Hirtenbriefe |
Hirtenbrief zum 15. November 1996
anläßlich der Segnung der
Niederösterreichischen Landhauskapelle in St. Pölten
Liebe Gläubige, geehrte Damen und Herren in Politik und
Verwaltung des Landes Niederösterreich!
1. Mit dem Festtag unseres Landespatrons, des heiligen Leopold, beginnt am 15. November des Milleniumsjahres 1996 für Niederösterreich ein neuer geschichtlicher Abschnitt: Die Landeshauptstadt St. Pölten wird von diesem Tag an mit ihren neugeschaffenen Einrichtungen für alle Menschen in Niederösterreich nicht nur ein Verwaltungszentrum, sondern auch die politische Mitte des Bundeslandes sein.
Vor zehn Jahren haben sich die Niederösterreicher in einer Volksbefragung für eine eigene Landeshauptstadt entschieden und der Stadt St. Pölten den Vorzug gegeben. Ein seit Jahrzehnten geäußerter Wunsch, der Optimismus und die Tatkraft eines Landeshauptmannes, das Votum der Landesbürger und die intensiven Beratungen der politischen Kräfte des Landes waren die Grundlage für den einstimmigen Beschluß des Niederösterreichischen Landtags vom 10. Juli 1986, unserem Bundesland eine neue und eigene Landeshauptstadt St. Pölten zu geben.
Nunmehr feiern am kommenden Leopoldi-Tag die Niederösterreicher mit Freude und Dankbarkeit eine politische Neuordnung, die dem ganzen Land gerechten Fortschritt, Wachstum in den menschlichen Belangen und Verbesserungen für die Lebensräume bringen soll.
2. Niederösterreich ist ein Bundesland, in dem die katholischen Christen eine große Mehrheit sind. Dies beruft uns zur Verantwortung, als Christen am Wohl auch aller Menschen mitzuwirken. Schon in der Römerzeit gab es in Aelium Cetium Christen unter der Bevölkerung. Später gehörte unser Gebiet zur Diözese Passau, ehe unsere Diözese St. Pölten 1785 ihren ersten Bischof erhielt. Am Festtag der Landeshauptstadt werden wir dankbar der Wohltaten Gottes in der Vergangenheit gedenken und vertrauensvoll für die Zukunft Niederösterreichs beten; wir sind eingedenk des Schriftwortes: „Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut. Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst“ (Ps 127,1).
Wie bisher im Landhaus in Wien, wird es auch eine Landhauskapelle in St. Pölten geben. Der Gedenkstein, den Papst Johannes Paul II. anläßlich seines Pastoralbesuches 1988 im Wiener Stephansdom für die Landeshauptstadt St. Pölten gesegnet hat, wird im Gebäude der Landesregierung und des NÖ Landtags einen ehrenvollen Platz finden.
3. Als die Bürger 1986 über die Landeshauptstadt befragt wurden, war die Tatsache sicher von Bedeutung, daß St. Pölten seit 200 Jahren Bischofsstadt war. Bischof Johann Heinrich von Kerens (1785-1792), der erste Bischof, entschied sich für den Bischofssitz in St. Pölten und schuf damit eine Voraussetzung auch für die heutige Landeshauptstadt. Die Erzdiözese Wien und die Diözese St. Pölten teilen sich das Gebiet des Bundeslandes Niederösterreich. Was nun in St. Pölten als Anliegen der Kirche wahrzunehmen ist, soll in der gleichen einvernehmlichen und vertrauensvollen Weise geschehen wie bisher in Wien. Wir freuen uns, daß auch der Metropolit und Erzbischof von Wien, Dr. Christoph Schönborn, an der Segnung der neuen Einrichtungen mitwirken wird.
In Respektierung der je eigenen Identität der verschiedenen Glaubensgemeinschaften müssen auch im öffentlichen Bereich der Landeshauptstadt gute Wege des Zusammenwirkens gefunden werden.
4. Wenn wir nun für unsere Landeshauptstadt den Schutz und den Segen Gottes erbitten, liegt vieles noch im Ungewissen der kommenden Jahrzehnte. Nicht alles kann vorausberechnet werden. Vieles wird die Sache von Geduld und Mut, von schwierigen Entscheidungen und Opfergeist, von Umdenken und Umgewöhnen sein. Dafür gelten unsere Segenswünsche dem Landeshauptmann und der Landesregierung, den Abgeordneten des NÖ Landtags, den Beamten und allen Mitarbeitern am Gemeinwohl der Bürger. Es gibt viele Aufgaben, die alle in Gerechtigkeit und in Ehrfurcht vor der Würde des Menschen zu vollbringen sind.
5. Ein Zentrum hat viele natürliche Vorteile, die abseits gelegene Regionen nicht haben; ich denke besonders an den ländlichen Raum und an die von der Landwirtschaft abhängige Bevölkerung. Unsere Landeshauptstadt soll mehr als ein bloßes Zentrum sein; sie soll eine Mitte sein, von der Gerechtigkeit für alle und Solidarität für die Benachteiligten und Leidenden, für die Unglücklichen und Arbeitslosen, die Familien und die Kinder, für die Flüchtlinge und die heimatlosen Menschen ausgehen. Sie soll eine Stadt sein, in der Gott den Menschen nahe ist, und ein Vorausbild der himmlischen Stadt Jerusalem sein, weswegen wir mit dem Psalmisten sagen: „Wegen meiner Brüder und Freunde will ich sagen: In dir sei Friede“ (Ps 122,8).
Durch Menschen, die einander in Liebe verbunden sind, soll unsere Landeshauptstadt eine heilige, schöne und bergende Stadt sein. Die Christen werden dafür öffentlich Verantwortung tragen müssen.
6. Wohlstand und Friede seien Stadt und Land beschieden. Die Gottesmutter, als die große Schutzfrau Österreichs, deren Hilfe und Fürsprache unsere Heimat in notvollen Zeiten oft erfahren hat, sei Schutz und Schirm für die Gläubigen und Suchenden. Der heilige Landespatron Leopold, dem die Landhauskapelle gewidmet ist, sei der Fürsprecher bei Gott für jenes Land, das einst unter seiner Herrschaft erblühte. Der heilige Hippolyt, dessen Namen die Stadt St. Pölten trägt, sei Vorbild und Wegweiser für alle Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt. Wir rufen unsere Heiligen und Seligen Florian, Valentin, Severin, Koloman, Altmann, Berthold, Johannes v. Capistrano, Clemens Maria Hofbauer, Maria Theresa Ledochowska und Otto v. Freising in dieser Stunde an.
7. Viel wird uns mit der Landeshauptstadt geschenkt. Viele Menschen haben durch ihren Mut und ihren Geist in hervorragender Weise dazu beigetragen. Gedenken wir beim Herrn aller jener, die Gutes taten, und beten wir für jene, denen die Zukunft unseres Landes anvertraut ist.
Unser Erlöser Jesus Christus ist der erste Bürger
unserer Welt. Sein Gesetz ist es, daß einer des anderen Last trage (vgl.
Gal 6,2).
St. Pölten, 15. November 1996
Fest des heiligen Landespatrons Leopold
+ Kurt Krenn
Diözesanbischof
Quelle: St. Pöltner Diözesanblatt, Nr. 11, 1. November 1996, 74 f.
Siehe auch:
Ansprache anläßlich der Segnung der
Niederösterreichischen Landhauskapelle in St. Pölten
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