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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

 

Festvortrag für die Sudetendeutsche Landsmannschaft
am 26. Februar 2000 im Kongreßhaus in Wien

Der Mensch ist das einzige Lebewesen hier in unserer sichtbaren Welt, das Wahrheit erkennt und das auch in eigener Fähigkeit weiß, daß er die Wahrheit erkennt. Hätte der Mensch keinen Zugang zur Wahrheit, hätten seine Vernunft und seine geistigen Fähigkeiten keinen Sinn und keinen Bestand. Denn ein Erkennen hat nur Wert und Geltung, wenn es wahr ist; und wahr ist eine Erkenntnis, wenn das Erkennen des Menschen mit dem erkannten Ding übereinstimmt. Ein Erkennen ist also nicht wahr, wenn die Übereinstimmung mit dem erkannten Gegenstand ausbleibt.

Über die Wahrheit ist schon vieles gesagt worden: Es gab Zeiten, in denen man die Wahrheit als höchstes Gut des Geistes feierte; es gab jedoch auch Zeiten und Verhaltensweisen, die alle Fähigkeit zur Wahrheit dem Menschen streitig machten; schließlich gab es viele Formen des Skeptizismus, die nichts Wahres und Gewisses gelten lassen wollten, weil die Wahrheit an sich nicht erkennbar ist und jeder Anspruch von Wahrheit nur auf Schein, Irrtum, Illusion und grundsätzlicher Fehlerhaftigkeit beruht. Es gibt das heute vielfach verbreitete Vorurteil, daß Wahrheit eigentlich gar nicht möglich ist, weil zu viele Störfaktoren das Finden von Wahrheit verhindern. Selbst im Bereich von Theologie und Kirche wird nicht selten behauptet, daß man Wahrheit suche, nicht aber finde; zuweilen sieht es sogar so aus, daß viele die Wahrheit zu suchen vorgeben, um diese ja niemals zu finden.

Dem aber steht entgegen die Lehre unseres Glaubens, die verbindlich sagt, daß Gott selbst die reine Wahrheit ist und nichts als die vollkommene Wahrheit, die unbedingt und unveränderlich gilt, die Wahrheit ist zu allen Zeiten, die in der Ewigkeit Gottes gründet, für alle erkennenden Geister und an allen Orten dieselbe; Gott selbst also ist die Wahrheit, denn seinem göttlichen Sein mangelt es an nichts, Gott kann uns nicht täuschen; Gott kann von niemandem getäuscht werden. Von der Wahrheit Gottes her lebt auch unser Glaube, der Gott in allem vertraut, wenn Gott in seiner Offenbarung, in unserer Vernunft und in den Werken seiner Schöpfung zu uns spricht. So legt sich auch die Glaubenslehre der Kirche auf Gott fest, auf dessen Autorität hin wir für wahr halten, was Gott uns kundtut.

Wer heute allerdings in Treue zum Buchstaben und Geist des Glaubens steht, den ereilt ein besonderer Schimpf des Zeitgeistes: Er wird "Fundamentalist" gescholten und damit isoliert von denen, die lieber nur Meinungen und keinen festen Glauben haben, die von Angeboten und Trends sich einfangen lassen und die Plausibilität mehr lieben als die göttliche Wahrheit. Auch das Mißverständnis des Glaubens als Fundamentalismus gehört zur heutigen Besorgtheit der Kirche. Man beruft sich zwar oft auf einen Menschenfreund, der Jesus von Nazaret genannt wird, den man aber nicht mehr als Jesus Christus, nicht mehr als den wesensgleichen Sohn Gottes und nicht mehr als den wahren Gott und wahren Menschen bekennt. Aber eben dieser Sohn Gottes und Erlöser Jesus Christus spricht "fundamentalistischer" als alle Lehrer und Propheten dieser Welt; er sagt uns: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6).

Es braucht schon viel religiöse Selbsttäuschung, wenn man heute in vielen Bereichen der moralischen Entscheidungen und des christlichen Lebens Jesus gegen seine Botschaft und seine Gesetze instrumentalisiert. Man beruft sich z. B auf Jesus und seine Barmherzigkeit, stellt aber gleichzeitig sich gegen die Unauflöslichkeit der Ehe, die Jesus mehr als deutlich verkündet hat. Mit Berufung auf Jesus startet man ein Volksbegehren gegen die Lehre und das Gesetz Christi. Wer heute in der Kirche so redet und handelt, wird den Anspruch Jesu, daß er der Weg und die Wahrheit ist, zugleich bestreiten. Es gibt heute viele Beispiele dafür, daß auch den Christen Konsequenz und Logik abhanden gekommen sind. Denn es stört heute nicht sehr, wenn Forderungen und Vorschriften für andere verkündet werden, die man selbst wiederum nicht einhält und auch gar nicht einhalten will. Man fordert z. B. Toleranz und Rechte von anderen und verstößt gleichzeitig im eigenen Verhalten gegen diese lautstark verkündeten Maßstäbe gesellschaftlichen Zusammenlebens. Man läßt es ohne Protest zu, daß zwei das Gleiche tun, die Beurteilung gleicher Taten jedoch völlig verschieden ausfällt, weil dies in einem Fall ein Freund und im anderen Fall ein Gegner tut. Groß ist heute das Ärgernis solcher Inkonsequenz; wie sollen die Menschen heute noch eine Spur von Wahrheitsvermutung haben, wenn alles im Chaos von Gefühlen und Einseitigkeit sich auflöst?

Wahrheit als ein Gut der Erkenntnis und der Kommunikation verträgt es nicht, im Widerspruch mit sich selbst aufzutreten; ein aufrecht erhaltener Widerspruch zerstört den Anspruch auf Geltung der Wahrheit. Es gehört also zur logischen Ausstattung der Wahrheit, daß etwas zugleich und unter derselben Rücksicht nicht sein und nicht sein kann. Die Wahrheit, die innere Widerspruchslosigkeit zugleich ist, ist eine geistige Leistung, die nicht einfach auf verschiedene Gegebenheiten sich stützt; die Wahrheit begründet sich nicht einfach in Tatsachen, die Erkenntnisse im einzelnen rechtfertigen; die Wahrheit schafft darüber hinaus eine Ordnung, der unser Erkennen und Wissen verpflichtet ist. Wer die Wahrheit erkennt, der erkennt auch immer mehr, daß die Wahrheit auch der Schlüssel ist, der uns Ordnung, Zusammengehörigkeit, Ziel und Sinn in unserer Wirklichkeit auftut. In ihrer Widerspruchslosigkeit ist also die Wahrheit das in einer "Ordnung" Erschließende.

Das Weltbild, das in "Wahrheit" erkannt und befolgt wird, ist ein anderes, weil es eben nicht auf bloßem Zufall oder gar auf "Chaos" beruht, sondern eine Ordnung darstellt, die ein Ganzes ist; das Ganze wiederum hat eine Botschaft für den Menschen, die ihn sogar bis zur Gotteserkenntnis an den geschaffenen Dingen erheben kann.

Die Frage nach der Wahrheit ist notwendig eine Gottesfrage, denn Gott ist und bleibt unveränderlich die ganze und reine Wahrheit; die Wahrheitsfrage ist aber auch die wichtigste Frage, die der Mensch auch über sich selbst zu stellen hat.

Warum haben Gott und Mensch mit der Frage nach der Wahrheit so wesentlich zu tun?

Die Schriften unseres Glaubens bezeugen uns, daß Gott am Anfang die Welt aus dem Nichts erschuf; Gott erschuf aber auch den Menschen in besonderer Weise und Absicht. Gott wollte den Menschen schaffen als sein Abbild und Gleichnis. Der von Gott geschaffene Mensch ist Gott ähnlich, weil er Gottes Abbild ist. Wir Menschen sind also nicht ein Zufallsprodukt der Schöpfung, das so oder anders sein kann. Ähnlich ist der Mensch seinem Schöpfer, weil es eine grundlegende Übereinstimmung des Menschen mit Gott gibt. Wenn also der Mensch Gottes Abbild ist, ist er von Anfang an in einer Übereinstimmung mit Gott; Übereinstimmung wiederum ist eine Weise der Wahrheit. Als Gottes Abbild, das Gott ähnlich ist, verwirklicht der Mensch eine grundlegende Wahrheit, die in der Übereinstimmung des Menschen mit Gott gelebt werden muß.

Warum bemühen wir uns so sehr um diese Frage nach der Wahrheit, wenn vieles andere auf uns einstürmt, das konkreter, näher und wichtiger uns sich zeigt ? Wer die Wahrheit des Menschen in der Beziehung zu Gott als Ähnlichkeit zu Gott begreift, der findet zu vielen Fragen auch letztgültige Antworten. So z. B.: Worin liegt die Würde eines jeden Menschen ? Die Antwort: Diese Würde liegt darin, daß die Übereinstimmung des Menschen kundtut, daß alles, was vor Gott bestehen will, wie Gott sein muß, nicht Gott selbst, aber Gott ähnlich. So ist auch jede Sünde gegen Gott ein Verstoß des Menschen gegen die Übereinstimmung mit dem Schöpfer, ein Verstoß gegen die Wahrheit, die im Menschen von Anfang an liegt.

Gott gibt dem Menschen Sein und Leben; Leben des Menschen heißt mehr als bloßes Existieren als Lebewesen; Leben des Menschen ist Sich-Entscheiden für Gott und gegen jeden Vorrang eines Geschöpfes. Der Mensch ist mit seinem Dasein auf Entscheidung für Gott und für das Gute ausgelegt und steht damit in jener Übereinstimmung, die seine eigenste Wahrheit ist und damit sein Gottesverhältnis gnadenvoll gestaltet.

Nun aber zur Frage von Wahrheit und Recht in unserer Gegenwart, in unserer Kirche, in Europa und Österreich.

Wahrheit und Recht sind jene Perspektiven, die im historischen Weg Ihrer Landmannschaft und Volksgemeinschaft bis heute noch nicht genügend offenkundig werden durften. Es gibt - so ist es auch Ihre Erfahrung - Unwahrheiten, die ständig verbreitet und behauptet werden, ohne daß jemand dagegen protestieren könnte; solche allgegenwärtigen und stets wiederholten Unwahrheiten hausen in den Redaktionen der Massenmedien und in jenen politischen Konstellationen, die einfach Unrechtmäßiges und Verbrecherisches zu verschleiern haben. Schließlich gibt es auch Wahrheiten, die viele wissen - aber man darf sie an gewissen Orten und zu gewissen Zeiten nicht einmal aussprechen. Was hilft es, wenn man von Pressefreiheit, von Meinungsfreiheit oder von Versammlungsfreiheit redet, aber gewisse Mächtige den Unliebsamen den Mund verschließen ?

Einst war es leichter als Zeuge einer Wahrheit aufzutreten, wenn man mit Mut und Geduld etwas zu vertreten hatte; heute hingegen halten die Mächtigen die Mikrophone, die Fernsehkameras und die Redaktionen besetzt; was dort nicht zu Wort kommen kann, gilt als schlichtweg nicht mehr existent und als belanglos. Heute kann im selben Augenblick die ganze Welt etwas erfahren; da aber fast alles sich zu diesen wenigen Quellen drängt, wird andererseits vieles Wahre verdrängt und vergessen.

Es gehört zum Wesen der Wahrheit, daß sie von der Vernunft erkannt ist und der erkennende Mensch sich der Wahrheit bewußt ist. Wenn etwas wahr ist, kann die Wahrheit darüber niemals verändert werden; was einmal wahr ist, kann niemals mehr nicht wahr sein. Selbst die unbedeutendsten Tatsachen, von denen wir Wahres wissen, bleiben wahre Erkenntnis, auch wenn sie in ihrer einstigen Gegebenheit nicht mehr vorhanden sind: Auch wenn die Schäden und Wunden der Kriege verheilt sind, wenn heute dort Blumen wachsen, wo einst Menschen verblutet sind, bleibt dennoch die Wahrheit einstiger Tatsachen bestehen: Hier starb ein Mensch, hier verhungerte ein Kind, hier gab ein Freund für einen Freund sein Leben.

Selbst wenn man alles gegen die Erinnerung solcher Wahrheiten unternimmt, selbst wenn man solche Wahrheiten unter Strafe stellt, damit niemand darüber spricht oder denkt, es wird dennoch wahr sein, was wahr ist, und es ist auch immer wahr, was irgendwann einmal wahr gewesen ist. Die Wahrheit kann auch mit Macht und Unterdrückung nicht ausgelöscht werden. Sicher gibt es heute viele Versuche, die Menschen zu Verwirrung und Vergeßlichkeit zu treiben, um irgendwann einen Zustand zu erreichen, der nicht mehr erinnert und nicht mehr mahnt.

Für uns Christen jedoch ist alles in der Ewigkeit und Unveränderlichkeit Gottes, alles in der Weisheit und Allmacht, alles in der Güte und Treue Gottes aufbewahrt, was einmal gewesen ist, heute wirklich ist oder in Zukunft sein wird. Wir dürfen uns also darauf verlassen, daß Gott als der Grund und Geber aller Wahrheit nichts untergehen läßt, was Sein und Wahrheit hat. Schon der Apostel Paulus sagt zu den Philosophen des Areopags in Athen: "Keinem von uns ist (Gott) zu fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir" (Apg 17,27 f.). Gott selbst ist gleichsam der Bürge aller Wahrheit, auch der geringsten und vor den Menschen verborgensten.

So läßt sich von keiner Autorität die Wahrheit verbieten; selbst ein Verbot der Wahrheit kann die Wahrheit nicht aufheben. Wenn Gott es will, kann jede Wahrheit wieder auftreten; dies ist auch der Sinn dessen, was wir als das Gericht Gottes über die Welt bekennen. Wenn unsere Welt und die Zeit unserer Geschichte abgelaufen ist, verschwindet unsere Welt nicht in das Nichts; vielmehr wird in Gott alles offenbar werden, was Gutes und Böses der Mensch getan. Unser Ende ist also nicht ein Verlöschen oder Ausglühen der Schöpfung, sondern das Offenbarwerden eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt (vgl. 2 Petr 3,13). Was immer vor Gott Wahrheit ist, wird auch seine ganze Gerechtigkeit finden. Viele von uns warten nach einem leidvollem Leben darauf, daß die Wahrheit auch ihre Gerechtigkeit findet. Wahrheit und Recht gehören in Gott untrennbar zusammen; heute ist wohl noch vieles bloß Wahrheit, die noch kein Recht gefunden hat. Aber jeder von uns hat den Trost des Glaubens, der uns Zuversicht gibt, daß die Wahrheit Gottes auch zu Recht und zur Gerechtigkeit aller Menschen werden wird; vielleicht noch nicht heute, aber schon in der Stunde, die Gott allein nur kennt.

In Gottes ewiger Weisheit und Güte ist schon alles wahr und wirklich, was gewesen ist, was heute ist, was sein wird. So ist selbst die dunkelste Geschichte einbezogen in Gottes Wahrheit und Willen; alles wird einst offenkundig sein.

Über diese Endzeit, in der Gottes Güte und Weisheit offenbar sind, können wir von uns aus kaum etwas berechnen oder voraussagen. Jedoch Geduld und Wachsamkeit des Menschen sollen den Weg erhellen. Geduld ist die Ausdauer im Guten, Wachsamkeit ist das Meiden des Bösen und der Sünde.

Auch für Sie, für Ihre Familien und Angehörigen, für Ihre Leidensgemeinschaft und für Ihre ungebrochene Hoffnung auf Wahrheit und Recht gilt, was im II. Vatikanischen Konzil die Kirche von ihrem Weg durch die Geschichte sagt: "Die Kirche schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin" (LG 8). Dieser Satz des Augustinus läßt sich auch auf den Weg anderer Gemeinschaften - auch Ihrer - übertragen, wenn ein hohes Ziel angestrebt wird, das in Gottes Plänen festgeschrieben ist. Ein großes Maß von Verfolgung liegt im Verdrängen der Wahrheit; der Kern der Verfolgung ist immer auch die Lüge. Denn selbst der grausamste Verfolger will immer als edel, gerecht und auf einen Wert bezogen auftreten. Wir erinnern uns an die Zeit des Kalten Krieges, in der die hinterhältigsten und feindseligsten Politiker am meisten vom Frieden sprachen.

Die Lüge ist schlimmer als der bloße "Irrtum", dem jeder Mensch einmal verfallen kann. Der Irrtum ist eine Unwahrheit, aber er muß in sich noch nicht Lüge sein. Die Lüge liegt darin, daß jemand bewußt und absichtlich die Unwahrheit sagt. Weil die Lüge das Gewissen des Menschen immer anklagt und belastet, gibt es geradezu ein Rieseninstrumentarium zum Erfinden, Verschleiern und Verbreiten der Lüge. Eine von uns erkannte und durchschaute Lüge ist nicht furchterregender als ein zahnloser Drache; denn, ist die Lüge als Lüge erkannt, kann sie nur mehr wenig bewirken. Schon die Wahrheit darüber, daß eine Lüge eben eine Lüge ist, bringt Licht in etwas, was dunkel bleiben möchte.

Die Wahrheit ist eigentlich ganz einfach; es gibt in einer Sache nur eine einzige Wahrheit; Irrtümer und Lügen über eine Sache gibt es unzählige, Wahrheit nur eine. Denn jedes wahre Urteil der Vernunft steht darin, daß etwas ist oder nicht ist; zwischen dem "Ist" und "Nicht-ist" gibt es kein Drittes, daher muß etwas wahr oder nicht-wahr sein. Auch alle Annäherungen und Versuche bezüglich der Wahrheit müssen schließlich ebenfalls beantworten, daß etwas ist oder nicht-ist.

Von einem bekannten Politiker wurde gesagt, daß er lüge; ein anderer, der diesen Lügner sympathisch fand, verteidigte ihn mit dem Einwand: Aber er lügt doch so schön. Schönheit, Nutzen, Gewinn, Egoismus, politische Macht und viele andere Güter des Menschen versuchen die Wahrheit zu ersetzen nach dem Prinzip: Wahr ist, was mir nützt, gefällt, Macht und Gewinn bringt, was mich groß und herrlich dastehen läßt, das ist wahr, und gipfelt im altbekannten Zynismus: Wahr ist, was der Partei nützt.

Wahrheit kann letztlich nie beleidigen; sicherlich braucht unsere Rede Klugheit und pädagogische Einfühlung; aber die Wahrheit ist immer besser als jede wenn auch noch so geschönte Weise der Unwahrheit und Lüge. Auf der Wahrheit müssen auch die Gesetze des Staates, das Recht der Bürger und des Volkes aufbauen; auf eine Unwahrheit läßt sich nichts aufbauen, was für alle und zu allen Zeiten gelten soll. Die Wahrheit muß alles umgreifen, worin der Mensch ist, lebt und sich gestaltet. Das Recht, das für alle gelten soll und Gerechtigkeit schafft, kann sich nur in einer unzweifelhaften Wahrheit zum Wohl des Menschen gestalten. Auch eine Geschichtslüge oder eine politische Lüge kann ein Recht nicht begründen. Wenn heute in vielen Fragen von Recht und Entschädigung die Historiker zur Klärung auf den Plan gerufen sind, so ist es ein Vergehen an der Wahrheit, wenn bestimmte Sachverhalte des Unrechts und der Verbrechen an Menschen nicht einmal thematisiert werden dürfen. So wie wir sagen, daß der Friede unteilbar ist, so müssen wir auch von einer historischen Wahrheit festhalten, daß sie ein humanes und politisches Ganzes ist, das nicht teilbar und nicht in Teilen unterdrückbar ist. Der Friede ist unteilbar, unser Leben ist ein unteilbares Ganzes, unsere Seele ist unteilbar und die Wahrheit wird zur Lüge, wenn sie nicht das Recht hat, als ein unteilbares Ganzes zu gelten.

Die Lüge hat am Anfang der Menschheit Sünde und Unheil in die Welt gebracht. Unser Erlöser Jesus Christus mußte gegen den "Vater der Lüge" kämpfen, um den Menschen die ursprüngliche Wahrheit ihres Abbild-Seins von Gott wiederzugeben. Christus nimmt den Vater der Lüge, den Teufel, das Prinzip alles Bösen, sehr ernst. Der Teufel war ein Mörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit; ... er ist der Vater der Lüge (vgl. Joh 8,44). Der Mensch, der sündigt, hat keine Wahrheit in sich, denn er lebt gegen seine eigene Wahrheit, die darin gründet, daß er Gottes Abbild ist.

Überall dort, wo sich Christus als Erlöser durchsetzt, dort kommt die Wahrheit über Gott und den Menschen ans Licht; dort wirkt der Geist der Wahrheit, den uns Christus sendet, damit wir wahr entscheiden, recht handeln und das Heil finden. Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Wo Gott als Erlöser, Richter und Heiland hervortritt, dort gewahren wir die Treue Gottes als die große Wahrheit der Liebe Gottes zum Menschen. Das Reich Gottes ist ein Reich der Wahrheit, in das wir berufen sind durch Christus, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.

In diesen Tagen durchschreiten wir Ärgernisse, Verleumdungen, Verächtlichmachungen und Heuchelei, die von außen, aber auch im Inneren unseres Landes von Bürgern provoziert werden, die patriotische Solidarität scheinbar völlig vergessen haben. Als es Ihnen einmal schlecht ging, wußten Sie besser um die Pflicht zu Gottesfurcht und Solidarität; Sie haben sich durchgesetzt mit Mut, Begabung und Geduld; dafür bewundern wir Sie und danken Gott, daß Sie zu uns gekommen sind und unser Land großartig mitgestaltet haben. Wenn es den Menschen zu gut geht, verlieren sie schneller Treue und Solidarität als in Tagen der Not. Sie haben eine schwere Schule des Leidens durchgemacht; geben Sie den Bürgern von heute Ihre Lebensbotschaft der Treue, damit unsere ängstlichen Menschen von heute wieder Boden finden.

Die Wahrheit steht auf Ihrer Seite, auch wenn sie heute noch unterdrückt wird. Mit der Wahrheit wird das Recht auch Ihr Recht sein. Den neuen Himmel und die neue Erde wird uns Gott einst schenken, wo dann Gerechtigkeit und Friede wohnen und einander umarmen.


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 27.02.2000.

 

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