Evangelium: Lk 1,26-38
Viele werden sich noch daran
erinnern können, wie der Verstorbene in St. Stephan in Wien gepredigt hat: vor
dem Volksaltar stehend, die Mitra auf dem Haupt, den Hirtenstab in seiner
Linken, und in freier Rede, ohne sich auf ein Konzept zu stützen, zum Volk
Gottes sprach. Vielen wird auch in Erinnerung sein, dass er zu Beginn seiner
Homilien eine Anrede gebrauchte, die sonst selten zu hören ist. Er pflegte
nämlich mit den Worten zu eröffnen: „Hochgeschätzte Teilnehmer dieser
Eucharistiefeier!“, oder: „Hochgeschätzte Anwesende!“ Das Wort von der
Hochschätzung war mehr als ein bloßes Wort; der Kontext seines Lebens zeigt
klar, dass es die Wirklichkeit zum Ausdruck brachte, seine Ehrerbietung
gegenüber seinen Mitmenschen und Mitchristen. Er neigte sich nicht nur vor den
Großen, sondern ebenso vor den Kleinen, denen er nichts schuldig bleiben
wollte.
Diese Dimension von Ehrfurcht und
Ehrerbietung finden wir auch im Evangelium von der Verkündigung über das
Geschehen ausgebreitet. Der Engel, seiner Natur nach über allen Menschen
stehend, grüßt Maria, die er in der Ordnung der Gnade über sich wusste. Und er
grüßt sie im Auftrag Gottes, im Gehorsam dem gegenüber, den wir als den
Schöpfer aller Dinge anbeten, und so sind es die Worte Gottes selber, die der
Erzengel hörbar macht, und sie bringen Maria eine Botschaft, wie sie noch nie
einem Menschen gesagt worden ist. Und die seligste Jungfrau, die sich als
niedrige Magd Gottes definiert, ist in Demut und Gehorsam ganz offen dafür, den
Willen Gottes anzunehmen und geschehen zu lassen. Es geschieht, was wir der
Einladung der Kirche folgend dreimal am Tag im „Engel des Herrn“ zu betrachten
eingeladen sind: das Wunder der Inkarnation. „Und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt.“
Die großen Spirituellen der
Kirchengeschichte, die Heiligen im Volke Gottes, verweilten bei diesem
Geheimnis und seiner Botschaft. Gottes Sohn hat sich ganz Maria anvertraut und
zu eigen gegeben. Nicht aus Notwendigkeit, sondern in der Freiheit der Liebe
hat sich das Ewige Wort in seiner menschlichen Existenz ganz von Maria abhängig
gemacht, und darin ist eine Aufforderung an seine Jünger enthalten, ihm auf
diesem Weg nachzufolgen. Schon jetzt gilt das Wort, das der Herr nach der
Fußwaschung im Abendmahlssaal sprechen wird: „Ein Beispiel habe ich euch
gegeben ...“ Das Beispiel Jesu nimmt die Aufmerksamkeit so vieler Heiliger ganz
in Anspruch: „Ich habe den Herrn beständig vor Augen“ (Ps 16,8) – wie er in
Maria lebt, wie er ganz Eigentum dieser seiner Mutter geworden ist.
Der Verstorbene ist schon
frühzeitig, als Kind, eingetreten in die Reihe derer, die in Jesus Christus und
mit ihm ganz Maria gehören wollten. Welch wunderbare Erfahrungen haben sie
dabei mit dieser „Wunderbaren Mutter“ gemacht! Es wäre schön, könnte man sie
jetzt alle befragen, ihr Zeugnis vernehmen! Aus der so großen Zahl der Söhne
und Töchter Mariens soll nun eine Heilige das Wort erhalten und gleichsam auch
für alle anderen sprechen; es ist die hl. Euphrasia Pelletier (1796-1868). Der
Name ist uns nicht allzu geläufig, obwohl die Gründerin der Schwesternfamilie
„vom Guten Hirten“ auch in Österreich durch ihre Kongregation präsent ist.
Diese Tochter Mariens war ihrer geistlichen Mutter ganz und gar in größter
Treue verpflichtet. Elf Jahre vor ihrem Tod hat sie diese Einheit und
Gemeinschaft mit Maria erneut bekräftigt – über Einladung der allerseligsten
Jungfrau hin: „Willst du dich neuerdings mir verpfänden, meine arme Magd?“ –
Sie antwortete ohne zu zögern mit „O ja!“, fügte aber in der Unbekümmertheit
der Kinder Gottes gleich die Frage hinzu: „Doch was gibst du mir, meine
heiligste Mutter?“ Die Antwort Mariens ist von großem geistlichen Gewicht, gibt
sie uns doch tiefen Einblick in die Heilsökonomie Gottes: „Mühen, Seelen,
Kreuze!“
Diese Trias will tatsächlich
sorgfältig bedacht werden, denn die Seelen, die im Zentrum der Aussage stehen,
sind gleichsam ummantelt, umrahmt, eingehüllt von Dingen, die nicht so angenehm
in den Ohren klingen, es sind die Mühen und Kreuze, die Maria denen verschafft,
die sich ihr in Vertrauen und Liebe überlassen haben. Mühen – die hl. Euphrasia
hat ein überaus arbeitsreiches Leben geführt, mit Sorgen beladen. Kreuze – das
meint jene Heimsuchungen, die von Bitterkeit gekennzeichnet sind, denn auch das
in Liebe angenommene Leiden verliert nicht den Charakter des Bitteren. Wir
wissen, wie die Heilige reagiert hat:
Meine ganze Kraft liegt
im Beten und Hoffen.
Welche Verleumdungen hat man nach
Rom getragen! Ich entscheide mich für
das Beten und Schweigen.
Schweigen, warten,
leiden, hoffen, die allerseligste
Jungfrau hört nicht auf, mir diese Lehren zu geben.
Ich will lieber die
Angeklagte als die Anklägerin sein ...
Inmitten von Kreuz und Mühsal,
erfüllt von der Bitterkeit des Leidens, umzingelt von Schwierigkeiten sehen wir
die Seelen. Es sind die Seelen der Berufenen, und Maria hat dieser ihrer
Tochter eine hohe Zahl von Novizinnen zugeführt; in einem Jahr waren es einmal
über 300! Ich habe sie alle am Kreuze geboren!
Die Gnade der Berufung ist die
eine Sache, die Annahme der Berufungsgnade die andere. Kardinal Hans Hermann
hat nie und niemals für sich in Anspruch genommen, Berufungen
„hervorzubringen“, schon der Gedanke wäre ihm frevelhaft erschienen, doch er
hat vielen geholfen, diese ihre Berufungsgnade anzunehmen. Es waren etwa 250
Menschen, die bei ihm diese geistliche Hilfe hatten finden dürfen, und es waren
36 Eintritte in das Stift Göttweig, die im Zusammenhang mit der Monatswallfahrt
in Maria Roggendorf und im Zusammenhang mit ihm selbst standen.
So hat das Vermächtnis des
Kardinals einen Namen: Es ist der Name Mariens, der über seinem Leben steht. Es
ist das „Programm Maria“, das er nach der Übernahme der Geistlichen Leitung des
österreichischen Senatus der Legion Mariens verkündet hat. Maria ist der Weg
des Erlösers in diese Welt, und dem Beispiel des Herrn folgend sollte jeder von
uns sprechen können: Ich bin ganz dein, und
alles, was ich habe, ist dein! Amen.
KR Dr. Ildefons Fux OSB ist Hausgeistlicher bei
den Schwestern am Liebfrauenhof
der Kreuzschwestern in Neulengbach, Lehrbeauftragter für Spirituelle
Theologie an der Philosophisch-Theologischen
Hochschule St. Pölten. Ildefons Fux war bis 1995 Bischofsvikar für die
Frauenorden in der Erzdiözese Wien. Er ist auch Schriftleiter der Zeitschrift
„Gottgeweiht“.
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Ausführlicher
Lebenslauf von Hans Hermann Kardinal Groër
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In
memoriam Hans Hermann Kardinal Groër. Eine freundschaftliche Würdigung