zurück   Predigten
Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

Predigt bei der hl. Messe
anläßlich der Herbsttagung der Österreichischen Bischofskonferenz
am 06.11.2001 in Wien

Alles, was wir über Gott lehren und sagen, beansprucht nicht nur die erkennbare Wahrheit über Gott, sondern auch die Wahrheit über den Menschen. Wir können nicht von Gott sprechen, ohne die Wahrheit über den Menschen mitzuverantworten: Gott ist der Schöpfer des Menschen, der nach dem Abbild Gottes geschaffen wurde und in seinem Sein den Ursprung aus Gott kundtut, sodaß der glaubende Mensch sagen kann: Gott, kenne ich dich, kenne ich mich. Von der Wahrheit Christi, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist, sind wir getragen, wenn wir von uns bekennen: Kenne ich mich, kenne ich dich, o Gott. Gott läßt unsere glaubende Vernunft den Weg des Glaubens und den Weg der Vernunft gehen, sodaß wir den Weg der Analogie gehen dürfen: Gott ist Geist, der Mensch ist auf seine Weise Geist, der unsterblich ist und unendlich Geltung seines Erkennens ersehnt. Gott ist frei, unbedingt frei zum Guten, Gott kann in seiner Allmacht alles bewirken, um uns Gutes zu tun. Auch der Mensch ist frei in seinem Wollen; seine Freiheit jedoch kann der Mensch auch zu Bösem und zur Sünde gebrauchen; in seiner Freiheit kann der Mensch Gott und seinen Weisungen widerstehen, ungehorsam sein, ja Gott sogar hassen. Wir dürfen aber auch glauben, daß die Schuld des Menschen eine "felix culpa" ist, weil sie Gottes reiche Barmherzigkeit zur Gnade des Erlösers getrieben hat. Niemand kann Gott zur Barmherzigkeit zwingen; Gott jedoch hat sich so auf die Barmherzigkeit festgelegt, daß er immer noch frei ist, wenn er verzeiht und vergibt. Sünde und Schuld sind geschöpfliche Gegebenheiten, die nach Strafe und Sühne rufen; Sünde und Schuld sind eine Enge, die der Mensch aus sich nicht sprengen kann. Der Mensch in Sünde und Schuld kann sich ohne die Gnade des Erlösers nicht befreien, denn das Böse wirkt immer wieder Böses. Es geht nicht in Erfüllung, was manche meinen: "Laßt uns Böses tun, damit Gutes entsteht" (Röm 3,8); Verderben und Unheil bedecken unsere Wege, doch den Weg des Friedens kennen wir nicht, die Gottesfurcht steht nicht vor unseren Augen (vgl. Röm 3,17 ff).

Wir leben in einer Welt, die Rache und Vergeltung übt; wir leben in einer Welt der Unbarmherzigkeit. Wer gibt uns Hoffnung, wer zeigt uns den Weg aus der Enge von Sünde und Schuld? Wir erfahren uns im Zwiespalt, daß wir nicht tun, was wir wollen, sondern das, was wir hassen; wir tun nicht das Gute, das wir wollen, sondern das Böse, das wir nicht wollen (vgl. Röm 7, 15-19).

Man hat sich heute abgewöhnt, vom Bösen zu reden oder etwas als Böses zu beurteilen; nichts Böses ist heute mehr ein Böses in sich. Alles gilt als relativ und situationsabhängig; so ging dem Gewissen der Menschheit die Furcht vor dem Bösen und die Ehrfurcht vor den Geboten Gottes verloren. Es gibt in unserer Zeit keine wirkliche Entrüstung über das, was Gott beleidigt und dem Menschen die Würde wegnimmt. Es geht heute nicht nur um die Gewissenlosigkeit in der Weltpolitik und in den großen Bereichen der sogenannten Gesellschaft. Auch das persönliche Gewissen des einzelnen Menschen verwahrlost, weil es sich immer mehr in Widerspruch mit sich selbst begibt. Viele unserer Gläubigen möchten Gott über alles lieben, sie sind jedoch in den Fesseln mancher Sünden: Habsucht und Gier, Stolz und Trägheit und Schwerhörigkeit gegenüber dem, was uns Gott durch die Kirche verkündet, decken schonungslos die Verwahrlosung des Gewissens auf. Wenn wir einbezogen werden in die Mühen der Keuschheit, die der Ehe und der persönlichen Lebensführung von Christus auferlegt sind, können wir Gott heute als den betrachten, der bei den Ehegatten und bei der Jugend der hoffnungslose Verlierer ist. Wie viele Ehen und Familien zerbrechen nicht zuletzt deshalb, weil die Ordnung des Schöpfers nicht in Heiligkeit, d. h. nicht in Keuschheit gelebt wird; der Aufstand gegen Gott ist zumeist auch ein Aufstand in Unzucht, Untreue und allgemeiner moralischer Unordnung. Unsere Jugend entfernt sich oft von Gott, weil sie nicht akzeptieren will, daß Sexualität als gottgewollt die Ordnung der gültigen und unauflöslichen Ehe braucht. Viel guter Wille ist in den Menschen, aber sie werden versucht, halten nicht durch und beleidigen Gott durch Sünde. Ist der Schöpfer schließlich der Verlierer, dessen Gebote mißachtet und dessen Werk in den Menschen sich selbst zerstört und scheitert ?

Je genauer wir heute den Menschen und die Geschichte der Welt bedenken, desto banger wird die Frage: Ist Gott der Verlierer, geht Christus mit seiner Kirche unter; gewinnt der Vater der Lüge, der Teufel den Kampf gegen Gott ? Jeder kann bekennen: Gott ist allmächtig, daher kann er nicht verlieren. Damit haben wir jedoch nicht bedacht, daß der Mensch und die Schöpfung ein ganz anderes Verhältnis zu Gott haben. Gott und Mensch haben ein ganz anderes Verhältnis, das nicht mit den Maßen des geschaffenen Bereiches festzulegen ist. Der allmächtige Gott beherrscht nicht nur die Welt und die Menschen; er hat ein ganz anderes Geheimnis: er liebt den Menschen von Ewigkeit, erwählt, begnadet und erhebt ihn zu einer Höhe, die sich niemals aus der Summe der geschaffenen Dinge ergibt. Bei aller Allmacht könnte Gott verlieren, wenn der Mensch Gott die Liebe verweigerte.

Die Liebe Gottes zum Menschen und die Liebe des Menschen zu Gott können nicht in profanen Schlachten und im Anspruch von Macht die Garantie für den Sieg Gottes festhalten. Die Allmacht Gottes steht im letzten in der Prüfung der Liebe; ohne die Liebe wäre Gott nicht Gott, ohne die Liebe kann der Mensch nicht leben.

Der Mensch, der Gerechtigkeit in Rache und Vergeltung sucht, verfehlt sein Geheimnis; eine Welt, die sich im Gleichgewicht durch Geben und Nehmen, durch Leistung und Gegenleistung, durch Angriff und Verteidigung hält, verfehlt ihr göttliches Geheimnis und ist schließlich ein chaotisches Gefängnis von Sünde und Gottesverneinung.

Gott kann siegen, weil er allmächtig ist; Gott wird jedoch siegen und nicht verlieren, weil er barmherzig ist. Macht wäre nichts ohne die Liebe: "Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist." Barmherzigkeit ist das Geheimnis Gottes in Christus, das alles durchdringt und übersteigt, das jeder Verwirrung Ordnung gibt, weil uns die Liebe zu Gott gelingt und Gott durch Christus sich mit jedem Menschen eint.

Euer neues Denken sei Barmherzigkeit, die nichts anderes als eure Ergriffenheit durch Christus für Gott ist. Verzagen wir nicht; habt Mut und gebt die Wahrheit Christi nie auf, die uns den Frieden bringt!

Österreichische Bischofskonferenz


zurück
Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 06.11.2001.

 

Zur Hauptseite der "Bischöflichen Homepage"

Zur Diözese St. Pölten