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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

Predigt über den heiligen Leopold
im Dom zu St. Pölten am 17. November 1996

Drei Tage nach der Eröffnung und Segnung des Landhauses in unserer Landeshauptstadt feiern wir heute das Fest des heiligen Leopold im Dom von St. Pölten, für Niederösterreich ist der hl. Leopold der Landespatron. Die Kapelle im neuen Landhaus ist dem hl. Leopold gewidmet. Wir haben viele Anliegen in unserem Land und in unserem Lebensraum, die wir unserem Heiligen voll Vertrauen auf seine Fürsprache vortragen.

In Geschichte und Gegenwart gibt es bei uns große und verdiente Männer und Frauen, die Großes leisteten und Gutes taten; sie verdienen Ehre und Dank. Dennoch feiern wir nicht ihr Fest und richten wir an diese nicht unsere Gebete. Der Heilige steht in einem anderen Licht; die Größe des Heiligen wird anders gemessen: Wir verehren auch Heilige, die nie in die Öffentlichkeit traten, sondern ein Leben lang bescheidene Dienste taten, oft unbeachtet und unbedankt. Es gibt Heilige, die sich durch Wissenschaft und Weisheit auszeichneten; es gibt aber auch Heilige, die kaum lesen und schreiben konnten. Manchen Heiligen hat Gott in früher Jugend zu sich gerufen; andere wieder mußten die Mühen eines langen Lebens auf sich nehmen. Es zählen nicht irdische Güter und Leistungen, es zählen nicht menschliches Ansehen und Ehren, es zählen nicht historische Großtaten; all dies schließt die Person des Heiligen nicht aus. Was den Heiligen aber letztlich ausmacht, ist ein anderes: Heilig und ewig in Gottes Gemeinschaft ist der Mensch, dessen Leben die Erfüllung dieses von Jesus verkündigten größten Gebotes ist: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Denken" (vgl. Mt 22,36-38).

Das Geheimnis der Heiligkeit, die auch jedem von uns gelingen muß, ist der Vorrang Gottes in allem, was wir denken, entscheiden und leben. In der Erfüllung dieses wichtigsten und ersten Gebotes gelingt uns auch die Erfüllung des zweiten und gleich wichtigen Gebotes: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (Mt 22,39).

Unser Herr und Erlöser Jesus Christus deutet uns die Liebe: Der Größte von euch allen soll euer Diener sein; nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder (vgl. Mt 20,26; 23,8). So war es der Weg des heiligen Markgrafen Leopold, im Dienen und in Demut, in Sorge für sein Land und Volk, in der Heiligung seiner großen Familie und in der Treue zur Kirche Christi, die im Nachfolger des Petrus ihr Fundament hat, jenes größte Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zu erfüllen.

Der hl. Leopold hat vieles begründet, was durch die Jahrhunderte gewirkt hat und heute noch mehr ist als eine bloße Erinnerung. Die Kirchen und Klöster, seine Liebe zum Frieden, sein Sinn für Gerechtigkeit, seine Gottesfurcht und seine Nächstenliebe: all das hat sich in der Mentalität und Liebenswürdigkeit der Menchen unseres Landes fortgesetzt; es ist ein gutes und liebenswürdiges Land, in dem wir leben. Nicht nur steinerne Denkmäler überdauern den Strom der Geschichte, das Weiterwirken von Liebe, Größe und Gnade ereignet sich auch in den Menschen von heute, die in Treue zur Herkunft und zum Ursprung leben.

Wenn einmal unser Herr und Erlöser wiederkommen wird, um Gericht zu halten über die Menschen, über die Welt und über die Geschichte, wissen wir, was unser Richter fragen wird. Es wird um Heil oder Verwerfung gehen; keiner von uns hat das Recht, Gottes Gericht zu verharmlosen: Wenn Gott den freien Menschen erschuf, muß Gott auch den freien Menschen richten. Der Mensch, der bis zuletzt frei in der Sünde verstockt bleibt, verfällt der Strafe der Hölle. Wir können Sünde und Schuld nicht damit wegreden, daß wir den schuldigen Menschen krank schreiben oder wir seine Freiheit zum Bösen als einen Therapiefall verharmlosen.

Im Gericht Gottes stellt sich nicht die Frage, welche historischen Leistungen wir vollbracht haben, welche kulturellen und wissenschaftlichen Großtaten uns gelungen sind, was die öffentliche Meinung von uns hält. Gott fragt uns nach der konkreten Liebe zum Nächsten: Ich war hungrig, gabst du mir zu essen; ich war durstig, gabst du mir zu trinken; ich war obdachlos, hast du mich aufgenommen; ich war nackt, hast du mich bekleidet; ich war krank, hast du mich besucht; ich war im Gefängnis, bist du zu mir gekommen? Wer dies bejahen kann, erhält das ewige Leben; wer dies verweigerte, erhält ewige Strafe (vgl. Mt 25,31-46).


Gott selbst sieht die Erfüllung der Geschichte in der Wohltat selbst am Geringsten der Menschen. Große Worte und geistreiche Reden werden nicht genügen, wenn die Liebe zum Nächsten ausbleibt. Durch Christus ist die Sache des Menschen die Sache Gottes: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan."

Es sind die Heiligen, die in diesem Gericht Gottes bestehen. Es ist der hl. Leopold, dem die Menschen und die Geschichte ein hervorragendes Zeugnis von konkreter Liebe geben. Auch jeder von uns hat für sein Heil diesen Weg zu gehen, um im Gericht Gottes zu bestehen.

Wir beten heute für die politisch Verantwortlichen, daß sie Diener der Gerechtigkeit und der Aufrichtigkeit, Lehrer der Dankbarkeit und Zeugen der Menschenliebe Gottes seien. Wir alle sind Menschen und nur Menschen, wie der hl. Leopold. Wer aber Gott liebt, für den bereitet Gott Wunderbares, schon hier auf Erden und mehr noch im Himmel.


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 23.10.1997.

 

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