzehnt des Leidens.
Am Samstag, dem 25. Jänner 2014, starb er im Kreis seiner Familie im Kloster der Dienerinnen der Immaculata in Gerersdorf bei St. Pölten, wo er in den zurückliegenden Jahren gepflegt worden war. In seiner Sorge um die Kirche und ihre Sendung könne er ein Vorbild sein, meinte sein Nachfolger Klaus Küng noch am Todestag. Und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Wiener Kardinal Christoph Schönborn, anerkannte, Krenn habe sich „nie gescheut, auch schwierige Themen und das Widerständige der kirchlichen Lehre gegen den Mainstream zu argumentieren und zu verteidigen“. Das feierliche Requiem findet am 8. Februar 2014 im St. Pöltner Dom statt, in dessen Bischofsgruft Kurt Krenn seine letzte Ruhe finden soll.

 

 

Biographische Daten von Bischof Kurt Krenn:

28. Juni 1936, geboren in Rannariedl (OÖ)

2. Juli 1936, getauft in Rannariedl

1945 Übersiedlung nach Oberkappel

1945–1947 Volksschule in Oberkappel

1947–1954 Realgymnasium in Schlierbach

1954 Eintritt ins Priesterseminar Linz

1955–1965 Studium der Philosophie und der Theologie an der Gregoriana in Rom, Studium des Kirchenrechtes an der Lateranuniversität in Rom

7. Oktober 1962 Priesterweihe in Rom

1965 Seelsorger in der Pfarre Capena (bei Rom)

1965–1966 Studium an der Universität in Tübingen

1966–1967 Studium an der Universität in München

1966–1970 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität München

1970–1975 Professor der Philosophie in Linz

1974–1975 Lehrbeauftragter an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten

Mitglied des Richterkollegiums des Diözesangerichts in Linz

1975 Professor auf dem Lehrstuhl für „Systematische Theologie“ in Regensburg

Vorlesungen an den Universitäten Eichstätt und Parma

1977 Geschäftsführer der Internationalen Gesellschaft für Religionspsychologie in Uppsala

1966–1987 Seelsorger in Altenhof, Neustift und Oberkappel, Dekanat Sarleinsbach (OÖ)

3. März 1987 Ernennung zum Weihbischof der Erzdiözese Wien (für Kunst, Kultur und Wissenschaft)

26. April 1987 Weihe zum Titularbischof von Aulona in Wien durch Kardinal Dr. H.H. Groër

1987–1991 Weihbischof in Wien

11. Juli 1991 Ernennung zum Bischof von St. Pölten

15. September 1991 Amtsübernahme als Diözesanbischof von St. Pölten

Vorsitzender der Finanzkommission der Österreichischen Bischofskonferenz und zuständiger Bischof für den Sport

7. Oktober 2004 Päpstliche Annahme des Rücktritts (Emeritierung)

25. Jänner 2014 verstorben im Mutterhaus der Dienerinnen der Immaculata in Gerersdorf