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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

 

Beitrag bei der Diskussion um die Rechtfertigungslehre 
mit Bischof Dr. Kurt Krenn, Superintendent Mag. Paul Weiland
 und Erzbischof Dr. Mesrop Krikorian
30. Oktober 2000, 19.30 Uhr
im Bildungshaus St. Hippolyt in St. Pölten

 

Eine Aufzeichnung dieser Diskussion wird in der Sendung "Erfüllte Zeit" am Sonntag, 5. November 2000 in Ö1 von 7.05 bis 8.00 Uhr gesendet.

Jeden gläubigen Menschen mag die Frage bewegen: “Wie finde ich einen gnädigen Gott?”  Diese Frage darf und soll sich auch der Katholik stellen.

Seit dem 31. Oktober 1999 gibt es die “gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre”, die in Augsburg vom Lutherischen Weltbund und vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen unterzeichnet wurde.

Die Lehre von der Rechtfertigung ist jener Artikel, mit dem nach lutherischen Tradition die Kirche “steht und fällt”. Hier liegt für die Lutheraner der Kernpunkt aller Auseinandersetzungen mit der römisch-katholischen Kirche. Wollte man also eine Einheit suchen, mußte man dort ansetzen, wo die lutherische Reformation und das ökumenische Konzil von Trient in harten Widerspruch und Gegensatz getreten sind und sehr unterschiedliche Bekenntnisse ihres jeweiligen Glaubens formuliert haben.

Leider hat die GE keine Darstellung dessen gegeben, was die Katholiken gegenüber der lutherischen Reformation beantwortet wünschen: Martin Luther war katholischer Priester und Ordensmann; die entstehenden “Kirchen” befanden sich allesamt in katholischen Ländern und Kirchen. Man erklärt nur teilweise richtig, wenn man im Ablaßstreit und in der Unordnung der damaligen Kirche die Ursachen der immer tiefer werdenden Spaltung sieht. Während bis heute die katholische Glaubenslehre ihre Geltung daher hat, daß sie in ihrer ganzen Geschichte die identische Ausfaltung der Lehre von den Aposteln bis zur Gegenwart ist, ist die Reformation eher wie ein plötzlicher Einbruch in ein Gefüge zu sehen, das bis zu Luther katholische Kirche und Lehre war. Bei aller Kontroverse seit der Reformation bleibt die Frage, ob mit der Reformation etwas begonnen hat, was zwar auch einmal in der Gemeinsamkeit einer 1500-jährigen Geschichte existierte, das aber so überwältigend und überzeugend für die Anhänger der Reformation war, daß schließlich ein Neues nunmehr 1500 Jahre Tradition übertraf und vieles davon außer Kraft setzte. Wir fragen: Wer ist Martin Luther für seine Reformation? Ein besonderer Lehrer? ein Prophet? ein Beschützter von den Fürsten, die die Güter der Kirche rauben wollten? Sind diese Fragen nicht sehr legitim und deuten nicht die Zeichen der Zeit, die durch Luther und gegen Luther geworden sind?

In einer Kirche, deren Offenbarungsvermittlung durch die Tradition und die Heilige Schrift geschieht, tritt die Reformation nunmehr mit dem Anspruch auf, alles allein aus dem Buchstaben der Schrift zu begründen. Die Bewegung der Reformation proklamierte das Prinzip der sola scriptura; kann sich die Rechtfertigungslehre wirklich allein aus der vorgegebenen Schrift rechtfertigen, wenn man bedenkt, daß mit der Reformation doch etwas ganz Neues auftritt, was dem bisherigen Leben und der Lehre der Kirche widerspricht? Das beklagte Versagen der katholischen Kirche kann nicht einfach der Grund für das Neue sein, als welches Neue die Rechtfertigungslehre der Reformation auftritt und als Inbegriff gelten will, in dem die Kirche steht und fällt.

Die überhöhte Einschätzung der lutherischen Frage nach der Rechtfertigung kann für die katholische Sicht nicht beantworten, was die Grundfragen der Christen sind. Die katholische Theologie muß mehr fragen als das durchaus wichtige Gottesverhältnis in der Rechtfertigung; auch die Frage nach dem Woher? und Wohin? und nach dem Wesen des ganzen Menschen muß zur Antwort über das Verhältnis von Gott und Mensch beitragen, um nicht in der reinen Subjektivität einer “fides qua” gefangen zu sein.

Die lutherische Theologie betont die sola fides im Vorgang der Rechtfertigung, um alle hinführenden Werke und das Natürliche des Menschen in einer Rechtfertigung durch Gottes Gnade im Glauben an Christus wesentlich hintanzustellen. Dennoch muß auf die katholische Glaubenslehre hingewiesen werden, daß der Mensch bei der Vorbereitung auf die Rechtfertigung und deren Annahme durch seine Zustimmung zu Gottes rechtfertigendem Handeln “mitwirkt”, während die Lutheraner festhalten, daß der Mensch nur empfangen kann (mere passive) und keinen eigenen Beitrag zu seiner Rechtfertigung leistet.

Wenn in der GE unter diesem Gegensatz von einer “Entfaltung des gemeinsamen Verständnisses der Rechtfertigung” (Pkt 4) gesprochen wird, so müßte bezüglich der Konsensfähigkeit solcher Positionen bedacht werden, was die Lehre des II. Vatikanischen Konzils ist (LG 16): “Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluß der Gnade in der Welt zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen”. Ein möglicher Konsens mit der sola fides, der sola scriptura dürfte aus dieser Sicht nur schwer erkennbar sein.

Was kann eine gemeinsame Erklärung der katholischen und der lutherischen Kirche im gegenwärtigen Stand der Probleme erbringen?  Niemand kann einen neuen Glaubensartikel, der von allen Seiten zu bekennen wäre, erwarten.

Das Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten, das Auflösen von Mißverständnissen und das Entschärfen von Widersprüchen kann noch nicht zu einem Glaubensartikel bezüglich der Rechtfertigung führen, der von allen Seiten in denselben Worten und mit demselben Anspruch auf Geltung zu bekennen ist. Es ist nicht Sache der katholischen Kirche, die Autorität des Lutherischen Weltbunden zu bewerten, da in der lutherischen Glaubensgemeinschaft das hierarchische Lehramt nicht gegeben ist. Andererseits ist die katholische Kirche sehr wohl vom Lehramt des Konzils von Trient festgelegt. Sollte ein gemeinsamer Glaubensartikel mit dem Anspruch göttlicher und katholischer Wahrheit erreicht werden, müßte dieser vom Lehramt des Papstes und vom kollegialen Lehramt der Bischöfe in Einheit mit dem Papst ausgesprochen und verantwortet werden.

Bis zur Klärung einer solchen Frage ist die GE bei weitem nicht vorgedrungen; die Erklärungen der GE müssen daher in einer vorläufigen Sprache und distanziert von einem endgültigen Glaubensartikel verfaßt sein. Man wird in der Frage der Rechtfertigung mit größerer Klarheit sich bewegen, wenn das Ganze des Glaubens und der Theologie bedacht und geprüft wird; dies konnte die GE bisher sicher nicht leisten. Der “Konsens” in “Grundwahrheiten” der Rechtfertigungslehre hat noch viele Mühen vor sich, die mehr als verbleibende Unterschiede, theologische Ausgestaltung und Akzentsetzung des Rechtfertigungsverständnisses (vgl. 5,40) betreffen.

Die Rechtfertigungslehre verlangt ohne Zweifel auch die entsprechende Darstellung der Erbsünde und der Wahrheit des Glaubens über den Menschen.


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 31.10.2000.

 

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