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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

Ansprache bei der Jahresschlußandacht
im Dom von St. Pölten am Silvestertag 1996

Was kommt, was sich ereignet, was vergeht – gehört zu dem, was wir in jedem Augenblick als die Vergänglichkeit erleben. Alle Geschöpfe sind der Vergänglichkeit unterworfen, aber nur der Mensch ist es, der um die Vergänglichkeit weiß. Seinen Vorrang unter den Vergänglichen bezahlt der Mensch mit der Sorge, daß etwas eintritt, was nicht vorhersehbar war, mit der beklemmenden Erkenntnis, daß für seine Pläne die Zeit nicht reichen wird und mit der Gewißheit vom Tod, der alle trifft und dessen Stunde für uns ungewiß ist. Alles fließt und läuft; dennoch ist der vom Menschen gelebte geringste Augenblick voller Gnaden und ernsten Chancen, wenn ihm darin die Vereinigung mit Gottes Ewigkeit gelingt. Wer Gott dankt, bezieht alles Geschehen auf die ewige Weisheit und Güte Gottes; wer Gott lobt, läßt alles Empfangene in der herrlichen Allmacht Gottes erstrahlen; wer Gott liebt, dem gereicht alles zum Besten, was ihm widerfährt.

Bald wird das Jahr 1996 von 1997 abgelöst; bald sind wir an der Schwelle zum dritten Jahrtausend nach Christi Geburt. Ob wir zurückschauen oder vorausblicken: Alles sei Gebet, Gebet des Dankes und des Erinnerns, Gebet um Gottes Segen und Beistand. Wenn wir Gott und dem Nächsten die Liebe versagten und wir Sünde und Schuld auf uns luden – laßt uns vor Gott bekennen und bereuen und mit guten Vorsätzen stets neu uns dem Willen Gottes ergeben. Über das Loskommen von Sünden, Fehlern und Schuld hinaus sind wir nicht nur zum vollkommenen, sondern vor allem zum heiligen Menschen berufen. Der heilige Mensch ist der immer an Jesus Christus sich ausrichtende Mensch: Er denkt wie Christus, er urteilt wie Christus, er leidet wie Christus, er stirbt in Christus; Christus hat in ihm Gestalt angenommen.

In vielem und in vielen ist in unserer Diözese Gutes gelungen. Mein besonderer Dank gilt den Priestern, die mit Liebe und Treue in den Pfarren, Schulen und in den zentralen Diensten der Diözese ihre Aufgaben erfüllen. Mit Dank und Wertschätzung gedenken wir der Ordensmännern und Ordensfrauen. Unseren Dank richten wir an die ständigen Diakone, die mit pastoralem Idealismus die Arbeit des Bischofs in ihrer eigenen Ordnung mitgestalten. Die Religionslehrer und Pastoralassistenten, die Pfarrgemeinderäte und die Pfarrkirchenräte, die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pfarren und in der Diözese, die Jugend und die Kinder, die Helfer, Wohltäter und Spender, die Beter und die Zeugen Christi in einer schwierigen Lebens- und Arbeitswelt – sie alle seien bedankt und eingeschlossen in unsere Gebete, die wir heute an Gott richten.

Wenn ich schließlich herzlichen Dank unserem Weihbischof und Generalvikar sage, danke ich auch aufrichtig den engsten Mitarbeitern im Bischöflichen Konsistorium, an der Hochschule und im Priesterseminar; gleichfalls danke ich den mit dem Pastoralamt verbundenen Diensten und Organisationen. Den Gliederungen der katholischen Aktion wünschen wir jene kreative Bereitschaft, die zu einer Neuordnung gemäß den Notwendigkeiten der Diözese beiträgt.

Dem Vertreter des Heiligen Vaters in Österreich, dem hochwürdigsten Apostolischen Nuntius Erzbischof DDr. Donato Squicciarini, danken wir für sein kluges und fruchtbares Wirken und bitten um die Weiterleitung unserer ehrfurchtsvollen Danksagung an Papst Johannes Paul II. Über einen Pastoralbesuch des Heiligen Vaters im Jahr 1998 werden wir uns überaus freuen. Wir wollen die Jahre der Vorbereitung auf das Jubeljahr 2000 gemäß der Botschaft des Papstes durch unsere persönliche Hinwendung an den Erlöser Jesus Christus, an den Heiligen Geist und an Gottvater in unserer Kirche vorbereiten. An jedem Tag aber wird es um unsere Umkehr zu Gott und um unsere Heiligung gehen.

Unsere persönliche Bekehrung wird auch der Weg sein, die irrenden Brüder und Schwestern zur Wahrheit des Glaubens zurückzuführen. Den Irrtümern in Sachen des Glaubens und der Sitten muß von der Kirche entschieden widersprochen werden. Die Irrenden aber wollen und müssen wir lieben wie Brüder und Schwestern; Liebe jedoch kann ohne die Wahrheit nicht bestehen. Zum Dienst der Wahrheit gehört daher auch der Widerspruch gegen die Irrtümer, die von selbsternannten Lehrern verbreitet werden und Verwirrung und Feindschaft im Volk Gottes stiften. Die Wahrheit Gottes und die göttliche Wahrheit über den Menschen darf weder von Unterschreibenden noch von irgendwelchen behaupteten Mehrheiten verfälscht und verkürzt werden.

Den Standhaften im Glauben, aber auch den Zweiflern und Hochmütigen wollen wir in dieser Stunde Jesu Wort zurufen: Kehrt um, und glaubt an das Evangelium. Wie wollen die Irrlehrer den Menschen den rechten Weg zusichern, wenn Ehebruch und Unzucht, Homosexualität und außereheliche Sexualität, Kinderschändung und Pornographie als die Weisen der neuen "Wohllust" verbreitet werden?

Es ist auch kein gutes Zeichen für das moralische Bewußtsein des Landes, wenn die Hälfte der Gewählten zwar heftigen Protest gegen den sexuellen Mißbrauch an Kindern führt, zugleich aber ein Gesetz anstrebt, das legitimieren soll, wogegen man gerade noch protestierte. Aus der Zeit Jesu schon kennen wir die Heuchler mit zweierlei Maß; die Pharisäer leben auch noch heute unter uns.

Seit dem 15. November dieses Jahres ist St. Pölten auch faktisch die Landeshauptstadt von Niederösterreich. Am 21. Mai 1997 beginnt der Niederösterreichische Landtag seine Arbeit in St. Pölten. Mit den besten Wünschen begrüßen wir die Landesregierung, den Landtag und die Frauen und Männer in der Verwaltung in St. Pölten. Große Zukunftschancen ergeben sich für Niederösterreich aus einer eigenen Hauptstadt; dazu bedarf es jedoch der Geduld und eines allgemein geltenden Gerechtigkeitssinnes, der aus einer neuen "Zentrale" eine ordnende "Mitte" für die Menschen werden läßt. Für unsere Diözese ergeben sich neue Aufgaben, die von der Seelsorge für die neue Bevölkerung bis zur Schaffung einer christlich geprägten Hauptstadtkultur reichen. Auch in unserem Bundesland gibt es Probleme, die in Österreich und in Europa auftreten: Arbeitslosigkeit, regionale Ungleichheit der Chancen, offene und versteckte Armut in Familien und bei benachteiligten Menschen, Verwahrlosung der mitmenschlichen Solidarität, Gottesverlust, Ziellosigkeit, Verfall der Normen und Werte.

Wohl gibt es vieles zu entscheiden, was in den autonomen Bereich der Sache und des Wissens der Gesellschaft fällt und von der Kirche zunächst nicht zu beurteilen ist. Was jedoch der Mensch aus tieferem Grund und aus höherem Ziel sich auferlegen muß, das verlangt seinen Maßstab und seine Bindung an Gottes Geboten; darüber muß die Kirche kraft ihrer Sendung auch in der Welt reden. Wir können mit Genugtuung feststellen, daß in unserem Land das Wort der Kirche gehört und bedacht wird. In der Tat ist das Verhältnis der meisten politischen Kräfte zur Kirche ein gutes und korrektes, sodaß das Verhältnis ihrer Nähe zur Kirche für die Gläubigen und Bürger durchaus beurteilbar ist und wir keine Zuflucht zum nichtssagenden Wort der "Äquidistanz" nehmen müssen.

Die Kirche wird mit gutem Recht ihre Stimme für Gerechtigkeit, für die soziale und wirtschaftliche Ordnung, für die menschenwürdige Bildung der Person, für eine sittlich tragbare Kultur und für die unverzichtbaren Rechte der menschlichen Person erheben. Die Kirche hat die Sendung, in den wachsenden Verflechtungen der "Sozialisation" der ständige Appell zur gleichzeitigen "Personalisation" zu sein (vgl. GS 6).

In ihrem Inneren hat unsere Diözese an Stabilität und Solidarität zugenommen. Obwohl wir deutlich sagen müssen, daß jeder Austritt aus der Glaubensgemeinschaft unserer Kirche eine menschliche Tragik darstellt, freuen wir uns über die Abnahme der Austritte und über die vergleichbar gute Situation der Diözese St. Pölten.

Die großen Lebensfragen der Diözese sind seit langem die gleichen: die christlich gegründete Ehe und Familie, die Priester- und Ordensberufe, der Religionsunterricht. Eines bedingt das andere; wenn uns eines gelingt, gelingen auch die anderen. In diesem Jahr gab es Grund zu Hoffnung: Acht Neupriester sind für den pastoralen Dienst in der Diözese bestellt worden; auch mit neugeweihten Ordenspriestern dürfen wir rechnen. Das größte Problem sind zur Zeit die Nachwuchssorgen der Frauenorden. Es sind heute ganz allgemein die Frauen, in deren Herz viel Emanzipation, aber wenig Liebe durch den Zeitgeist getragen wird. Wie wir uns der Jugend mit aller Kraft zuwenden müssen, so muß auch das ganze Volk Gottes die wahren Ideale der Frau als die Gaben des Heiligen Geistes erbitten und das Geheimnis der Frau in ihnen ehren.

Unsere Arbeits- und Lebenswelt ist eine einzige Rechnerei geworden: Weil es sich nicht rechnet, werden Arbeitskräfte entlassen und unprofitable Einrichtungen aufgelöst oder anderswohin transferiert. Viele nützen die Parole vom Sparen, die sehr wohl ihre Berechtigung hat, um jede Form von Recht und Gerechtigkeit zu Spielarten des Profits zu degradieren. Wer heute nicht mehr denkt und fühlt, sondern nur mehr rechnet, mag zunächst seriös erscheinen; dennoch beteiligt sich gerade dieser an der menschlichen Kälte, die global in alle Bereiche einbricht. Wir müssen sparen, um wieder mehr für das Wohl anderer tun zu können; wir dürfen aber nicht sparen, um im Errechnen des Profits nicht mehr an die Not und die Rechte anderer denken zu müssen.

Im Gegenteil zur Kälte des immer kälteren Rechnens verhalten sich unsere Gläubigen; sie spenden und helfen mit Großzügigkeit und Wohlwollen. Für jede Hilfe der Gläubigen dankt der Bischof herzlich; besonders ist es der Kirchenbeitrag, der von den Katholiken der Diözese gewissenhaft und mit Treue zur Sache der Kirche entrichtet wird, der die Erfüllung vieler Aufgaben möglich macht. In Christi Namen dankt der Bischof allen, die Gutes tun und aus bereitem Herzen gehen. Glaube und Gnade sind nicht mit Geld bezahlbar; wer gibt, der befreit sich selbst und die Welt von den kalten Zwängen des Gewinnstrebens. Mit dem morgen beginnenden Jahr treten wir ein in die heiligen drei Jahre, die dem Gnadenjahr 2000 vorangehen. Es wird an uns liegen, die Chance der Gnaden Gottes uns zur Bekehrung und zum Heil werden zu lassen. Es ist ein besonderes pastorales Programm, nach dem Pfarren, Gemeinschaften und auch einzelne Gläubige ihr Leben und Tun im Sinn des Heiligen Vaters gestalten mögen.

Wir halten unbeirrt daran fest, daß der Priester niemals zu ersetzen ist, daß ein Wortgottesdienst eine Eucharistiefeier durch den Priester nicht ersetzen kann, daß das Sonn- und Feiertagsgebot der Kirche nur in der Teilnahme an der heiligen Messe erfüllt werden kann. In umfangreichen Beratungen wollten wir jedoch heute schon angesichts einer möglichen Priesternot vorsorgen: Eine Ordnung für "Pfarrverbände" und für einen "Pfarrbeauftragten" liegt bereits vor. Solche Ordnungen gelten als zeitweilige Notmaßnahmen, die auch in Zukunft den Priester für jede Pfarrgemeinde sichern sollen. Der Bischof dankt allen, die sich in dieser nun festgelegten Ordnung viel Mühe gegeben haben.

Am 16. März 1997 finden in allen Diözesen Österreichs die Wahlen der Pfarrgemeinderäte und der Pfarrkirchenräte statt. Eine große Beteiligung an den Wahlen wäre ein überzeugender Beweis der Lebendigkeit einer Pfarre. In unserer Diözese kann das Familienwahlrecht ausgeübt werden. Gefirmte Jugendliche haben nunmehr schon das aktive Wahlrecht. Ich bitte um gewissenhafte Vorbereitung der Wahlen und um eine erfolgreiche Suche nach geeigneten Kandidaten. Die novellierte "Pfarrordnung" ist die verbindliche Grundlage für die Durchführung der Wahl und für die geordnete Mitarbeit in der Pfarre. Jede geplante Störung der Wahlen wird als vorsätzlicher Ungehorsam zurückgewiesen. Auch unsere Diözese setzt große Hoffnungen auf die Mitglieder der Pfarrkirchen- und Pfarrgemeinderäte, die sich in besonderer Weise dem Wohl der Pfarre verpflichten.

Die Österreichische Bischofskonferenz beteiligt sich im Juni 1997 an der 2. Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz. Darüber hinaus soll ein "Dialog für Österreich" bis 1998 Versöhnung und Vertrauen unter den Gläubigen fördern.

Der festliche Höhepunkt in unserer Diözese ist der 13. Juli 1997. An diesem Tag wollen wir mit unserem verehrten Altbischof Dr. Franz Zak den 80. Geburtstag, das Goldene Priester- und das vierzigjährige Bischofsjubiläum feiern. Wir wollen einen Tag des Dankes an den Hohenpriester Jesus Christus begehen. Mit dem Ausblick auf diesen Freudentag sei nun der Weg in das neue Jahr eröffnet.

Jede Zeit hat ihre Not, jede Stunde hat ihre Gnade. Nichts ist Zufall, alles ruht in der gütigen Vorsehung Gottes, die alles weiß und das gute Ende aller Dinge findet. Jedem sei ein gutes neues Jahr gewünscht, das allen geschenkt wird, die Gott lieben. Die Gottesmutter, mit deren Fest wir morgen das neue bürgerliche Jahr beginnen, lehre uns die grenzenlose Weite der Liebe zu Gott und zum Nächsten. In Angst und Not, in guten und bösen Tagen lehrt uns die Gottesmutter: Wer Gott liebt, dem gereicht alles zum Besten.

St. Pölten, am 31. Dezember 1996


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 22. Juli 1998. Ursprünglich in: "Kirche bunt", Nr. 2/1997, S.3-4.

 

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