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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

 

Die gottgeschenkte Würde des Menschen
Vortrag vor der K.Ö.St.V. Kürnberg in Wien am 27.01.1999

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde!

Danke für die Einladung. Es gäbe viele Möglichkeiten, es so oder anders zu machen. Ich hätte durchaus Themen und Inhalte, die auch etwas einführen. Es kann aber auch sein, daß Sie die Aktualität wünschen oder Fragen stellen wollen. Ich sage grundsätzlich immer: Es kann jede Frage gestellt werden, ob ich sie beantworten kann, kann ich vorweg nicht versprechen. Aber bemühen werde ich mich auf jeden Fall!

Was wir heute erleben, meine lieben, sehr verehrten Zuhörer, ist einfach durchaus nichts so Neuartiges; was da so getan oder gesagt wird - auch die Situation der Kirche -, ist nicht so neuartig. Die Kirche hatte schon immer gute Zeiten und schwierige Zeiten. Ich glaube, wenn Sie einen Bischof einladen, dann wollen Sie auch irgend etwas wenigstens in Grundzügen und auch mit voller Ernsthaftigkeit von Gott hören, von der Existenz Gottes. Und ich meine, daß sich aus dem heraus - da ja die Kirche ein Werk Gottes ist, da die Kirche ja nicht ein Menschenwerk ist - vieles ergibt im Selbstverständnis unseres Tuns, unserer Maßstäbe und auch unserer Kriterien. Wir sind keine soziologische Größe. Auch wenn man uns sicher mit der Parabel der Soziologe beschreiben kann. Wir sind auch kein Therapieverein. Wir sind auch keine soziale Bewegung, sondern wir sind eine von Christus gestiftete Kirche, ein Werk Gottes. Und das II. Vatikanische Konzil hat ja immer auch schon betont, daß die Kirche, wie sie jetzt da ist und wie wir sie heute erleben, nicht mit uns erst anfängt, sondern es wird ganz deutlich gesagt: Die Kirche ist in der Schöpfung Gottes bereits in dem Augenblick, in dem Gott eigentlich ein Geschöpf sein ließ, der die Schöpfung hervorgehen ließ, schon mitbedeutet, so wird das gesagt. Diese Kirche ist weiter im Laufe der Heilsgeschichte nicht nur mitbedeutet in der Schöpfung, sondern auch vorbereitet, voraus bereitet in der Geschichte des Volkes Israel bei den Propheten, und dann in der Fülle der Zeit, das ist jene Zeit, in der Christus Mensch wurde - denn von da an hat die erfüllte Zeit begonnen -, von da an ist sie gestiftet. Die Kirche ist also etwas, was sich auf Christus, auf Gott immer berufen muß, will sie in irgendeiner Weise von den Menschen gehört oder auch angenommen werden. Sie ist von Christus gestiftet, sie ist im Pfingstfest, im Kommen des Geistes geoffenbart. Und diese Kirche wird bestehen bis zum Ende der Zeiten. Und zwar wird sie auch weiterbestehen bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht Gottes stattfindet und - das ist eigentlich auch diese gewisse Ewigkeit der Kirche - wir werden dann beim Vater versammelt sein. Wir werden versammelt sein als die Geretteten und als die Erwählten. So haben wir es also mit der Kirche zu tun - wir sitzen hier beisammen. Aber wir haben dann auch zu tun mit dem Anfang der Welt, mit dem Sinn der Schöpfung, mit den Motiven Gottes, die er eigentlich hat mit der Schöpfung und mit den Menschen. Wir haben mit dem allen zu tun als Kirche, und wir haben auch mit dem zu tun, was Zukunft ist, was nach uns kommt, was wir dafür gestalten müssen und wofür wir auch Verantwortung tragen. Und diese Kirche, sie wird bestehen. Sie wird nicht untergehen. Das ist einer der Glaubenssätze, die uns sehr wohl binden. Und selbst in Zeiten, die schwer sind, selbst in Zeiten, die für uns vieles Unangenehme bringen oder vielleicht sogar Verfolgung und Nachteile, auch in all diesen Zeiten werden wir immer des Satzes Christi gewärtig sein: "Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Zeiten." Das ist die Kirche, die nie untergeht. Das ist auch die Kirche, in der Christus das Haupt ist. Denn wir haben nicht irgendein Haupt, daß sich emporschwingt, das dann eine Macht ergreift, sondern unser Haupt und unser Lebensprinzip zugleich ist Christus selber. Und Christus selber identifiziert sich ja wieder mit uns, mit dieser Glaubensgemeinschaft, und deswegen ist auch unser Glaube von der Kirche nicht nur der, daß wir das wandernde Gottesvolk sind, sondern auch, daß wir der geheimnisvolle Leib des Erlösers sind. Er das Haupt, wir die Glieder. Er das Lebensprinzip, wir die lebendigen Glieder dieser Gemeinschaft. Alle diese kurz gesagten Bestimmungen der Kirche dürfen nicht entfallen, auch wenn wir heute über Kirche reden, diskutieren, vielleicht sogar streiten. All das hat seine Gültigkeit. Und ich glaube, daß man nur in dieser Rahmenbedingung über Kirche reden kann. Die Kirche hat eine göttliche Verfassung. Und die Kirche besteht auch gemäß der Verheißung Christi, daß er uns den göttlichen Hl. Geist senden wird, der uns alles verstehen läßt, was wir vielleicht noch nicht verstanden haben. Und wir leben auch heute in einem Prozeß des Verstehens und des Fortschreitens in der Weisheit und Wissenschaft Gottes. Auch heute sind wir noch nicht am Ende, was aber nicht heißt, daß nicht dennoch jeder Schritt, den die Kirche getan hat, ein Schritt ist in der Wahrheit, der sich durchaus erfüllen kann und muß. Und diese Kirche, da sie den Geist Christi - das ist der Hl. Geist - empfangen hat, hat bestimmte Eigenschaften. Der Geist Gottes ist der Geist der Wahrheit. Und wenn dieser Geist Gottes der Kirche gehört, dann muß auch die Kirche der Ort der Wahrheit sein. Nicht irgendein Ort von Suchenden und Irrenden, sondern ein Ort, wo jeder, der will, wo jeder, der in seiner Freiheit und Vernunft das Wagnis des Glaubens auf sich nimmt, die Wahrheit findet und wo jeder auch erfahren kann, wer Gott ist und auch, wer der Mensch ist. Das sind eigentlich die Hauptfragen, die zu beantworten wir auch gesandt sind.

Der Bischof ist ja eigentlich in dem Sinne nicht etwas Besonderes, sondern er hat eine besondere Verantwortung, aber keine besonderen Vorteile oder Privilegien oder sonst etwas; es ist eine Verantwortung, und ich sehe die Verantwortung darin, den Menschen zu sagen: Wer ist Gott? Die Gottesfrage ist heute oft das Fehlende im Verstehen der Zeit. Wie vieles wird heute bedacht und diskutiert, und es kommt nicht einmal im geringsten mehr das Wort, geschweige denn die Wirklichkeit "GOTT" überhaupt vor. Das ist das Problem heute, daß alles in unserem Planen und Entscheiden ohne Gott geschieht, ohne Einbeziehen des wirklichen Gottes, der wirklich ist und der uns alle überragt und der allmächtig ist, alles in allem ist und der auch jeden Menschen liebt. Gott ist so Liebe, daß er uns über alles geliebt hat und vor allem uns zuerst geliebt hat. Das macht eigentlich erst die Liebenswürdigkeit des Menschen aus, daß der Mensch von Gott zuerst geliebt ist. Wenn Gott uns liebt, so die Schlußfolgerung des Gläubigen, dann müssen auch wir die Menschen lieben. Und wenn Gott uns liebt und alles Gute, dann haben wir auch Verantwortung, daß alle anderen Menschen diesen Auftrag Gottes sehen und auch dieses Auftrages teilhaben werden. Gott liebt die Menschen, und er will eigentlich durch uns zu den Menschen kommen. Gott liebt uns, Gott weiß alles, und es ist auch jede Entscheidung, die wir treffen in unserem Leben, eine Entscheidung, die etwas zu tun hat mit unserer Geistigkeit, mit unserem Heil - es ist das Heil, das wir suchen und erlangen müssen.

Ich glaube, es hätte gar keinen Sinn, wenn wir hier sitzen und nur nachdenken über das Gestern oder über das Morgen oder Übermorgen und eigentlich nicht wissen: Worauf ist der Mensch eigentlich angelegt? Und so antworte ich auch - um gewissermaßen einen Rahmen zu geben für unsere Diskussion - mit dem Neuen Testament, wo es ja heißt: "Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen." Es ist gleichsam das große seelsorgliche Programm der Kirche. Gott will, daß alle gerettet werden, daß keiner umkommt in der Sünde, daß keiner umkommt im Irrtum, daß keiner umkommt in der Verzweiflung und sich von Gott entfernt. Und es ist das Menschsein nicht einfach eine bloße Tatsache. Nein! Menschsein heißt: in der Entscheidung stehen, etwas wollen und etwas für Gott und für das Menschsein wollen. Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Es wäre des Menschen nicht würdig, wenn er nur gewissermaßen sagt: "Ich bin halt der Mensch und irre und taumle mit meinen Irrtümern und Fehlern in irgendein Heil hinein." - Nein! Gott mutet das Heil dem vernunftbegabten und freien Menschen zu, und dieser Mensch soll die Wahrheit erkennen. Und wir wissen um diese Wahrheit. Ich lasse mich gerne immer wieder auch gerade deswegen tadeln, daß ich das Wort "Wahrheit" immer wieder in den Mund nehme. Wahrheit ist das, was nicht ich erfinde, sondern Wahrheit ist das, was Gott uns lehrt. Und wir haben ja als eine Religion der Offenbarung Kenntnis von Gott. Denn wir kennen das Wort Gottes. Wir haben die Botschaft Gottes im Laufe einer langen Geschichte erfahren, aufgenommen und bewahrt. Denn Jesus sagt einmal: Kein Wort darf vergehen, und kein Gesetz, das Gott uns gibt, darf aufgelöst werden, um irgendetwas anderes zu lehren. Gott will, daß wir die Wahrheit erkennen. Und er will uns auch zeigen, wo wir sie erkennen.

Die Wahrheit erkennen wir, meine lieben Freunde, zuerst einmal in einem, der die Offenbarung spricht, in Christus, wie das II. Vatikanische Konzil sagt. Nämlich, die Wahrheit ist schlicht: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Er ist der größte "Fundamentalist", da er sich so genannt hat. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Und das ist Jesus Christus. Und so gipfelt auch alles in diesem Ereignis, daß der Sohn Gottes Mensch wurde und daß dieser Sohn Gottes Erlöser der Menschen wurde und gleichsam der Anfang und das Ende ist, Alpha und Omega. Wir haben so viele, wunderbare, auch sprachliche und begriffliche Möglichkeiten, von diesem Christus zu sprechen. Er ist die Wahrheit. Er sagt so. Und sein Wort gilt. Und dieses Wort dürfen wir nicht verdrehen und verfälschen. Wir müssen es ganz vollständig und auch wirklich ohne Abbruch verkünden. Und diese Kirche, die diese Aufgabe übernommen hat, ist die katholische Kirche. Auch das II. Vatikanische Konzil sagt ganz eindeutig, nicht daß es viele Kirchen gibt, sondern: Es gibt nur die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, wie wir das im Glaubensbekenntnis sagen. Und das Konzil sagt: Diese Kirche Jesu Christi, von der so viel Wunderbares gerade im Dokument über die Kirche gesagt wurde, diese Kirche ist die römische Kirche mit Papst und Bischöfen, mit dem Volk Gottes. Und alle anderen können sich gleichsam im Blick auf diese Kirche bestimmen, wie gehöre ich dazu. Es wird auch gesagt, in anderen Gemeinschaften, die nicht die Kirche Christi sind, das sind nicht verworfene oder böse Gemeinschaften, aber sie bestimmen eigentlich alles, was sie an Guten haben mit dem Blick auf diese Kirche. Und wir erkennen in ihnen gleichsam die Gaben Gottes, die Gaben des Geistes, und zwar als die auch uns eigenen Gaben!

Man meint, die Kirche sei die Summe aller kirchenpolitischen Ereignisse. Es wird sehr stark die Kirche mit Kirchenpolitik verwechselt - eine große Versuchung für jeden, der nur Kirchenpolitik macht und nicht von Kirche spricht. Und wenn sie auch heute ihre Fragen und ihre Einwände haben, dann denken Sie immer daran, daß es meine Aufgabe ist zu zeigen, daß es um die Identität der Kirche geht. Das ist ja auch etwas Entscheidendes. Christus sagt: "Lehret alle Völker, und lehret sie alles halten, was ich Euch geboten habe." Christus hat uns sehr genau mit seinen Abschiedsworten gesagt, was wir zu tun haben. Wir, die wir in einer späteren Zeit nachfolgen, als Gläubige, als Priester, als Bischöfe, wir müssen alle Völker lehren. Es geht um die Wahrheit, und es geht um den Glauben. Und der Glaube ist immer etwas, was in einer Übereinstimmung steht. Das I. Vatikanische Konzil definiert den Glauben, den wir haben, als das Für-wahr-Halten dessen, was Gott uns geoffenbart hat, was Gott uns gesagt hat. Es geht also bei dem Glauben nicht um irgend etwas, daß man einem Gefühl huldigt, daß man einer Meinung huldigt. - Der Glaube ist das Für-wahr-Halten dessen, was Gott uns geoffenbart hat. Denn Gott sagt: Ich bin Gott, ich gebe dir die Gebote, ich bin Gott und liebe Dich, ich bin Gott und berufe Dich zu einem Leben in Gnade und Fülle. Das ist Wahrheit. Das ist nicht irgendeine Meinung oder gar eine schöne Idee, die die Menschen ersonnen haben. Das ist Wahrheit, das ist Offenbarung. Und diese Wahrheit, die muß von uns gelernt werden, sie muß von uns aufgegriffen werden, und diese Wahrheit muß auch von uns bekannt und von uns bezeugt werden. - Die Kirche kann nicht untergehen. Es gab einmal einen sehr weisen Juden, der war kein Christ. Aber er wurde in der Apostelzeit mit der Frage konfrontiert: "Was tun wir denn mit diesen Christen, die da auf einmal überall aufstehen und bekennen: Er ist von den Toten auferstanden, denn von ihm kommt das Heil. Was tun wir mit diesen Leuten? Und dieser kluge Theologe Gamaliel sagte: Meine lieben Kollegen - er sagte das zu den Hohenpriestern, Pharisäern und Schriftgelehrten -, wenn das, was die Christen jetzt tun, nicht von Gott ist, dann wird es vergehen. Aber wenn es von Gott ist, dann könnt ihr es nicht zerstören. Und so leben wir aus diesem Glauben, daß die Kirche nicht ein Gebilde ist, das wir verantworten, das wir machen, sondern die Kirche ist ein Werk Gottes, das nicht untergeht. Ein Werk Gottes, das notwendig - und zwar von Christus verheißen - auch in der Wahrheit steht, das nicht irren kann. Und wenn Sie vielleicht auch nicht gern hören, daß es eine Unfehlbarkeit in dieser Kirche gibt, die in der Person, im Amt des Papstes eine besondere Ausfaltung hat, so hat doch der Papst diese Unfehlbarkeit zur Führung der Menschen. Und Gott will ja, daß alle Menschen die Wahrheit kennen lernen. Die Wahrheit ist nicht von unseren Verdiensten abhängig, sondern vom Geist Gottes selber. Das I. Vatikanische Konzil sagt, diese Kirche ist unfehlbar. Und der Papst hat so viel Unfehlbarkeit, wie Jesus Christus seiner Kirche geben wollte, obwohl man das oft verkehrt sieht. Es wird ganz genau theologisch dargelegt, daß die Unfehlbarkeit des Papstes in Person die Unfehlbarkeit der Kirche ist als geheimnisvoller Leib Christi.

Was ich noch - als Vorspann zu dem, was vielleicht eine gute Diskussion wird - bringen wollte, ist das andere: In welchem Auftrag stehen wir hier in dieser Welt? Heute haben wir es gehört, daß angeblich manches, von dem wir sagen: Das ist Gottes Gesetz, das ist Gottes Gebot, die Kirche nichts mehr angehe; daß alles Sache des Staates sei, Sache der Gesellschaft, eigentlich ein marxistisches Wort, das sich so bei uns eingelebt hat. Das heißt also: Warum darf sich die Kirche auch um Bereiche annehmen wie Soziales, wie Recht und Menschenrecht, warum darf sich die Kirche annehmen um Kultur, um Bildung, um Unterricht und viele andere Bereiche, die wir heute Gott sei Dank in Österreich vielfach in einem guten Einvernehmen mit Staat und Gesellschaft betreiben können? Aber warum sagt man dann: Das geht die Kirche nichts an. Ihr wißt genau, daß die letzte Diskussion über die Todespille (Mifegyne) so gesteuert wird, daß wir am besten den Mund halten sollten. Dabei glaube ich, daß die Kirche genauso zumindest einmal wie der Staat das Recht hat, hier zu sprechen und hier auch an die Maßstäbe Gottes zu erinnern. Aber so wird es gemacht. Was entspricht denn diesem Auftrag? Wir haben es damit zu tun, daß jeder Mensch Person ist. Und das ist eine feste Lehre, vor allem des sozialen Lehramtes der Kirche. Wir reden ja auch davon, wie die Welt gestaltet werden soll, wie Gerechtigkeit gemacht werden soll; das ist auch Sache der Kirche, nicht nur des Staates und der Gesellschaft. Wir gehen davon aus, daß jeder Mensch Person ist. Person, ein Wort, das wir nicht so ganz herüber bringen in die deutsche Sprache, denn ist ein lateinisches Wort. Thomas von Aquin sagt: persona est per se una. Ja, sie ist in sich eine. Aber Person heißt, daß der Mensch eine gottgeschenkte Würde hat - und das ist zugleich die Botschaft, die wir vertreten in der Welt; wir haben eine Botschaft, die unser Seelenheil angeht und unseren Weg in der Kirche, aber wir haben auch eine Botschaft an die Welt, an die Menschen, an die ganze Welt. Und hier heißt es einmal: Gott ist über allem, denn Gott ist transzendent. Gott ist nicht irgend einer, der sich irgendwo undefinierbar herumtreibt, sondern er steht hinter dem Menschen und ist auch zugleich in unserem Innersten das Tiefste und das Größte. Aber der Mensch, der von Gott geschaffen wurde, von dem wir ja auch sagen, daß er eine unsterbliche Seele hat - die Kirche lehrt sogar, daß Gott jedesmal, wenn in einer Mutter, in einer Frau neues Leben wird, daß Gott in dieser Frau und auch in diesem Augenblick eine unsterbliche Seele schafft. D.h., es ist ein ganz besonderer Akt Gottes, der den Menschen erschafft. Denn jeder Mensch ist einmalig und unwiederholbar. Jeder Mensch ist von einer Würde, die ihm andere nicht nehmen können und ihm auch nicht geben können. Daher ist auch die Frage der Menschenrechte nicht eine Frage der Demokratien, die das verleihen durch Beschluß. - Nein! Es ist eine Frage des Naturrechtes, es ist auch eine Frage des Schöpfers. Gott gibt die Menschenwürde, nicht die Menschen. Die Menschen haben aber diese Menschenwürde in jedem zu respektieren. Und so ist natürlich auch unsere "Einmischung" in Fragen des Staates - ob es jetzt die Familie ist, ob es jetzt die Bildung ist, ob es überhaupt "Einmischung" ist in der Frage, welches Menschenbild vertritt denn z.B. unsere Gesetzgebung - nicht eine "Einmischung" aus freien Stücken, sondern eine Pflicht. Wir müssen dem Menschen sagen, wer er ist. Und ich sage Ihnen auch - vielleicht sind manche politisch besonders interessiert oder motiviert -, es geht um die Frage: Wer ist der Mensch? Diese Frage, wer der Mensch ist, ist eine so wichtige Frage. Wer von uns - ob das jetzt die Kirche ist oder jemand anderer, und da sind wir in einer gewissen Konkurrenz - dem Menschen sagen kann, wer er ist, der gewinnt auch das Vertrauen der Menschen. Es ist heute das Manko der Politik, daß sie sich nur mehr in gewissen Gefälligkeiten und Zuteilungen von Glücksgütern erschöpft. Wenn wir den Menschen sagen, wer er ist in unserm Tun, wie wir ihn behandeln, wie wir ihm auch sein Leben gestalten helfen, wenn wir ihm sagen, wer er ist, dann wird dieser Mensch uns Vertrauen schenken. Er wird uns Vertrauen schenken, der Kirche, aber er wird auch einer politischen Kraft Vertrauen schenken, die ihm diese Frage beantwortet. Tausende andere Fragen nach Prozenten, nach irgendwelchen anderen Feinheiten des alltäglichen Lebens sind nicht so entscheidend. - Wer ist der Mensch? - Immanuel Kant, ein Philosoph, hat auch einmal gesagt: Was ist denn das Entscheidende, was muß ich tun? Und er sagt: es gibt drei Fragen oder vier, wie Sie wollen: a) Was kann ich wissen? Also eine Anfrage an das Erkenntnisvermögen der Vernunft, überhaupt des ganzen Menschen. b) Was darf ich hoffen. Wir müssen in vielem hoffen, was wir nicht in Händen halten. c) Was soll ich tun? Also die Frage nach der sittlichen Pflicht. Das Sollen ist etwas, das wir rein wissenschaftlich nicht darstellen können. Das Sollen ist etwas, was uns anspricht, und dennoch können wir es nach den Maßstäben der Naturwissenschaft nicht beschreiben. Was soll ich tun? Das Gute tun und das Böse meiden. Eine ganz einfache Formel. Aber das ist eine Formel, die nur der Mensch versteht. Kein Tier, kein Lebewesen kann sich zu dieser Höhe erheben, um zu fragen: Was soll ich tun? Und dieses Sollen heißt auch, daß wir frei sind, daß wir etwas tun können und es unterlassen können, daß wir etwas tun können oder nicht tun. Dieses Sollen ist auch eine ganz fundamentale, menschliche Frage. Und Kant schließt dann seine vier Fragen, die er uns vorlegt, mit der Frage: Was ist der Mensch? Wer ist der Mensch? Wenn Sie den Papst in seinen Botschaften hören, dann spricht er oft von der Wahrheit über den Menschen. Wahrheit über den Menschen bedeutet: Alles, was wir tun, auch im Bereich der Politik und im Bereich des Sozialen, der Wissenschaft, wo das Humane gewissermaßen eine große Rolle spielt, alles das lebt auch von der Frage: Wer ist der Mensch und in welchen Grundkräften kann der Mensch sich gestalten in seiner Vernunft, in seiner Freiheit, auch in seinem Gewissen und dann in der Gestaltung dessen: Wer bist du? Und wir antworten den Menschen: Du bist Gotteskind, das ist die religiöse Antwort. Du bist Person, das ist die politische Antwort, manchesmal auch die philosophische Antwort. Und Personwürde, so wie wir es verstehen und so wie es auch die katholische Soziallehre herausgebildet hat, diese Personwürde ist das, worauf wir besonders achten müssen. Wir dürfen niemanden einem anderen Zweck unterordnen. Das ist natürlich auf der anderen Seite verpflichtend, daß wir den Menschen helfen, sich sittlich richtig zu entscheiden. Das bedeutet, daß wir das Gewissen bilden müssen. Wir können nicht einfach sagen: Mach nach deinem Gewissen, was Du willst, sondern Jesus sagt: "Lehrt sie alles halten, was ich Euch geboten habe." Es ist das gebildete Gewissen, das uns auch befähigt, Menschen zu sein und in dieser Gemeinschaft der Menschen zu leben. Das war also der Punkt des Einstieges.

Die enge Verbindung : Mensch und Gott, die zu bringen, das ist mein Auftrag, aber es geht auch um den Menschen und Gott in Christus; er ist der wahre Mensch und der wahre Gott. Das bekennen wir seit Jahrhunderten als eine Formel des Glaubens: wahrer Gott und wahrer Mensch. Überall geht es um das Zusammengehören von Gott und Mensch. Nur sind wir Menschen oft so verdrossen, daß wir nicht mehr Gott wahrnehmen wollen, Gott anerkennen wollen, Gott hören wollen. Wenn die Menschen überzeugt sind, daß Gott wirklich ist, dann sind sie durchaus bereit, all das zu tun, was Gott will. Dann sind sie auch bereit, die Gebote Gottes zu halten. Wenn jemand in Konflikt mit Gott lebt, dann ist das immer das, daß Gott für ihn nicht genug wirklich ist in diesen Fragen. Fürs erste einmal danke.

Es folgte eine hier nicht dokumentierte Diskussion.
Anmerkung: Bei dem Text dieses Vortrages handelt es sich um eine leicht geglättete Abschrift einer Tonbandaufnahme. Stilistische Unebenheiten sind dem Charakter des gesprochenen Wortes zuzuschreiben.


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 11.02.1999.

 

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