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Dem Jahr 2000 entgegen
Beitrag für "Neues aus dem Priesterseminar
1999"
(vormals: "Wienerstraße 38")
"Das Jubiläumsjahr 2000" ist ein Pflichtthema für religiöse Beiträge; auch der Bischof will sich dieser Pflicht nicht entziehen, denn 2000 Jahre Menschheitsgeschichte seit der Menschwerdung unseres Erlösers Jesus Christus aus der Jungfrau Maria sollen durchaus unser Herz bewegen und unser Leben gemäß der Botschaft Christi ordnen.
Große und runde Zahlen, die die Jahre unserer Geschichte zählen, haben in sich keine relevante Bedeutung. Dennoch dürfen wir die von der Kirche festgelegten Jubiläumsjahre wie "Zeichen der Zeit" begreifen, die mit den Absichten Gottes verbunden sind und Jahre der besonderen Gnade sein sollen. Das feierliche und dankende Stillstehen des Volkes Gottes in solchen Jahren hat sicher auch das Ziel, unsere Herzen in Gott zu erheben, damit wir alle Tage des Lebens uns heiligen durch den Lobpreis des allmächtigen und ewigen Gottes, durch ständige Bereitschaft zu guten Werken, durch unseren Sieg über die Sünde, durch Bestehen in Versuchungen und Prüfungen, durch unsere Bekehrung und Umkehr zu Gott, durch unsere Geduld und Demut, durch unsere Liebe zu Gott und zum Nächsten, durch unsere Treue zum Glauben und zur Kirche, in die wir berufen sind.
Wie sollen wir also das Jahr 2000 im Sinne Gottes feiern? Es gibt bereits in der Weltkirche und auch in unserer Diözese viele gute Ideen und brauchbare Wege für die Festfeiern des Volkes Gottes. Alle Gläubigen, denen Herz und Geist dafür gegeben sind, lade ich ein, mit ihren Gnadengaben hervorzutreten und die frommen wie auch die lauen Brüder und Schwestern zu begeistern und zu bewegen. Begeisterung aus dem Glauben muß viel mehr sein als ein schnelles augenblickliches Gefühl, das wir als Glück empfinden, aber schnell wieder vergeht; in unserer Begeisterung muß vielmehr der Geist Gottes wirken, den uns Christus als den Geist der Wahrheit immer wieder sendet. Alle Begeisterung und Freude braucht die Maßstäbe des Geistes Gottes, der dafür sorgt, daß unsere Herzen, Gedanken und Entscheidungen mit dem übereinstimmen, was in Gott wesentlich und ewig ist. So kann die Ewigkeit Gottes hereinleuchten in das, was wir in der Zeit und in der Geschichte feiern.
Das Heilige Jahr erinnert uns nicht nur an die Versöhnung mit Gott und mit der Kirche in einer persönlichen Beichte. Eine Reihe von Kirchen in unserer Diözese soll für die Gewinnung des Jubiläumsablasses benannt werden. Unsere Priester mögen in diesen Kirchen für einen regelmäßigen Beichtdienst sich zur Verfügung stellen; der Ablaß werde von den Gläubigen wieder besser verstanden und als besonderes Gnadenmittel für die Lebenden und die Verstorbenen eingesetzt. Der Ablaß bedeutet nicht unmittelbar die Sündenvergebung, sondern das beständige Wirken der Liebe Gottes, die stärker ist als jede Sünde des Menschen und uns erheben soll zu dem, was uns Jesus als sein höchstes Gebot aufgetragen hat: Liebet Gott über alles. In den verschiedenen Formen und Aufträgen der Ablaßgebete werden wir und die Verstorbenen zur Liebe Gottes erhoben; und weil diese Liebe weit mehr ein Geschenk Gottes als eine verdienstvolle Tat des Menschen ist, ist der Ablaß in seinem Grund die Liebe zu Gott und das Geborgensein in der Erlösung Christi. In ihrem Wesen strebt die Liebe danach, vollkommene und reine Liebe zu sein. Selbst der bescheidenste Anfang von Liebe unsererseits drängt auf Vollkommenheit hin, weil Liebe es ist und Liebe sich vollenden muß.
Es ist die eine und selbige Liebe, auch wenn sie viele Weisen hat und Gnade je nach Mensch und je nach der Mühsal seiner Rettung und Bekehrung die Gabe Gottes ist. Wenn der Mensch nicht in der schweren Sünde unbekehrt und nicht verhärtet steht, kann er im Ablaß den Weg der Liebe zu Gott finden. Auch wenn unsere Liebe mühsam wie der Eintritt in den Ablaß ist, ist unsere und die der Verstorbenen Begegnung mit Gott ein sicherer Weg zur Vollkommenheit der Liebe; die Zeitlichkeit der Mühen hat es als Liebe in sich, Gott zu schauen wie er ist: Gott aber ist die Liebe. Wer auf dem Weg der Liebe ist, kann durchaus noch leiden und büßen, wie dies uns in unserem Leben und am Ort der Läuterung den Armen Seelen widerfährt; nichts Zeitliches jedoch kann die Vollkommenheit der Liebe und die Gewißheit der Rettung aufhalten oder gar scheitern lassen.
Wie das Gebet mehr als eine Dienstleistung mit geschöpflichen Grenzen ist, so ist auch der Ablaß etwas, was in die Tiefe und Weite der heiligsten Dreifaltigkeit Gottes sich erstreckt. Der Ablaß ist erbetete Dreifaltigkeit, die der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief so ermißt: "Die Gnade Jesu Christi des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!" (13,13). Es wäre falsch, den Ablaß zur unwichtigen Sache im Leben der Kirche zu erklären; der Ablaß ist kein Sakrament, aber er bedeutet das Leben der Gnade in den Sakramenten der Vergebung und durch diese. Was die Sakramente wirken, findet im Ablaß seine Fülle, die bezeugt, daß die Liebe zu Gott irgendwann im Leben des Menschen, spätestens im Tod, die vollkommene Liebe sein wird und sein muß, wenn der sündige Mensch gerettet werden soll.
Die meisten Gläubigen reden nie über den Ablaß; wer weiß wirklich etwas Richtiges und Geistliches darüber? Die kurze Betrachtung, die wir versucht haben, soll den unbedingten Zusammenhang zwischen dem Ablaß und der vollkommenen Liebe zu Gott aufweisen. Der Ablaß ist mehr als die vorgeschriebene Verrichtung von Gebeten oder guten Taten; der Ablaß ist Fortschritt im Unendlichen, das wir im Glauben anstreben, dem wir in der Hoffnung treu sind, das wir in der vollkommenen Liebe erfassen.
In der Liebe zu Gott sollte uns niemand übertreffen; wer ernsthaft den Wettlauf im Guten bestehen will, muß mit aller Konsequenz seine Gewohnheiten, Urteile und Vorurteile, seine Süchte und Vorlieben prüfen, ob er sein Zeugnis dafür gibt, daß Gott wirklich ist. Unser Blick muß dabei auf die Schlampigkeiten fallen, die Lauheit unserer Seele sind.
Ich denke in diesem Augenblick an manchen Christen, der in einer Art Ehegemeinschaft lebt, ohne sich durch das Sakrament der Ehe auf treue Liebe und auf das Gesetz Christi verpflichtet zu haben. Oftmals tritt eine Gewöhnung an die gelebte Sünde ein; später wird das schlechte Gewissen zum Vorwand für die Entfernung von Gott und für eine lieblose Kritik an der Kirche, die das Gesetz Christi einmahnen muß. Dabei hätten viele Christen, die in ungeordneter Lebensgemeinschaft stehen, durchaus die Möglichkeit zu einer guten und gültigen Ehe; so werden nicht wenige Brüder und Schwestern von Jahr zu Jahr die Opfer einer Gewöhnung, der sie nur mehr schwer entkommen, weil sie vor den Menschen die Rolle der Unbekümmerten spielen. Macht Ordnung in eurem Leben, macht Ordnung in dem, was zur ehelichen Liebe im Sakrament der Ehe bestimmt ist! Fürchtet euch nicht davor, euch in der Ehe endgültig vor Gott zu verbinden; Gott gibt die Gnade denen, die ihn darum bitten, denn denen, die Gott bitten und lieben, gereicht alles zum besten. Das Jubeljahr 2000 sei ein Jahr der Heiligkeit der Ehe, der Familie und der Ordnung, zu der unser Gewissen verpflichtet ist.
Gott beurteilt uns immer wieder darin, ob wir ihn über alles lieben; in vielen Lebensfällen bedeutet die Liebe zu Gott die rechte Bestimmung des Vorranges unserer Entscheidungen. Wem aber das Auto wichtiger als Gott ist, wer Luxusreisen als oberstes Lebensziel verfolgt, wer sich durch Geld von den Forderungen Gottes abbringen läßt, wer nur seinem Ich dient und am notleidenden Nächsten vorbeigeht, der kann nicht behaupten, daß er Gott über alles liebt. Gott liebt uns, Gott will aber auch von jedem von uns geliebt werden; er will über alles geliebt werden, so die Botschaft Christi. So ist das Heilige Jahr ein Gefüge vieler Appelle an unser Gewissen; es geht um unser Heil, es geht um unser Verhältnis zu Gott. Auch wenn wir uns sicher fühlen und mit uns zufrieden sind, kann uns dennoch das Urteil Gottes treffen: "Ich werfe dir vor, daß du mich nicht liebst wie früher" (Offb 2,4). oder gar: "Dem Namen nach lebst du, aber du bist tot" (Offb 3,1).
Ein besonderer Aufruf an uns Priester und an die Gottgeweihten: Auch wir sind gefährdet, unsere erste Liebe zu Gott, die am Anfang unseres geweihten Lebens stand, zu verlieren und die Resignation und Müdigkeit unsererseits dagegen einzutauschen. Beichten wir regelmäßig, beten wir gewissenhaft das Stundengebet und den Rosenkranz, feiern wir täglich die heilige Eucharistie, entdecken wir wieder das stille Gebet des Herzens, das durch zuviel Deklamation und öffentliche Selbstdarstellung gefährdet ist; auch Opfer und Entsagung seien die glaubwürdigen Weisen unserer Christusnachfolge.
Das gute Wort füreinander und unter uns sei die Sprache der zum göttlichen Vater bekehrten Brüder und Schwestern. Das gute Wort, das Gift und Galle der Unzufriedenen besiegt und der Lüge durch demütige Wahrheit widersteht, möge das Haus der Diözese erbauen und schließlich ein Jahr der heiligen Freude bringen.
Der Sonntag sei unser heiliger Tag, den wir beschützen wollen. Das Gebot der Kirche, jeden Sonntag die heilige Messe in der Kirche mitzufeiern, sei für jede Familie und für alle Gläubigen das wichtigste Tor zur Gnade, in das jeder Tag und jedes Jahr unserer Weltzeit einmünden sollen.
"Neues aus dem Priesterseminar 1999" (Seminarnachrichten)
herausgegeben vom Priesterseminar der Diözese St. Pölten, Wienerstraße 38, A-3100 St. Pölten