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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

 

Weihnachtsgrüße für Mariazell
verfaßt am 12. November 1993

 

Die Diözese St. Pölten hat das Glück, mit ihren Diözesangrenzen ganz nahe an die Gnadenstätte der "Magna Mater Austriae" in Mariazell heranzureichen. Seit Jahrhunderten kommen betende Menschen aus der Diözese nach Mariazell, tragen der Gottesmutter ihre Anliegen vor und finden in Mariazell nicht selten die Gnade einer guten Beichte, einer wahren Bekehrung des Herzens und der Ermutigung zum ausdauernden Christsein. Herzlich danke ich den Priestern, die mit heiligem Eifer für das Heil des Volkes als Beichtväter, als Prediger, als Wallfahrtsgeistliche und als Zelebranten des Eucharistischen Opfers sich zur Verfügung stellen.

Jeder Wallfahrtsort hat ein besonderes Aussehen, jeder Ort erzeugt eine besondere Stimmung der Seele, an jedem Ort jedoch ereignet sich das eine Geheimnis Mariens, das vom Gekreuzigten uns gesagt wird: "Siehe, deine Mutter!" (Joh 19,27). Wo immer Maria verehrt wird, wo immer ehrwürdige Bilder und Statuen die Andacht und das Gebet der Gläubigen auf sich ziehen, überall dort ist das Geheimnis Mariens gegenwärtig. Wir beten zur Gottesmutter in Maria Taferl und in Maria Dreieichen; wir versammeln uns in Mariazell und an vielen Marienstätten unserer Heimat. Entscheidend ist nicht die räumliche Größe der Wallfahrtskirche, auch nicht die Zahl der Wallfahrer. Dennoch sollen sich alle um würdige Stätten, um korrekte Andachtsformen und um neue Wallfahrtsgemeinschaften - vor allem aus der Jugend - mühen.

Es liegt in der allgemeinen religiösen Konstitution des Menschen, heilige Stätten zu besuchen, dort betend zu verweilen und sich mit Gottes Hilfe zu erneuern. Die Menschen in aller Welt, die zur Wallfahrt aufbrechen, spüren, daß in der Welt, in der Gott als Schöpfer allgegenwärtig ist, es auch eine besondere Gegenwart des Göttlichen und Übernatürlichen gibt. Es ist jedoch Jesus selbst, der gegenüber der samaritischen Frau am Brunnen dem Suchen des Menschen nach der besonderen Gegenwart Gottes die Weite des Geistes Gottes und der Wahrheit weist: "Glaube mir, Frau, es kommt die Stunde, in der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem zum Vater beten werdet ... Aber es kommt die Stunde, und sie ist jetzt da, in der die wahren Beter zum Vater beten werden im Geist und in der Wahrheit, denn solche Beter verlangt der Vater. Gott ist Geist, und alle, die anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten" (Joh 4,21.23 f). Geist und Wahrheit Gottes sind grenzenlos und an keinen Ort zu binden.

Dennoch kommt nach den Worten Jesu das Heil von den Juden. Der Hebräerbrief verrät uns, was Christus bei seinem Eintritt in die Welt spricht: "An Schlacht- und Speiseopfern hast du kein Gefallen, doch einen Leib hast du mir bereitet; Brand- und Sündopfer forderst du nicht. So sprach ich: Siehe, ich komme ... deinen Willen, Gott, zu erfüllen" (10,5-7). Der Leib des Menschen ist dessen Gegenwärtigkeit in der Welt, wo alles seinen Platz und Ort hat. Das in die Weltgeschichte einschneidenste Ereignis ist die Menschwerdung des Sohnes Gottes: "Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine et homo factus est" - "Jesus Christus, geboren von der Jungfrau Maria"; Gott kann in der Welt nicht gegenwärtiger sein als im menschgewordenen Gottessohn. Kein heiliger Ort in der Welt kann es mit dieser Gegenwart Christi aufnehmen.

Es ist etwas sehr Ernstes, wenn Gott als Menschenkind sich in die Grenzen von Raum und Zeit einbinden läßt: Zu Betlehem ist er geboren, ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt; obwohl er der Sohn Gottes ist, hat er durch Leiden an seinem Leib den Gehorsam gelernt (vgl. Hebr 5,8); und der unerlösten Menschheit zeigt Pilatus den leidenden Erlöser: "Ecce homo" - da, seht den Menschen (vgl. Joh 19,5). In Raum und Zeit lebte Christus das Menschsein des Erlösers: Die Menschen konnten ihn sehen und hören, sie konnten sich um ihn drängen, sie konnten ihm zulaufen; er ließ sich schlagen und kreuzigen. Christus ist als der Erlöser nicht in die Ort- und Zeitlosigkeit der Allmacht Gottes ausgewichen; er ließ sich finden und fangen, er wurde uns in allem gleich, ausgenommen die Sünde. Und der Ort des leeren Grabes bleibt immer die Tatsache seiner Auferstehung.

Wer heilige Orte betend besucht, darf mit seinem Glauben an den erlösenden Dimensionen der Leibhaftigkeit des Gottessohnes teilnehmen. Heilige Orte müssen aus der Gegenwärtigkeit Christi leben, dann weitet sich das Punktuelle eines Ortes zur Grenzenlosigkeit der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit. Wenn wir die Gottesmutter Maria an einem Ort besonders verehren, dann stehen wir mit ihr im Geheimnis der Gegenwärtigkeit Christi: In ihrem Schoß wurde Christus leibhaftig gegenwärtig.

Es kann weder Aberglaube noch unreifer Glaube sein, wenn wir an einem Ort verweilen und beten, wo geschichtliche Ereignisse und die Frömmigkeit der Gläubigen das Geheimnis der Gottesmutterschaft Mariens für die Menschen bedeutsam werden ließen. Jeder Marienwallfahrtsort lebt von den Geheimnissen, die Maria in Nazaret, Betlehem, Kana und Jerusalem als der Mutter Gottes und der Mutter der Kirche zuteil wurden. Das Geheimnis Mariens, das an heiligem Ort die Menschen versammelt, erhebt die betenden und glaubenden Menschen zu jener Grenzenlosigkeit, die Jesus der samaritischen Frau am Brunnen verheißen hat.

Mit allen guten Wünschen für alle Beterinnen und Beter in Mariazell, für alle dem Heil der Menschen dienenden Priester und für den ehrwürdigen Ort Mariazell empfehlen wir uns der Barmherzigkeit Gottes und der fürsprechenden Hilfe Mariens zum Fest der Geburt des Herrn. "Salve, radix, salve, porta, ex qua mundo lux est orta."

Ihr Bischof aus der Nachbarschaft

+ Kurt Krenn


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 30.11.1997.

 

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