Katholische Kirche in Europa:
Die Gemeinschaft im Handeln
bedarf der Einheit in der Glaubenslehre
Vortrag
in Nice am 26. September 1990
von Weihbischof Prof. Dr. Kurt Krenn,
Erzdiözese Wien (1987-1991)
0. Notwendige Vorausbemerkung: Was zu
diesem Referat gesagt werden muß, ist oft Vorausschau auf ein Mögliches und
Denkbares, Ahnung des Besseren oder Anstoß für eine eher akademische und
theoretische Diskussion. Vieles Gesagte will kein generelles Urteil sondern die
Feststellung oft nur teilweise gegebener Zustände sein. Das Referat soll jenen
dienen, die über die Anliegen der Kirche in Europa sehr praktisch,
organisatorisch und realistisch auf dieser Tagung beraten wollen.
1. Die jüngste Vergangenheit hat Entwicklungen
mit sich gebracht, die sich heute noch unserem kausalen Verstehen entziehen.
Warum geschahen Ereignisse, die wir nicht einmal zu erträumen wagten? Welches
Geflecht von Ursachen war hier am Werk? Oder waren es im einzelnen oft gar
keine der bekannten politischen und ökonomischen Ursachen, was fast über Nacht
eine neue politische Ganzheit erstehen ließ? Zeigt sich heute vielleicht eine
Ganzheit, die viel mehr mit dem "Geist" des Menschen als mit den
bloßen Dingen zu tun hat, so daß in einer Epoche der scheinbar größten
Berechenbarkeit wir auf ganz andere "Parameter" achten müssen als es
bisher unsere Gewohnheit war? Wir sprachen bisher schon gern von
"Europa", vor allem wenn wir festlich gestimmt waren und wir ein
wenig utopisch von der Zukunft reden wollten. Nun ist auf einmal eine
Wirklichkeit Europa da, die wir immer schon beschworen haben, für die wir nun
jedoch gänzlich unvorbereitet erscheinen.
2. Wenn wir von gewissen Verträgen und von
den Menschenrechten, deren Verwirklichung sehr verschieden in den souveränen
Staaten vor sich geht, absehen, gilt in unserer Epoche fast immer nur der
souveräne Staat als die Quelle von Recht, Gerechtigkeit und Gesetz. Nunmehr
jedoch wollen Staaten in verschiedenstem ökonomischen und politischen Zustand
in das gemeinsame Haus Europa einziehen. Der wohlverstandene Egoismus des
souveränen Staates war bisher die Grundlage für das Spiel der Kräfte. Wird das
neue Europa statt des souveränen Egoismus eine neue Solidarität des Handelns
und eine neue Vorrangigkeit in der Ordnung Europas erzwingen? Mit großer
Wahrscheinlichkeit wird ein neues und geeintes Europa im Bereich von Recht und
Gesetz zahlreiche Neuheiten mit sich bringen: Es werden von der Sache her neue
Gegebenheiten auftreten, die rechtlich und gesetzlich geordnet werden müssen;
es werden jedoch nicht nur solche "Materien" zu ordnen sein, es
werden dabei auch neue "Prinzipien" in Kraft treten, die sich gerade
nicht mehr im souveränen Einzelstaat begründen lassen sondern nach neuen
Subjekten verlangen, die Recht, Gesetz und Ordnung im gesamten tragen.
Von solchen
Veränderungen wird auch die Kirche nicht unberührt bleiben. Vieles ist in der
Kirche gleichsam parallel zu den Rahmenbedingungen des souveränen Staats
geordnet, ob dies die öffentlich-rechtliche Stellung, der schulische
Religionsunterricht, die von einem Konkordat geregelten Materien, der Zugang zu
den Massenmedien, der Kirchenbeitrag, die Religions- und Gewissensfreiheit, die
Eigenständigkeit in der Selbstgestaltung u.a. sind, was mit einem Zurücktreten
der staatlichen Souveränität auch für die Kirche in eine neue Ordnung gestellt
werden muß. Die Kirche hat jedoch auch immer schon Wesensstrukturen, die die
Enge der Staatssouveränität übersteigen. Es liegt im Wesen der Kirche, zuerst
die universale Kirche auf der ganzen Welt für alle Menschen zu sein; längst
bevor den Menschen die Idee von einem geeinten Europa oder von einer
funktionierenden Welt-Völkergemeinschaft kam, hatte die katholische Kirche
immer schon "Europa-Fähigkeit" bzw. "Weltfähigkeit" in ihrem
Wesen.
3. Auch wenn mit dem II. Vatikanischen
Konzil eine gewisse Stärkung der örtlichen Gegebenheiten sowie der kulturellen
und regionalen Besonderheiten erfolgte, war der Vorrang der
"Gesamtkirche" vor jedweder "Teilkirche" niemals in Frage gestellt.
Denn die Gesamtkirche bemißt die Teilkirche in ihrem Wesentlichen, denn nur die
Gemeinschaft in der Lehre des Glaubens und die hierarchische Gemeinschaft
legitimieren eine Teilkirche, d.h. eben als eine Verwirklichung der
Gesamtkirche. Von daher sollte auch mancher üblich gewordene Wortgebrauch heute
vermieden werden; es ist nicht ganz korrekt, die "Kirche von
Österreich" oder die "Kirche von Wien" oder gar die Kirche von
irgendeiner Pfarre als Denominationen zu verwenden; zutreffender wäre es, von
der "Kirche in Österreich" und "in Wien" zu sprechen, um
bewußt zu halten, daß die Kirche "eine" Kirche ist, in dieser Welt
als Gesellschaft verfaßt und geordnet, verwirklicht in der katholischen Kirche,
die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet
wird (vgl. Lumen gentium, Nr.8). Wenngleich das Wort von der
"Ortskirche" oft üblich geworden ist, bringt das Wort von der
"Teilkirche" besser zum Ausdruck, daß nur Kirche ist, was
Verwirklichung dieser einen Gesamtkirche ist.
4. Ohne Zweifel ist mancherorts die
Mentalität festzustellen, die Kirche werde in ihrem Wesen nun von der örtlichen
Sonderkirche bestimmt und sei nichts anderes als die Summe ihrer besonderen
örtlichen Verwirklichungen. Daß die örtliche Teilkirche nur in der ganzheitlichen
Identität der Gesamtkirche die Kirche sein kann, gerät zuweilen in
Vergessenheit. Die Existenzfrage der örtlichen Teilkirche stellt sich daher
richtigerweise als die Frage, wie die Gesamtkirche wesentlich, unverkürzt und
in Einheit in den örtlichen Teilkirchen verwirklicht werden kann. Der heute oft
geäußerte theologische Regionalismus würde eine Zerstörung der Kirche bedeuten,
wenn nicht mehr von der einen Gesamtkirche her das Leben und die Ordnung der
örtlichen Teilkiche beurteilt und verwirklicht werden.
Diese Anmerkungen zum
Verhältnis Teilkirchen-Gesamtkirche haben nicht nur ihren theologischen,
sondern auch ihren zeitpolitischen Ernst: Während man in Europa mühsam nun
daran geht, jene Grundlegung für eine politische und ökonomische Ordnung zu finden,
die effiziente Autorität jenseits der Staatensouveränität auszuüben vermag,
könnte die Kirche gerade jetzt in Gefahr geraten, die wirksame Eigenständigkeit
und Gegenwart des Ganzen und Gesamten gegenüber den Teilkirchen aufs Spiel zu
setzen; gerade jedoch die heutige politische Situation Europas verlangt nach
dem Paradigma von Ganzem und Teil, das längst in der Kirche wie eine Art
Hausrecht praktiziert wird.
5. Wie man auch den politischen
Gebrauchswert der Kirche angesichts der Frage "Europa" beurteilen
mag, steht dieses eine fest: Die Kirche ist eine wirkliche Einheit, die von
Anfang an ihre Geltung nicht in jenen nationalen und souveränen Subjekten
begründete, die ein neues Europa nun wird überdenken müssen. Es kann eigentlich
nur im Interesse der Zukunft Europas liegen, wenn die Kirche ihre innere
Einheit und Gesamtheit bewahrt und vertieft. Die Kirche hat in jedem Volk
Europas ihr besonderes Erscheinungsbild, dennoch ist sie die "eine"
und "dieselbe" in ihrem Wesentlichen; dies bedeutet vor allem Einheit
in der Lehre des Glaubens und in der Gemeinschaft des hierarchischen Amtes. Den
heute zur totalen Autonomie neigenden Menschen fällt es schwer, das Wesentliche
und Bleibende der Kirche von den freien, legitimen, ortsbedingten und
wandelbaren Gestaltungsmöglichkeiten sachkundig zu unterscheiden. Wenn aber das
bleibende Wesentliche in Lehre und Disziplin berührt wird, dann ist es gegen
die Zeichen der Zeit und gegen die Einheit der Kirche, etwa z.B. in der Frage
von Ehe und Familie einen "diözesanen Weg" gegen den "römischen
Weg" zu stellen. Phänomene solcher Art sind heute nicht selten: die Lehre
der katholischen Moral wird regionalisiert in dem Sinn, daß in Europa anderes
als in Afrika gelten könnte; die Lehre von der Kirche hat in Mitteleuropa
gewisse neuartige Präferenzen in einer besonderen Vorstellung von Demokratie;
in manchen Bereichen der Kirche ist der gemeinsame Glaube wenig gefragt, umso
mehr jedoch zählen die besonderen Gesinnungsprüfungen, welche Basisgruppen,
Räte oder spirituelle Bewegungen als für die Zugehörigkeit zur Kirche
unerläßlich erklären. Einen besonderen Totalitarismus üben auch jene
Pastoraltheologien aus, die ihre Geltung von Machbarkeit und totaler Praxis
ableiten und die Glaubenslehre der Kirche wie einen pastoral unvermittelbaren
Restbestand betrachten.
6. Der bisher herrschende
Marxismus-Leninismus im Osten Europas mag sich in seiner Politik und Ökonomie
selbst zerstört haben; er hinterläßt jedoch viele Millionen Menschen, die nie
etwas von Gott, Glauben, Kirche und Erlösung gehört haben, in einem Atheismus,
der nicht durch Marktwirtschaft oder demokratische Reformen überwunden wird.
Auch der Wohlstand und die Freiheit des westlichen Europa haben ihren eigenen
Atheismus, den wir oft als die Säkularisierung der Welt und des Menschenlebens
bezeichnen; hier leistet die bewußte Abstinenz von der Frage nach der Wahrheit,
der Agnostizismus, jene theoretische Vorarbeit, die den Atheismus als einen
unbedingten Fortschritt in der autonomen Humanität erscheinen läßt. Dem harten
Atheismus als ausdrücklicher Gottesverneinung, wie auch dem Atheismus der
Massen ob des Nicht-Wissens von Gott sowie auch dem sanften Atheismus der
agnostischen Weltanschauung steht heute die Kirche gegenüber. Kann die Kirche
als das Volk Gottes jenes "Zeichen und Werkzeug für die innigste
Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit"(LG 1)
sein? Schon allein diese Selbstbeschreibung der Kirche in der Dogmatischen
Konstitution über die Kirche des II. Vatikanums
zeigt, daß im Lehren, Entscheiden, Handeln und Sein der Kirche nichts an der
Gottesfrage vorbeiführt; die Gottesfrage ist die Wesens- und Identitätsfrage
der Kirche als Kirche. Angesichts der schier unendlichen Mühe, gegenüber einer
weithin irgendwie atheistischen Welt immer wieder den "Standpunkt
Gottes" lehren und vertreten zu müssen, könnte die Kirche, in dieser Welt
als Gesellschaft verfaßt und geordnet (vgl. LG 8), versucht sein, gleichsam
"neben" der Gottesfrage als Organisation, als soziale Bewegung oder
als kultureller oder politischer Partner aufzutreten. In solcher Rolle wäre die
Kirche identitätslos, wenngleich sie nach außen wie ein Ordnungsfaktor oder wie
ein soziales, kulturelles, politisches Element auftritt. Wenngleich es zunächst
so aussehen mag, als sei die Kirche ohne den "Standpunkt Gottes" im
Gefüge der Welt eine gleichrangige und kooperative Größe, so wäre gerade das
Ausklammern des Göttlichen für die Kirche schließlich der Zwang, sich weltlich
als soziale, politische, ökonomische, kulturelle Macht zu etablieren und zu behaupten;
die Kirche hätte in diesem Fall nicht mehr die selbstverständliche
Bereitschaft, inmitten einer Welt der vielfachen Interessen und
Interessengleichgewichte die immer wieder innovative Kraft der Liebe, der
reinen Wahrheit, der selbstlosen Moralität, der unberechenbaren Hoffnung und
des vertrauenstiftenden Glaubens zu entfalten. Auch wenn die Gottes- und
Nächstenliebe in der christlichen Lehre nebeneinander gestellt werden, so ist
dennoch die Gottesliebe immer die innerste vorrangige Bedingung für das
Gelingen der Nächstenliebe; der "Standpunkt Gottes" ist es, der die
Welt im Sinne Christi verändert.
7. Wie immer auch die konkrete Situation
des Atheismus in Europa sein mag, der Atheismus ist in jeder seiner Formen ein
Gegensatz zum Wesen der Kirche, dem sich die Kirche stellen muß. Kirche und
Atheismus haben sehr oft zwar ein faktisches Nebeneinander, was jedoch die
Kirche nie dazu verhalten darf, ihren missionarischen Auftrag der Verkündigung
und Erlösung hintanzustellen oder auf die von Gott gewollte Ordnung in der Welt
und im Menschen Verzicht zu leisten.
Kirche und Atheismus
stehen bezüglich des Menschen im Gegensatz des "Entweder - oder",
nicht in jenem des "Sowohl - als auch". Für diese Auseinandersetzung
braucht die Kirche die Entschiedenheit des Augenblicks, aber auch die
langzeitliche Geduld, um "zwischen den Verfolgungen der Welt und den
Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg" dahinzuschreiten (vgl. Augustinus,
Civ.Dei XVIII, 51,2; zit. LG,8).
8. Praktisch mit dem letzten Jahrzehnt
unseres Jahrtausends steht die Kirche in Österreich in einer neuen Situation
und Aufgabe. Waren die letzten vergangenen Jahrzehnte von innerem Wachstum,
auch von innerem Verfall und Abfall, von inneren Auseinandersetzungen und von
inneren Veränderungen geprägt, so wird die Qualität dieses inneren Wachstums
nun auch von außen geprüft.
Ohne Zweifel waren
diese vergangenen Jahrzehnte von der Wahl zwischen "Integration" und
"Identität" geprägt; es hat den Anschein, als hätte man sich in
Österreich zunächst eher für die Integration entschieden. Was meint
Integration? Man hat in der Kirche die Einheit der Kirche eher im sozialen
Verbund, eher in der affektiven Gemeinschaft, eher in der konfliktfreien
Nachbarschaft und eher mit integrativ wirkenden Persönlichkeiten versucht; der
konfliktfreie Zusammenhalt wurde allmählich zu einem Hauptmerkmal der Kirche in
Österreich. Niemand wird negativ beurteilen dürfen, daß Konflikte überwunden
oder ausgeräumt werden. Man muß jedoch auch beachten, was in den zeitlichen
Phasen der Integration in den Hintergrund getreten ist und nun sein Defizit
spürbar macht.
9. Das Verharren in der "Lehre der
Apostel" wird bereits in der Gemeinde der ersten Christen in Jerusalem an
erster Stelle als Bedingung der Glaubensgemeinschaft genannt (vgl. Apg.2,42).
Auch heute muß die Kirche die unerläßlichen Voraussetzungen ihrer Einheit und
Gemeinschaft prüfen. Ohne Zweifel ist in den letzten Jahrzehnten das Bewußtsein
dafür geschwunden, daß es ohne die Einheit in der Lehre des Glaubens keine
dauerhafte kirchliche Gemeinschaft geben kann. Wenngleich die
"Integration" nach innen und auch nach außen (Verhältnis zum Staat
und zur Politik) fortschritt, trat die notwendige "Identität" der
Kirche durch die Einheit ihrer Glaubenslehre und durch die hierarchische
Gemeinschaft eher in den Hintergrund.
So wurde vielerorts
der schulische Religionsunterricht zu einer bloßen Lebenshilfe und
Lebensberatung umgebaut; manche Religionsbücher wirken eher wie neutrale Bücher
für Religionswissenschaft und immanente Anthropologie; manches Wesentliche und
Unverzichtbare der katholischen Glaubenslehre wird nur unvollständig gelehrt
oder gar verschwiegen bzw. verdrängt. Auch das Studium der Theologie geriet
mancherorts so in Abhängigkeit von einzelnen Human- und Geisteswissenschaften,
daß der Standpunkt Gottes in an sich theologischen Dingen unbedacht blieb und
die Theologie als Wissenschaft eine Mixtur von Einzelwissenschaften ohne innere
Einheit wurde. Möglicherweise wurde bei manchem Lehrer der Theologie der
Verbeamtung durch den Staat mehr Aufmerksamkeit geschenkt als der kirchlichen
"missio canonica", so daß es für die "Kongregation für die
Glaubenslehre" nun auch hier eine Notwendigkeit war, durch eine
"Instruktion" dem Theologen den Standort seiner kirchlichen Berufung
und seiner Verpflichtung gegenüber dem Lehramt der Kirche darzulegen.
Von besonderer
Problematik in der Lehr- und Identitätsfrage der Kirche sind die kirchlichen
und öffentlichen Massenmedien. Zunächst gibt es heute eine Reihe kirchlicher
Medien, die in manchen Fragen anderes als die Lehre und Ordnung der Kirche
vertreten; sie bedienen sich wohl des unzweifelhaften Vorteils, von der Kirche
getragen und unterstützt zu sein, sprechen jedoch nicht aus, was die Kirche
sagen möchte oder sollte. Es gibt kaum einen anderen Träger von Massenmedien,
dem es so schwer fällt, seine Verantwortung und Linie durchzusetzen, wie die
Kirche in manchen ihrer Medien.
Zu all dem kommt noch
die Tatsache hinzu, daß in den öffentlichen Massenmedien Meldungen, Meinungen
und Urteile abgegeben werden, die nicht selten den Anschein erwecken, als
spräche die Kirche selbst oder ein befugter Sprecher. In Wirklichkeit ist es
jedoch das Produkt von solchen, die theologisch oft unkompetent, kirchlich ohne
Auftrag und in ihrem "Medien-Lehramt" ohne Verantwortung sind. Was in
den Massenmedien über Kirche und Glauben dargeboten wird, überdeckt heute oft
völlig das Lehramt des Papstes und der Bischöfe; vom Widerspruch, vom Dissens,
vom Vorurteil oder von Einseitigkeit und Unvollständigkeit ist in den Massenmedien
die katholische Lehre des Glaubens und der Sitten oft schon längst verdunkelt,
ehe die Kirche mit ihren heutigen Möglichkeiten etwas gegen die Verkürzung
dessen stellen kann, was ihre ureigenste Lehre ist. Man verstehe diese
kritischen Bemerkungen nicht falsch: Nichts soll gegen die Freiheit jener
Massenmedien gesagt sein, die über Kirche und Glauben berichten, die vielleicht
etwas kritisieren oder ablehnen; solange dies gleichsam von außerhalb der
Kirche geschieht, wird man entgegnen und richtigstellen und auf breiter Ebene
argumentieren können; auch in der harten Auseinandersetzung wird niemand die
notwendige Freiheit in den Massenmedien in Frage stellen.
10. Freiheit kann jedoch dort nicht gewährt
werden, wo das Potential der Massenmedien dazu mißbraucht wird, gleichsam im
Namen der Kirche eine "andere" Kirche zu propagieren, oder gleichsam
im Namen des Glaubens jene zu unterdrücken oder zu behindern, die als Papst und
Bischöfe den Glauben lehramtlich zu verkünden haben. Jedermann hält sich heute
für kompetent, Kirche und Religion nach Belieben zu thematisieren; selbst die
Unkundigsten stellen ihre Meinungen dazu gleichrangig neben die offiziellen
Aussagen der Kirche, so daß ein bunter Markt besteht, in dem alles als
"Meinung" und nichts mehr als die Lehre der Wahrheit gilt.
Schließlich gewinnt
auf diesem Markt jener die Oberhand, der seine "Meinung" am öftesten
und am öffentlichsten verbreiten kann. Die Qualität und Ernsthaftigkeit der
Selbstdarstellung der Kirche in den Massenmedien also wird eine der schwierigsten
Aufgaben sein, denen sich die Kirche in Österreich unausweichlich zuwenden muß.
11. In manchem Land Europas, auch in
Österreich, besteht die Gefahr einer "anderen" Kirche, die vielleicht
noch jahrelang sich im integrativen Verbund der Kirche hält, jedoch immer mehr
aus der Lehridentität der katholischen Kirche emigriert. Spaltungsgefahren gab
es zu allen Zeiten der Kirche; völlig neu ist jedoch die Situation, daß der
Bruch mit der Lehridentität der Kirche jahrzehntelang vor allem in den Strukturen
der Massenmedien vorausgeübt werden kann, ohne daß es innerhalb der Kirche zu
Entscheidungen und Unterscheidungen kommt. Die Handlungsfähigkeit der Kirche
und die Einheit in der Glaubenslehre stehen in unlösbarem Zusammenhang
miteinander.
Angesichts der vielen
Veränderungen und der neuen Chancen in Europa wird es für die Teilkirchen viel
zu beraten, zu planen und praktisch zu organisieren geben. Diese praktischen
Aufgaben könnten den Blick von der viel dringlicheren Frage nach der Einheit in
der Glaubenslehre mit dem Papst und mit der hierarchischen Gemeinschaft der
Bischöfe ablenken. Die Kirche in den osteuropäischen Ländern hat Jahrzehnte der
Verfolgung und Unfreiheit nicht zuletzt wegen ihrer Einheit in der
Glaubenslehre in bewundernswerter Art überstanden. Nunmehr wird die Kirche auch
dort von jenen Fragen angefochten werden, die zur Krise der Kirche in
westeuropäischen Ländern geführt haben, vor allem auch zur Säkularisierung und
zum Agnostizismus innerhalb der Kirche. Die Versuchung wird bestehen, nun
überall die Praxisfrage vorrangig vor der Wahrheitsfrage zu stellen.
12. Eine große Chance wurde der Einheit der
Kirche in Europa durch die Initiative des Heiligen Vaters in diesem Jahr
geschenkt: die "Europa-Synode", die in nächster Zeit abgehalten werden
soll. Vieles Praktische, zu dessen Bewältigung Sie hierher gekommen sind,
sollte auch auf der Europa-Synode große Bedeutung haben und reale Lösungen
finden. Dennoch sollte gerade diese Synode an der Einheit in der Lehre sich
orientieren, d.h. eine Synode der Glaubenslehre sein. Europa ist immer noch der
Boden, in dem das theologische Denken besonders gedeiht und zum Wohl und zur
Auferbauung der Weltkirche hinauswirkt. Wenn in der Auseinandersetzung mit den
geistigen Grundströmungen des europäischen Denkens die Einheit in der Lehre neu
belebt wird, wird dies der Weltkirche neuen Mut und Auftrieb geben und auch die
Kirche in Europa heilen und zur Konfrontation mit dem Atheismus befähigen. In
Europa könnte man vorbereiten, was später der Gesamtkirche zur Entscheidung
durch den Heiligen Vater vorgelegt werden könnte.
13. Die Kirche wird manchmal das Schiff Petri
genannt, das auf den Wogen der Zeit treibt. Die Besatzung des Schiffes hat viel
zu tun. Würde jedoch die Einheit in der Lehre fehlen, könnte alles Mühen und
Plagen auf dem Schiff auch dazu führen, daß das Schiff im Kreis ohne ein Ziel
herumirrt.
Die Kirche ist nicht
einfach mit dem politischen Staat vergleichbar, der Territorium und Staatsvolk
sein eigen nennt. Die Kirche ist eine Gemeinschaft des Glaubens in der
Hierarchie des Amtes, die an Alter längst alle vergleichbaren staatlichen
Gebilde übertroffen hat, obwohl sie nicht ex definitione über beharrende Größen
wie Territorium und Staatsvolk verfügt. Die Kirche scheint viel zerbrechlicher
zu sein; dennoch ist es ständiges Prüfen der Gemeinschaft angesichts der
Einheit in der Lehre, was eine geheimnisvolle Gegenwart von Leben bringt, ohne
Grenzen, ohne Ende, überall auf der Welt, zu allen Zeiten.
14. Wem die praktische, organisatorische und
administrative Ordnung der Kirche anvertraut ist, der bedenke mit
Wertschätzung, daß die geoffenbarte, geglaubte und gelehrte Wahrheit Gottes es
ist, die die Kirche in der Zeit nicht zerbrechen, sondern bestehen und wachsen
läßt. Der Geist der Wahrheit in der Kirche ist der von Christus gesandte
Heilige Geist; wer dieser Kirche dienen will, der muß auch den Heiligen Geist
in ihr vernehmen können. Der Zwist in der Kirche hat mancherorts geradezu
biblische Ausmaße: er entzweit Eltern und Kinder, Freunde und Nachbarn, Priester
und Laien, Fromme und Aufgeklärte. Der Zwist in der Kirche wird vor allem dann
zum Zwist um die Kirche, wenn die Kirche nicht mehr als Werk und Geheimnis
Gottes gesehen wird. Diese Zeichen der Zeit fordern für die Zukunft nicht
Festspiele eines agnostischen Pluralismus ohne Ende mit ungewissem Ausgang.
Es ist die hohe
Pflicht der Gesamtkirche aber auch jeder Teilkirche, die Bedingungen von
Einheit und Gemeinschaft zu sichern und tatkräftig zu beleben. Alle haben sich
der Einheit in der Lehre des Glaubens zuzuwenden, damit die Kirche die
"eine" Kirche sei; eins im Handeln, im Verkünden des Glaubens, in der
hierarchischen Gemeinschaft, eins als Volk Gottes und Ursakrament des Heils für
alle, eins im Zeugnis der Wahrheit und in der Verbindung mit Gott. Konzilien
und Synoden und das Geistpotential der Theologie sollten dafür bald und wirksam
eingesetzt werden. Sie beraten in diesen Tagen über sehr konkrete und
technische Fragen in der Kirche. Dieser Beitrag wollte daran erinnern, daß Ihre
wertvolle Arbeit dann die wahren und guten Früchte bringt, wenn die Kirche
überall und lebendig im Gut ihrer Wahrheit steht.
Texte
von Altbischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net
mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: Jutta
Kern und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde
erstellt am 12.10.2005.