zurück   Predigten
Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

Predigt zum Muttergottestag in Hallenberg (D)
am 20. August 2000

Geliebte im Herrn !

In der Nacht vor seinem Leiden und Sterben sagte Jesus zu den Seinen: "Ich werde euch wieder sehen; dann wird euer Herz sich freuen, und eure Freude wird euch niemand nehmen". In diesem Wort des Erlösers sei heute unsere Freude geborgen.

Wir beten für die Familien, die Mütter und Väter, die Kinder und die Jugend. Wir beten für die Kranken, Leidenden, Behinderten und für die älteren Menschen. Wenn wir beten, ist der Herr mitten unter uns. Nehmen wir heute auf in unsere Mitte die Alleinstehenden und Einsamen, die Heimatlosen und die Ungetrösteten, die verfolgten Glaubensbrüder. Laden wir ein in unsere Mitte alle Menschen, die an Christus glauben; rufen wir heute für alle, die an Gott glauben; seien wir heute nahe allen Menschen, die guten Willens sind. Schließen wir in unser Gebet auch jene Brüder und Schwestern ein, die sich von Christus und seiner Kirche abgewendet haben. "Erweist allen Menschen Ehre, liebt die Brüder, fürchtet Gott und ehrt den Kaiser" - mit diesen Worten unterweist der 1. Petrusbrief die Christen.

Viele denken heute über das nach, was die Menschen "Schuld" nennen. Denn man spricht von Schuld und Schuldgefühlen, von historischer Schuld, von nationaler Schuld, von Schuldstrukturen und auch von sozialer Sünde. Doch solche Worte allein können nicht Schuld und Sünde bewältigen. Vor Gott, vor Gott selbst, muß der Mensch seine Sündenschuld ausbreiten und bekennen: "Gegen dich allein habe ich gesündigt, ich habe getan, was dir mißfällt". Vor Gott hat der Mensch zu bitten: "Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden; tilge alle meine Frevel. Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz ...".

Wie oft ruft der Mensch in einer verwirrten, ungerechten und gefahrvollen Welt nach Veränderungen, Reformen, Korrekturen und Lösungen. Wo der Mensch jedoch nur die "Dinge" verändern will, dort werden den alten Übeln meist neue Übel folgen. Wenn aber der Mensch sein Herz verändert und sich bekehrt, dann erkennt der Mensch die Wahrheit und den Weg zum Besseren im Willen Gottes.

Wie treffend hat Papst Pius XII. die Not unserer Zeit beschrieben, als er sagte, daß "die Sünde des Jahrhunderts der Verlust des Bewußtseins von Sünde" ist. Das Heil und das Wohl des Menschen stehen auf dem Spiel, wenn es für die Menschen immer schwieriger wird, das Gute und das Böse zu unterscheiden, das Gute zu tun und das Böse zu meiden. Der tiefere Grund für die zunehmende Orientierungslosigkeit des heutigen Menschen liegt in der Krise des Gewissens und im Schwinden des Gottesbewußtseins.

Das Gewissen ist die "verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen"; das Gewissen ist die "erste Grundlage der inneren Würde des Menschen und zugleich seiner Beziehung zu Gott". Wird die Wirklichkeit Gottes verdunkelt, verformt sich auch das Gewissen des Menschen; wird die Sünde geleugnet, wird auch Gott geleugnet.

Viele halten heute das Urteil des menschlichen Gewissens für etwas Relatives, für etwas bloß vom Menschen Gemachtes, für die Regel eines Humanismus ohne Gott. "Handle nach deinem Gewissen!" ruft man dem Menschen zu; doch niemand sagt ihm, was er tun und was er meiden soll. Das Gewissen des Menschen verwahrlost, wenn es allein gelassen wird und man ihm die Wahrheit vorenthält.

Das Gewissen kann von der Würde des Menschen nicht getrennt werden. Das Gewissen des Menschen hat ein unveräußerliches Recht auf Wahrheit. Und wenn die Kirche die Lehre des Glaubens und der Sitten verkündet, erfüllt die Kirche einen Dienst an der Würde des Menschen, den Gott von Anfang an als sein Bild und Gleichnis schuf.

Der Würde des Menschen entspricht allein des recht gebildete Gewissen. So wird jeder Gläubige von der Würde seines Menschseins her angehalten, sein Gewissen in rechter Weise zu bilden; dafür muß der Mensch die göttliche Ordnung des Schöpfers vernehmen, er muß die in Christus geoffenbarte Wahrheit befragen, er muß die Lehre der Kirche hören und annehmen.

Vor zweiunddreißig Jahren hat Papst Paul VI. die Enzyklika "Humanae vitae" als eine Lehre der Kirche vorgelegt, in der dem obersten Lehramt des Papstes der besondere religiöse Gehorsam zu leisten ist. Das Zweite Vatikanische Konzil verlangt für eine solche Lehre des Papstes ehrfürchtige Anerkennung und aufrichtige Anhänglichkeit entsprechend der vom Papst kundgetanen Auffassung und Absicht.

Die Würde des Menschen ist heute vielfach in Gefahr. Diese Gefahr betrifft oft die eheliche Gemeinschaft von Mann und Frau und die Familie. In einer immer umfassenderen Weise wird heute von der Kirche gefordert, "zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person" zu sein. Es war eine prophetische Botschaft für das Leben, die Papst Paul VI. der Kirche und der ganzen Menschheit schenkte, wenn er gegenüber der ratlos gewordenen Menschheit wiederum das göttliche Gesetz verkündete, daß die eheliche Liebe voll menschlich, ausschließlich und offen für das neue Leben sein muß. So sind die Enzyklika "Humanae vitae" und das Apostolische Schreiben "Familiaris consortio" Auslegungen des göttlichen Gesetzes, die zur rechten Bildung des menschlichen Gewissens notwendig sind. Nicht Ratlosigkeit und Widerspruch dürfen die Menschen verwirren. Der liebende und gläubige Gehorsam aller wird es sein, der diese Lehre der Kirche als den Weg der göttlichen Ordnung und der Menschenwürde erfassen läßt.

Ihr müßt vom Glauben zum Leben eine Brücke bauen. Sehr verantwortungsvoll achten heute viele von euch auf die Erhaltung der Vielfalt des Lebens. Ihr bedenkt die Folgen von Fortschritt und Wachstum, von Technik und Wirtschaft. Es ist gut, daß viele Probleme für euch zu einer Frage der Ethik und des Gewissens geworden sind. Damit habt ihr auch eine besondere Verantwortung für das Leben übernommen.

Aber inmitten von so vielfacher Rücksichtnahme auf das Leben steht heute etwas, was Gott und den Menschen zutiefst beleidigt, was schwere Sünde und Ärgernis ist. Es ist dies die Tötung unzähliger Menschen im Mutterleib; es ist dies auch der gewissenlose Umgang mit dem menschlichen Leben durch Praktiken des vermeintlichen wissenschaftlichen Fortschritts. Vom Anfang seines Daseins an steht das Leben des Menschen unter dem Schutz Gottes; wer ungeborenes Leben tötet, versündigt sich schwer gegen Gott und sein Gesetz. Die Kirche darf daher niemals aufhören, das Gewissen der Menschen auf die Heiligkeit und auf das Lebensrecht des ungeborenen Menschen zu verpflichten. Trotz aller Kultur und Zivilisation wird ein Volk seine sittliche Ordnung und Würde verfehlen, wenn es den ungeborenen Menschen nicht wirksam schützen will.

"Kehrt um!" - dieses Wort unseres Erlösers Jesus Christus war es, das uns zur Besinnung rufen sollte. Es gibt nur eine Wahrheit der göttlichen Offenbarung und des Glaubens. Unzählig oft und vielfach jedoch kann der Mensch irren und Gott den Gehorsam versagen.

Die Bekehrung des Menschen zu Gott kann nur geschehen, wenn der Mensch auf allen Wegen seiner Sünden umkehrt. Aus "ganzem" Herzen müssen wir Gott lieben; unser Herz darf keine Ausnahmen und Vorbehalte suchen, wenn es sich zu Gott bekehren will. Wie oft wird der Kirche der unberechtigte Vorwurf gemacht, sie wende sich nur in privaten und intimen Fragen an das Gewissen des Menschen. Man möchte jedoch von der Kirche nur über große Fragen des Friedens, der sozialen und politischen Gerechtigkeit und des gesamten menschlichen Zusammenlebens eine Botschaft hören.

Die Kirche kann die großen Probleme der Menschheit nie aus dem Auge verlieren. Zu allen Zeiten und an allen Orten muß die Kirche aufspüren und fordern, was das Wohl und das Heil des Menschen ist. Denken wir in dieser Stunde an die Mühen eines gerechten Weltfriedens; schaffen wir Vertrauen unter den Menschen, damit Angst und Gewalttätigkeit weichen. Öffnet eure Herzen und Hände den Notleidenden und Armen. Steht bei den Verfolgten und Unterdrückten. Widersprecht der Verachtung und Entwürdigung des Menschen. Schenkt eure Kraft und euer Können den Menschen ohne Arbeit, den Menschen in den benachteiligten Regionen, den Familien in Not, den Kranken und Behinderten, den älteren und hilflosen Menschen.

Ohne die innere Bekehrung des Herzens kann uns jedoch nicht gelingen, was Gottes barmherziger Plan für die Menschen von uns verlangt. Aus ganzem Herzen müssen wir Gott lieben. Auf Gott müssen sich ausrichten unsere geheimsten Wünsche, unsere Gedanken und Urteile, unsere Haltungen und Gewohnheiten; mit Gott müssen übereinstimmen unsere Pläne und unser Streben, unsere persönlichen Entscheidungen und unsere sichtbarsten Taten. Nur so erfüllen wir unser wahres und durch Christus erlöstes Menschsein.

Der unbekehrte Mensch ist heute zutiefst in sich entzweit: Er fordert Treue und Zuverlässigkeit und ist selbst untreu, oft in der Ehe und gegenüber seiner Familie. Er verkündet die Ideale der Humanität und lebt selbst wie ein Gottloser. Er fordert und will selbst nicht geben. Er legt anderen Lasten auf, die er selbst nicht tragen will. Wie oft erlebt ihr diese Zerrissenheit in den Bereichen des öffentlichen und des privaten Lebens.

Die Bekehrung des Menschen ist ein Abkehren von jeder Sünde. Die Bekehrung ist die tägliche Herausforderung zum Heiligeren und noch Besseren. Die Bekehrung ist gleichsam unser Abenteuer mit den liebevollen Absichten Gottes. Die Bekehrung ist das Gelingen unseres erlösten Menschseins in der Barmherzigkeit Gottes.

Spruch Gottes des Herrn: "Kehrt um, damit ihr am Leben bleibt!"

Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Das wahre Licht ist Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, der Erlöser des Menschen. Allen, die ihn aufnehmen, gibt er die Macht, Kinder Gottes zu werden.

Geliebte im Herrn!

Ihr werdet fragen: Was wird aus mir, wenn ich mich bekehre? Was bin ich noch, wenn ich mich ganz aufgebe und ich ganz in Gottes Liebe versinke? Seid nicht besorgt, wenn nur mehr Gottes Liebe und Gnade euer Leben ist. Wer sich auf Gott ganz einläßt, wird Mensch sein; er wird wahrer Mensch sein. Denn, was Gott denen bereitet, die umkehren und Gott lieben, erstrahlt in der Fülle des Erlösers, Jesus Christus. Wenn du auf Gottes Barmherzigkeit eingehst, dann verlierst du dich nicht; nein, du wirst dich wiederfinden als neuer und erlöster Mensch. Weit werden wird dein Herz und du wirst erfahren: Ich bin Gottes Bild und Gleichnis, ich bin Gottes geliebtes Kind. Wenn du dich bekehrst, fällst du nicht ins Ungewisse; nein, du findest dich im Erlöser, der wahrer Gott und vollkommener Mensch ist. Christus selbst tut dir dein Menschsein voll kund und erschließt dir das Geheimnis deiner Berufung.

Der menschgewordene Sohn Gottes blieb von Anfang an nicht allein in einer Welt der Finsternis: Er wurde aufgenommen von der Liebe einer Mutter, er konnte seinen Weg beginnen in einem Menschen, der in Vollendung erlöster und begnadeter Mensch ist. Unbefleckt empfangen und allzeit sündenlos ist dieser Mensch: Maria ist es. In Maria hat Gott schon alles vollendet, was wir in der langen und mühevollen Geschichte der Barmherzigkeit Gottes als unsere Bekehrung erfahren. Alles, was Gott denen bereitet, die ihn lieben, ist von Anfang an erfüllt in Maria.

Jeder von uns muß sich bekehren; immer wieder neu müssen wir uns zu Gott bekehren. Maria bedurfte nie der Bekehrung aus der Sünde. Zu Maria jedoch rufen die Kinder Adams: "Du Zuflucht der Sünder, bitte für uns!" Das, was wir in der Bekehrung ersehnen, ist in Maria von Anfang erfüllt: Erfüllt ist in Maria, daß alles, was des Menschen ist, zur Heiligkeit erhoben und in die Liebe zu Gott eingebracht werden kann. Maria ist der Sieg jener Liebe Gottes, die größer ist als alle Sünde, größer als die Schwachheit und Vergänglichkeit des Geschaffenen, stärker als der Tod. So ist Maria die Mutter der Barmherzigkeit. Der Mutter der Barmherzigkeit wollen wir uns anvertrauen und übergeben. Maria, die Mutter der Kirche, helfe uns, damit sich überall die Herzen für Christus auftun.

Geliebte im Herrn! Den Glauben und das Leben wollt ihr in Christus erneuern. Betet unablässig; entscheidet euch für das wahre Menschsein durch Christus; bekehrt euch immer wieder zu Gott durch die persönliche und gewissenhafte Beichte; baut eure Pfarrgemeinschaft vom sonntäglichen eucharistischen Opfer her auf. Liebt die Kirche statt sie zu kritisieren. Laßt eure Seelsorger und eure Bischöfe nicht im Stich. Laßt euch nicht verwirren durch vorgefaßte Meinungen und lieblose Agitation. Habt Treue und Liebe zueinander, besonders in Familie und Ehe.

Die Kirche muß sich in ihrem Inneren erneuern; unsere Bekehrung ist der Weg dieser Erneuerung. Dann kann unsere Kirche wie eine Stadt auf dem Berg sein, Zeichen der Hoffnung für die Welt. Unsere Völker und Kulturen gehen neuen und oft ungewissen Veränderungen und Entscheidungen entgegen. Die Kirche, der Geheimnisvolle Leib Christi, ist gerufen, die Welt im Gleichgewicht des Friedens und den Menschen im unfaßbaren Geheimnis seiner Würde zu bewahren.

Die Wahrheit ist die große Kraft unseres Glaubens, sie ruht in Gott selbst. Hört die Wahrheit des Glaubens von der Kirche, lernt sie und lehrt sie, bedenkt sie, bekennt und verteidigt sie. Unser Glaube ist nicht bloß Lebensgefühl; unser Glaube ruht nicht in der Beliebigkeit des Menschen, sondern im Ursprung Gottes. Ihr wollt den Glauben weitergeben an eure Kinder, an die jungen und suchenden Menschen, an die nächsten Generationen und an die Menschen in aller Welt. Ihr müßt den Glauben lernen und kennen, damit ihr beim Weitergeben nicht mit leeren Händen dasteht. Das Unwissen der Menschen im Glauben ist heute zur besorgniserregenden Hilflosigkeit im Leben geworden. Belebt die guten und bewährten Wege der Katechese und des Glaubensunterrichts, und sucht unablässig die noch besseren Wege. Die Wahrheit Christi braucht eure Ehrfurcht, eure Hingabe und eure Treue.

Brechen wir nun auf und gehen wir unseren Weg in Christi Namen und mit Gottes Hilfe. Bekehren wir uns selbst, damit die Welt sich zu Christus bekehrt. Die Kirche kann für jeden Menschen einen Weg der Barmherzigkeit finden, weil der Würde und dem Heil des Menschen die Barmherzigkeit Gottes gehört. Denn "das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit ... Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade". Amen.


zurück
Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 20.08.2000.

 

Zur Hauptseite der "Bischöflichen Homepage"

Zur Diözese St. Pölten