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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

Der Liberalismus ist das politische Übel unserer Zeit

In: Michaela Schlögl (Hg.), Woran glaubt, wer glaubt? 16 Gespräche über Gott und die Welt, Wien 1999, 117-129
Paul Zsolnay Verlag, ISBN 3-552-04937-1

Mein Vater war ein ideal gesinnter, gläubiger, aber kein kirchlicher Mensch. Er war von den Ideen der damaligen Zeit, insbesondere vom Nationalismus, sehr beeindruckt. Das prägte zunächst auch die Stimmung im Elternhaus. 1944 ist mein Vater als Soldat in Frankreich gefallen, von diesem Zeitpunkt an hatte in unserer Familie die Mutter das Sagen. Wir waren sechs Kinder, fünf davon leben heute noch. Meine Mutter ist erst kürzlich mit 92 Jahren gestorben. Sie war eine sehr gläubige und kirchlich gesinnte Frau und eine wunderbare Mutter, die uns Kinder alleine erziehen mußte. Durch sie und durch gute Religionslehrer habe ich den lieben Gott kennengelernt.

Nach 1945 mußten wir die Dienstwohnung meines Vaters in Rannariedl (Oberösterreich) verlassen, wir zogen in sein Elternhaus nach Oberkappl. Das war größer als Rannariedl, wo die Schule in einem Schloß untergebracht war und rundherum nur drei Häuser standen. Ich habe in Oberkappl ministriert und in der Pfarre mitgearbeitet, das lief damals nicht so betulich ab wie heute, es war eine ganz normale Mitarbeit. Für unsere Mutter war es nicht leicht, einen Platz am Gymnasium für meine beiden Brüder und mich zu finden, wir waren immer zu dritt. Die Russen waren in dieser Gegend Besatzungsmacht. Meiner Mutter gelang es dann, uns in der Schule des Klosters Schlierhach unterzubringen. Dort gab es die besten Lehrer, viele waren als Vertriebene gekommen, aber auch die Patres dort waren sehr gute Lehrer. 1954 habe ich am Gymnasium Schlierbach maturiert. Danach sagte ich: Ich werde Priester. Es gab kein Bekehrungserlebnis, gar nichts. Es war eine ganz normale Art, da hineinzuwachsen. Es gab viele in der Schule, die immer wieder ankündigten: Ich werde Priester, und nach der Matura wollten sie nicht mehr, oder sie fanden wieder etwas anderes interessant. Ich habe nichts gesagt und habe es gemacht. Ich bin nicht in das Kloster eingetreten, wo man mich wahrscheinlich gerne gesehen hätte, sondern ich ging ins Priesterseminar, wo ich niemanden kannte. Nachdem ich ein Jahr in Linz im Priesterseminar gewesen war, schickte mich der Bischof zum Studium nach Rom, dort blieb ich zehn Jahre. Ich studierte Philosophie, Theologie, Kirchenrecht. 1962, kurz vor dem Zweiten Vatikanum, wurde ich zum Priester geweiht. Ich bin ein vorkonziliarer Priester, wie man das heute nennt. Ich hatte das Glück, das Zweite Vatikanische Konzil von Anfang bis Ende in Rom mitzuerleben. Oft besorgte ich mir eine Karte, um die Sitzungen in St. Peter mitzuverfolgen. Ich überlegte, soll ich jetzt in die Vorlesung gehen oder zum Konzil, und ich beschloß, Vorlesungen gibt es immer, das Konzil nur jetzt! Oft saß ich statt der Vorlesung beim Konzil und gewann einen persönlichen Eindruck. 1965 waren das Zweite Vatikanum und meine römische Zeit zu Ende.

Von der Humboldtstiftung hatte ich ein Stipendium nach Tübingen, dort studierte ich ein Jahr lang Philosophie und Theologie. Von Tübingen ging ich nach München, wo ich als Assistent bei Professor Keilbach arbeitete. 1970 kam ich dann als Professor nach Linz. 1975 erhielt ich den Ruf an die theologische Fakultät Regensburg, wo ich zwölf Jahre lang blieb. Aus dieser Zeit stammt meine Bekanntschaft mit Kardinal Ratzinger, der auch in Regensburg lehrte. Dann schickte man mich als Weihbischof nach Wien, und seit 1991 bin ich in St. Pölten.

Alles, was ich hier mache, sehe ich als Seelsorge, auch Auskünfte und Gespräche wie unseres hier. Seelsorge ist nicht nur Exerzitienvorträge oder Sakramentenspende, alles zusammen ist Seelsorge. Der Bischof hat eine spezifische Aufgabe, und wehe mir, wenn ich nicht alles, was ich tue, ob jemanden besuchen, reden oder Liturgie feiern, als Seelsorger mache. Ein Bischof kann freilich nicht agieren wie ein Pfarrer, er muß vieles machen, was nicht zu den Aufgaben des Pfarrers gehört und umgekehrt. Die Aufgaben sind nicht identisch, aber sie gehören zusammen.

Die theologische Grundfrage heute lautet: Kann der Mensch sich selbst erlösen? Ich sage, nein, er kann sich nicht selbst erlösen. Er muß leben, reagieren und sich verantworten in dem Bewußtsein, daß ihm etwas geschenkt wird. Was ihm geschenkt wird, ist das Leben, das er hat, das kein anderer besitzt, sondern nur er, das sind seine persönliche Berufung und seine Talente. Alles, was uns geschenkt wird, nennen wir Gnade. Sich selbst erlösen zu wollen, das ist die Grundversuchung des Menschen, früher genauso wie heute. Wer sich selbst erlösen will, ist auf dem falschen Weg, auf dem Weg der Sünde, denn das ist Auflehnung gegen Gott, der uns beschenken will , während wir meinen, alles käme aus uns selbst. Alles, was geglückt und glücklich sein soll, muß sich Gott verdanken. Der Mensch darf nicht glauben, er verdanke sich sich selbst. Weil die Menschen die Wirklichkeit nicht erkennen, halten sie alles, was sie sehen, für ihr Produkt, für ihre Leistung. Wer auch nur ein bißchen dankbar ist, begreift das Wort der Schrift: Was hast du, was dir nicht geschenkt wurde?

Die Frage nach christlichen Werten kann man nicht loslösen von der Erlösung. Erlösung heißt, uns wird etwas geschenkt oder wieder geschenkt, wenn wir das, was wir erhalten haben, verloren, verschleudert oder nicht richtig verwaltet haben. Das ist die Vergebung der Sünde, die Gnade. Dort erst sind die Werte auszumachen. Die sogenannten autonomen Werte, die wir aus unserem Menschsein deduzieren, sind keine christlichen Werte. Durch Christus kann alles zu einer Gnade werden. Ich rede gerne von Werten und Normen, aber ich meine damit immer auch Gnade. Wir sind keine selbstbestimmenden Wesen, es ist alles geschenkt, was uns bereichert und letztlich auch erlöst. Es wird immer wieder gefragt, ob das, was wir jetzt erleben, eine Kirchen-, Glaubens- oder Gotteskrise ist. Ich glaube, daß es eine Gotteskrise ist, weil die Gottesfrage nicht mehr gestellt wird. Gott wird in Entscheidungen nicht einbezogen, man sagt: Ich weiß ohnehin alles, ich kann mir alles selbst richten, ich kann alles korrigieren, ich kann alles beobachten und prognostizieren. Alle Verfahrensweisen des heutigen Wissens sind im Grunde der Versuch, dem Menschen die Erinnerung an Gott zu nehmen.

Wenn die Menschen wüßten, daß Gott wirklich ist, würden sie auch seinen Willen lieber und leichter tun. Es fehlt am Bewußtsein: Gott ist wirklich. Viele reden von Gott, aber viele reden von ihm, ohne von seiner Wirklichkeit überzeugt zu sein. Man kann auch über Gott völlig ungläubig reden. Wenn Gott hingegen wirklich ist, dann wird der Mensch seine Gebote halten. Es wird ihm eher eine Freude als eine Last sein, den Willen dessen zu tun, der da so wirklich ist, der uns alles gibt, der uns schafft. Der Grund, warum das heute so wenige wissen, ist, daß die schnellen Antworten so einfach zu haben sind. Wir bekommen jeden Tag tausend Antworten aus den Medien, die im Grunde ja immer eine Konkurrenz zur göttlichen Wirklichkeit sind. Auch die Erziehung und Therapien gehen Antworten, die oft grenzüberschreitend sind. Gegen Antworten ist im Prinzip nichts zu sagen, aber sie dürfen nicht ihre Kompetenzen überschreiten. Irgendwelche Institutionen können nicht Antworten an Gottes statt geben.

Aus diesem Punkt resultiert auch die Feindschaft zur Kirche. Wenn man die Kirche nicht mehr als Stiftung, als Werk Gottes sieht, dann fragt man: Was wollen die eigentlich, wozu brauchen wir die? Dann sagen die Volksbegehrer, in dieser Kirche bestimmen wir, was wir wollen, nicht Gott. Diese Autonomisierung und diese Selbstherrlichkeit sind eine klare Folge des geschilderten Tatbestandes.

Viele fürchten die Spaltung der Kirche, das ist eine soziologische Sicht. Ich fürchte vielmehr die Sünde, das Böse, das geschieht. Es könnten ja auch alle gemeinsam und geschlossen das Böse tun, dann gibt es keine Spaltung. Diese Meinung hört man heute oft: Wenn alle gemeinsam das Falsche tun, dann ist es richtig. Das ist ein Grundirrtum. Der Mensch wird nicht im Kollektiv, sondern als Person gefragt, ob er Gutes oder Böses tut. Vereinfacht gesagt meinen heute viele, wenn alle irren, haben alle recht. Davor ist die Demokratie nicht gefeit. Ein Beispiel dafür war erst kürzlich die Diskussion um die neue Abtreibungspille, diese neue Todespille. Ha, sagte man, wenn sie alle befürworten, dann ist es recht. Nein, es ist überhaupt nicht so. Auch wenn alle Menschen und alle Gesetzgeber meinten, das wäre in Ordnung und unbedenklich, ist es dennoch nicht so. Gegen Gottes Gesetz und gegen die absoluten Werte der Person, der menschlichen Würde und der Wahrheit kann man keine Mehrheiten auftreiben. Mehrheiten ändern nichts daran, oh etwas böse oder gut ist.

Die Frage, ob die katholische Kirche Mehrheitskirche bleibt oder zur Minderheitskirche wird, muß man differenziert betrachten. Es gibt Hunderte Länder, in denen die katholische Kirche in der Minderheit ist, in Japan oder in der Türkei - überall gibt es ja eine Kirche. Es können sich jederzeit in jedem Land drei, vier Leute finden und eine neue Kirche beginnen. Die Zahl ist nicht so entscheidend. Ich bin für die sogenannte Volkskirche, die in meinem Land eine Mehrheit stellt. Da bei uns eine große Mehrheit katholisch ist, haben wir auch eine große Verpflichtung, nicht nur für die Menschen, sondern auch für den Lebensraum der Menschen, für die Staatsform, für die Gesetze und so weiter. Wir haben mehr Verantwortung. Wenn die behaupteten 51 Prozent Katholiken in Wien wirklich gläubig und eifrig wären und ihren Glauben lebten und bezeugten, dann wäre das ein Riesenerfolg. Das Problem ist, daß viele zugehörig sind, sich aber nicht sehr anstrengen. In dem Moment, wo wir uns mehr anstrengen, werden auch wieder mehr Menschen bei der Kirche bleiben und dazukommen. Man muß auch sagen, daß die zitierten 51 Prozent Katholiken in Wien nicht typisch für Österreich sind. Ich komme aus einer Gegend in Oberösterreich, wo es fast 100 Prozent sind, aber auch Niederösterreich ist ein mehrheitlich katholisches Land.

Menschen, die austreten, weil sie in der Kirche etwas ärgert, verstehen nicht, warum sie in der Kirche sind. Die leben ja gegen ihren eigenen Sinn. Das ist ungefähr so, wie wenn jemand in der Familie Krach hat und sagt, jetzt trete ich aus meiner Familie aus. Man bleibt doch Kind dieser Familie, selbst wenn man nach Amerika davonläuft. Die Kirche läßt ja einen Austritt gar nicht zu. Es gilt der Satz: einmal katholisch, immer katholisch. Es gibt die Meinung, man könnte sich da irgendwie verabschieden, doch das ist eine recht komische Praxis. Interessanterweise treten die Menschen ja durch die Taufe in die Kirche ein, wenn sie austreten wollen, gehen sie aber nicht zur Kirche, sondern zur staatlichen Behörde. Das kommt mir vor, wie wenn ein Arbeitnehmer, dem es im Betrieb nicht mehr gefällt, kündigt, die Kündigung aber beim Konkurrenten abgibt. Die Kirchenaustritte sind auch aus dem Grund nicht so erheblich, da man ja weiß, daß es an gewissen Stellen Bemühungen gibt, die Leute aus der Kirche herauszutreiben oder ihnen einen Austritt nahezulegen. Das sind keine erfreulichen Erfahrungen.

Österreich ist noch nicht so religionsfreundlich, wie das immer behauptet wird. Es ist auch politisch vieles besser geworden, aber beileibe noch nicht alles. Daß man im Zusammenhang mit sinkenden Kirchenmitgliederzahlen das Konkordat und die Verbindung Kirche - Staat in Frage stellt, das wird immer wieder der Fall sein. Dafür haben wir als besondere Vorreiter die Liberalen. Der Liberalismus ist das politische Übel unserer Zeit. Den Liberalismus vertreten nicht nur die Parteigänger von Frau Heide Schmidt, sondern auch alle anderen Parteien. Der Punkt, worin alle Parteien heute schwach und morbide sind, das ist der Liberalismus, nicht Liberalität, sondern Liberalismus. Vieles was an Unlogischem passiert, resultiert aus diesem Liberalismus. Der Liberalismus ist eine atheistische Weltanschauung, in der es Gott als Wirklichkeit nicht geben kann. Wenn die österreichische Gesundheitsministerin meint, die Kirche solle sich beispielsweise aus der Debatte um die Zulassung der Abtreibungspille heraushalten, dann hat sie ein wenig mißverstanden, was die Kirche zu tun hat. Jedenfalls hat die Kirche dem Menschen und über den Menschen mehr zu sagen als eine Ministerin. Wir wollen uns da gar nicht gleichstellen, nein, wir haben dem Menschen viel mehr zu sagen. Wir haben viel mehr Kompetenz und Verantwortung in der Abtreibungsfrage, wo es um Leben und Tod geht, um Gut und Böse, um die Tötung eines unschuldigen Menschen. Da muß ich sagen, nein, Frau Ministerin, bitte kein Wort mehr.

Das Bewußtsein um Schuld und Sünde ist heute die große Mangelware. Selbst wenn von Schuld gesprochen wird, meint man nur Schuldgefühle. Man kann Schuldgefühle haben, die nichts mit wirklicher Schuld zu tun haben, aber es gibt umgekehrt auch Menschen, die schuldhaft handeln und kein schlechtes Gewissen haben. Die Schuldfrage wurde zu Schuldgefühlen reduziert und subjektiviert. Man holt sich einen Therapeuten, der einem die Schuld wegredet, oder man flüchtet sich in die Droge, und auf einmal sind die Schuldgefühle und mit ihnen scheinbar auch die Schuld weg.

Schuldgefühle und Schuld sind zwei grundverschiedene Dinge. Schuld und Sünde gibt es nicht mehr, das ist der große Verlust. Die Leute kennen nicht mehr den Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen dem Guten, das man tun, und dem Bösen, das man meiden soll. Doch diese Unterscheidung ist eine Grundfähigkeit des Menschen, die sein Gewissen, seine persönliche Würde tangiert. Man spricht ja nicht mehr in Kategorien von Gut und Böse, sondern es heißt: Das ist gewinnbringend oder politisch korrekt, das nützt mir, das ist gesund. Auch Gesundheit ist kein absoluter, sondern ein relativer Wert. Wenn es um Gut und Böse geht, ist Gesundheit nicht der höchste Wert. Aber die Menschen haben gelernt, nur fest Geldverdienen, Nutzen ziehen, Gewinn machen, und die Unterscheidung zwischen Gut und Böse wollen alle verdrängen. Dabei müßten wir dem Menschen nur eine Schau seiner Seele geben, damit er weiß, wer er ist, und vor allem kommt er dann wieder auf die Gottesfrage. Wer nicht an Gott glaubt, weiß eines Tages auch nicht mehr, was Sünde ist. Für die Aufgabe der Kirche, zu verkündigen, sind die Medien manchmal eine Erschwernis, manchmal eine Hilfe. Der Mensch muß seine eigene Berufung, sein eigenes Lebensgeheimnis erkennen und sich nicht irgendwo einordnen lassen. Wir müssen nicht nur erkennen, daß Gott existiert, sondern auch, daß er etwas von uns will und uns etwas sagt. Die beste Gotteswahrnehmung haben wir durch Christus. Christus ist der heiligste und vollkommenste Mensch. Das Christentum ist nicht nur eine Philosophie, nach der wir die Menschen bilden und nach der wir unterscheiden, wer gut und wer böse ist, sondern wir haben vor allem einen Menschen, dem alles gelungen ist - das ist Christus.

Das gilt auch für Maria, doch dazu müßte man noch einiges erklären. In Christus kann sich der Mensch seiner selbst bewußt werden. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht einmal davon, daß in der Erlösung durch Christus Gott Vater der Menschheit das Menschsein voll kundtut. Das heißt: Nicht wir sind die Menschen und lassen Christus ein bißchen Mensch sein, sondern es ist umgekehrt. Christus, nicht irgendein Guru oder eine andere Botschaft, macht den Menschen das Menschsein voll kund. Das gehört zum Geheimnis des Glaubens. In der Esoterik kann ja nichts dumm genug sein, daß es nicht doch von einigen geglaubt wird. Wenn die Kirche von Engeln und Heiligen spricht, wird sie oft nicht ernstgenommen. Aber wir verehren sie. Wenn wir sie in Ehren halten, stehen wir immer noch besser da als die Esoteriker. Es ist oft unglaublich, welchen Blödsinn die Menschen glauben. Man muß mit ihnen aber auch Geduld haben. Ich rechne damit, daß jeder, der sich in solche Dinge vertieft, im Laufe seines Lebens auch wieder gescheiter wird. Ich vertrete nicht die Meinung, die Esoterik sei ein Umweg zu Gott, aber wenn jemand gescheit und gläubig ist, findet er einen Weg zu Gott. Man soll diese Menschen nicht in ihrem Irrtum, sondern in ihrem Heilsbedürfnis ernst nehmen. Wenn das Zweite Vatikanum vom Gewissen des Menschen spricht und diesem einen hohen Stellenwert einräumt, so meint es immer das gebildete Gewissen. Es ist nicht so, daß hier mein Gewissen steht und ihm gegenüber die Lehre. Das Gewissen sagt uns zunächst einmal: Gutes tun und Böses meiden. Doch was ist gut und was böse? Das müssen wir lernen, aus den Geboten Gottes und aus der Lehre der Kirche.

Wenn sich jemand beispielsweise über das fünfte Gebot, du sollst nicht töten, hinwegsetzt und meint, er könne es mit seinem Gewissen vereinbaren, so ist dieses verbildete Gewissen nicht das, wovon das Konzil spricht. Es heißt dort, im Gewissen vernimmt der Mensch ein Gesetz in sich, nämlich das er sich nicht selbst gibt. Das Gewissen verlangt Unterordnung, da ist nicht die große autonome Tour des eigenen Gewissens gemeint. Was die Kirche in der jetzigen Situation tun kann, ist lehren. Die Gottesfrage kann man immer wieder neu stellen, und wir werden in theologischen Fragen nie große Fortschritte machen. In der Bibel ist alles begründet, und es muß alles, was wir heute tun, immer noch damit übereinstimmen. Wir können jetzt nicht irgendwelche Normen zur Geltung bringen, die nicht schon immer waren. Wir sind dem Ursprung, der Vergangenheit auch in diesen Fragen verbunden. Natürlich ist es wünschenswert und gut, daß wir uns weiterentwickeln und Dinge besser durchschauen. Aber von der ersten Zeile der Bibel an, vom ersten Tag der Schöpfung an muß alles zusammenstimmen. Wir können nicht heute sagen, Gott ist nicht, und vor tausend Jahren war Gott, einen solchen Widerspruch gibt es nicht in der wahren Entwicklung des Glaubens.

Ich sehe die religiöse Erziehung, die die Basis für den späteren Glauben ist, nicht generell negativ. Es gibt noch genügend Familien mit substantiellem Glauben, in denen Kinder im Bewußtsein des Guten und Bösen und der Gottesfurcht erzogen werden. Es sind ja nicht alle in der Krise, dieses Wort gefällt uns nur heute zu gut. Es sind eine Mehrzahl von Familien, von Ehen nicht in der Krise. Die Statistiken in den Zeitungen stimmen ja nicht, man kann das nicht so rechnen und dann zum Ergebnis kommen, jede dritte Ehe wird geschieden. Obwohl natürlich jede gescheiterte Ehe zuviel ist. Man darf den Blick nicht nur in städtische Notstandsgebiete richten, wo alles drunter und drüber geht, es gibt auch noch ganz normale Menschen und Familien.

Ich setze ganz entscheidend auf die moralische Autorität und Kraft der Frau, vor allem der Mütter. Mütter sind unentbehrlich. Sie wollen sich zwar oft von dieser Aufgabe etwas entfernen und, wie man so schön sagt, gleichberechtigt sein. Aber eine Mutter ist eine Mutter und wird es immer sein, da kann sie noch so viele andere Titel haben und Karrieresprünge machen, das Muttersein wird immer ihre Grundbestimmung und ihre größte Würde sein. Den Frauen, die Gleichberechtigung in der Kirche fordern, muß ich sagen, sie sind gleichberechtigt. Das heißt aber nicht, daß sie gleich funktionieren. Eine Frau ist eine Frau, und ein Mann ist ein Mann, das macht uns die Natur klar. Gleichberechtigung heißt nicht gleiche Funktion, sondern es heißt gleiche Würde, gleiches Ernstnehmen. Es muß nicht die Frau das tun, was der Mann speziell tut und umgekehrt, da gibt es Unterschiede. Jetzt redet man ja schon davon, daß bald Männer Kinder austragen werden, aber das ist natürlich dummes Zeug. Die Bibel sagt, Gott schuf den Menschen als Mann und Frau, das ist eben ein Unterschied. Aber heute kommt man ja dann auch mit allen Perversionen, etwa daß die homosexuelle Lebensgemeinschaft gleichrangig gestellt sein soll mit der Ehe. Das kommt nur daher, daß man nicht verstanden hat: Gott schuf den Menschen als Mann und Frau und nicht als Mann und Mann oder Frau und Frau. Diese Ordnungen sind leicht wahrnehmbar, wenn man will. Wenn man nicht will, dann spielt man halt dumm. Die Kirche sagt, die Neigung zur Homosexualität ist noch nicht Sünde, aber das tätige Leben in Homosexualität sehr wohl. Gott wollte das nicht. Die Welt würde auch aussterben, wenn alle homosexuell lebten. Da wäre die Menschheit dann bald erledigt.

Das Datum des Jahres 2000 hat für mich überhaupt keine besondere Bedeutung. Ich würde mich freuen, wenn sich aus Anlaß der Jahrtausendwende viele bekehren und nachdenken. Ängste in Hinblick auf das Jahr 2000 verstehe ich nicht. Ich kann die Angstlosigkeit niemandem einimpfen, aber Christus sagt: Fürchtet euch nicht. Wer keine Angst hat, ist der freieste Mensch, angstfrei sein heißt frei sein. Die Ängstlichen tun sich schwer, ich fürchte niemanden. Wovor soll ich mich fürchten? Wer sich an Gott orientiert, fürchtet nichts, auch nicht, das Leben zu verlieren, denn er weiß, er wird es wiederfinden.

Das Wortspiel von der Droh- und der Frohbotschaft finde ich dumm, es reimt sich eben, aber was unsere Sorgenkinder in der Kirche da hineininterpretieren, das geht am Thema vorbei. Wenn sie die Drohbotschaft nicht vertragen, werden sie auch keine Frohbotschaft haben. Das eine bedingt das andere. Christus hat die Frohbotschaft gebracht, aber wie oft sagt er: Wehe, wenn ihr das und das tut. Was ist das anderes als eine Drohbotschaft? Oder die Darstellung des Jüngsten Gerichtes, da soll mir doch niemand sagen, das sei nicht ernst. Der Reim von der Droh- und der Frohbotschaft ist kindisch. Frohbotschaft ist gut, Drohbotschaft auch.

Prägend für unserer Jahrhundert waren Marx mit dem Satz "Religion ist Opium für das Volk" und Freud, der meinte, Religion sei eine Neurose der Menschheit. Es ist etwas Wahres daran, daß wir jetzt, hundert Jahre später, die Früchte dieser Theorien ernten. Aber wir wissen, daß die Früchte nicht gut sind; weder Marx noch Freud haben der Menschheit Früchte eingebracht, die gut sind. Schauen wir uns doch an, was wir im kommunistischen Osteuropa erlebt haben, dort haben die Menschen nach Marx gehandelt, und es war nicht das, was sie wollten. Es war gar nichts. Wer sagt, Religion sei Opium für das Volk, der sage es, aber er hat nicht recht. Es geht immer darum, daß der Mensch seine Gottesbeziehung in seinem Leben entfaltet, und dazu braucht er weder einen Psychoanalytiker noch einen Marxisten. Beide Figuren sind im Grund überflüssig, zumindest für den Menschen, der ehrlich, gewissenhaft, liebenswürdig lebt.

In den ehemals kommunistischen Ländern wie etwa Polen hat es sicherlich nach dem Wegfall der Religion als Widerstandskraft eine gewisse Erschlaffung gegeben. Aber es ist nicht so, daß man, wenn der Feind weg ist, zu lumpen anfängt. Ich kenne Polen recht gut, in manchem wäre ich froh, wenn es bei uns so wäre. Sicherlich sind die Polen auch Menschen mit Neigungen, die oft nicht geordnet sind, sie haben Freude am Besitz, am Konsumieren, aber sie haben deshalb nicht ihre Religion verloren. Es ist so wie überall: Wenn es einem schlechtgeht, reißt man sich zusammen, wenn es einem gutgeht, läßt man lockerer. Der Wohlstand ist nichts Negatives, wer möchte ihn nicht haben? Wenn die Leute schon im Wohlstand leben, dann müssen sie sich auch mehr plagen, Christen zu sein. Der Wohlstand ist ein Lohn für etwas. Warum soll man sich ihn nicht auch verdienen durch bewußteres, sittliches, moralisches Leben? Man sieht, daß vieles durch den Wohlstand kaputtgeht, aber das muß nicht so sein. Es ist kein Naturgesetz, daß der Wohlstand zur Gottlosigkeit führt. Prioritäten muß man setzen. Man kann dankbar, bescheiden sein, es gibt tausend Schritte gegen die negativen Folgen des Wohlstandes. Schimpfen über den Wohlstand kann jeder. Aber ich habe nirgendwo gelesen, daß der Wohlstand eine Sünde sei oder etwas Gott nicht Gefälliges. Strukturell und politisch den Wohlstand zu bekämpfen ist eine Torheit, das ist menschenunwürdig.


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 03.11.1999.

 

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