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"Die Bewährung für den Sport liegt in seiner
Menschlichkeit"
Vortrag beim Sportlerbesinnungstag in Eisenstadt am
14.12.2000
Was hat die Kirche mit dem Sport zu tun? Es gibt viele Bereiche menschlichen Tuns, auf deren Regeln und Maßstäbe die Kirche nicht Einfluß nimmt; diese Bereiche haben ihre Autonomie, ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigene Ordnung, ihre eigenen Gesetze und Werte (vgl. GSp 36). Diese Autonomie betrifft den Bereich der Wissenschaften, aber auch die Kultur im ganzen. Wenngleich Kultur und Wissenschaften sich nach eigenen Gesetzen in Freiheit und Sachlichkeit gestalten, unterliegen sie dennoch den Maßstäben der Sittlichkeit. Es ist jene Sittlichkeit, die unserem Gewissen gebietet, das Gute zu tun und das Böse zu meiden. Es ist jene Sittlichkeit, die verbietet die geschaffenen Dinge ohne Bezug auf den Schöpfer zu gebrauchen. Es ist jene Sittlichkeit, die von der menschlichen Kultur verlangt, daß sie die volle menschliche Persönlichkeit harmonisch ausbildet und den Menschen bei den Aufgaben behilflich ist, zu deren Erfüllung alle, in einer einzigen menschlichen Familie brüderlich vereint, berufen sind (vgl.GSp 56).
Heute teilen viele die Meinung, daß der Sport eine Form menschlicher Kultur ist. Es gab Zeiten, in denen Sport und Spiel kaum existierten und höchstens das Vorrecht von wenigen Privilegierten waren. Vor wenigen Jahrzehnten war bei vielen Menschen die Mühe der körperlichen Arbeit so groß, daß kaum jemand an Sport dachte; der Sport galt nicht selten als der Luxus derer, die nicht hart arbeiten mußten. Schnelle Schritte und hohe Sprünge galten als des Ansehens von Leuten mit Prestige unwürdig. Auch die Kirche hat nur langsam und mit Bedenken den Sport akzeptiert; man wollte oft als fromm oder weltkritisch gelten, wenn man den Sport als weltlich Ding verneinte und den Sportler geringschätzte.
Der Sport ist nicht einfach körperliche Bewegung, die jeder macht; der
Mensch kann auch leben und fortkommen ohne Sport, nicht aber ohne Arbeit und
Bewegung. Obwohl der Sport heute die Massen begeistert, ist er bei weitem nicht
so notwendig und nützlich wie vieles andere; der Sport gilt als die schönste
Nebensache. Philosophische Überlegungen oder politische Programme betrachten
den Sport gleichsam nur im Anhang. Es ist ein weites Feld der Zufälligkeiten,
auf dem Sport getrieben wird; jeder Zeitpunkt der Geschichte kann "seinen"
Sport erfinden: immer wieder mit dem Ziel des Höheren oder des Schnelleren
oder des Stärkeren oder des Schöneren. Gerade unsere Epoche erfindet
fast jeden Tag eine neue Sportart oder ein neues Sportgerät. Viel lieber
als vernünftigen Regeln und Gesetzen der Gesellschaft aber ordnen sich
die Menschen den freien Spielregeln des Sports unter.
Irgendwie stellt sich immer wieder die Frage, ob der Sport und der Zugang zum Sport etwas mit dem Menschsein oder mit den Menschenrechten zu tun haben. Das Recht auf Arbeit, auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, freie Religionsausübung, auf Unversehrtheit des Leibes, auf Wohl des Lebensstandes und manches andere Recht sind von höherem Rang als das Recht auf Sport. Das Recht auf Sport und Zugang zum Sport dürfte höchstens im Recht auf gemeinsame Kultur inkludiert sein. Der Sport ist in seiner heutigen Gestalt auf die jüngeren und gesunden Menschen ausgelegt.
Wohl gibt es die lobenswerten Versuche, ältere oder kranke oder behinderte
Menschen einzubeziehen. Unsere kirchlichen Strukturen bemühen sich immer
wieder um den Behindertensport; auch andere bemühen sich darin. Dennoch
bleibt neben Menschenfreundlichkeit und Mitleid im öffentlichen Urteil
über den Sport dieser Menschengruppen nicht viel objektive Wertschätzung
übrig. Wenn z.B. Behinderte großartige Leistungen nach dem Maß
ihrer Möglichkeiten erbringen, vergleicht dennoch jeder bei sich diese
Leistungen mit jenen der Gesunden und Leistungsfähigen. Viele Behinderte
resignieren im Sport, weil sie eben auf der Leistungsebene der Gesunden auftreten
müssen. Ein praktikables Sportprogramm für Behinderte müßte
mit viel Phantasie und Sympathie neue Leistungsebenen definieren, die nach neuen
Maßstäben die allgemeine Freude auch an der bescheidensten Ausübung
wecken und dem Wettkampf gerechte Regeln und vergleichbare Leistungen ermöglichen.
Wir sollen die bisher gemachten Versuche nicht vergessen oder abwerten; diese
Versuche sind mutig und von humanen Idealen inspiriert.
Gegen solche Versuche steht die Arroganz einer Mehrheit, die sich dafür nicht interessiert und damit auch die Massenmedien in die fast ständige Ausgrenzung des Behindertensports hineinzieht. Viele behinderte Sportler leiden darunter, daß sie vergessen oder bewußt ignoriert werden. Leider herrscht heute das Urteil, daß etwas nichts gilt, wenn es nicht in den Massenmedien auftreten kann. Dieses Versklavtsein an das Interesse der Medien reicht heute bis in unsere Dörfer, wo Sporttreibende alles nachahmen, was sie vielleicht auch in die Massenmedien bringt oder wenigstens die Illusion aus der Nachahmung gewährt.
Der heutige Sportbetrieb hat nunmehr einen neuen Zustand erreicht, den es bisher
noch nie gegeben hat. Die immer stärkere Präsenz des Sports in den
Massenmedien hat in einem Ausmaß das Interesse der Werbewirtschaft gefunden,
daß für die Menschen kaum noch ein Bereich frei bleibt, wo keine
Werbung stattfindet. Auch trotz des Hinweises, daß die Werbung die Massenmedien
finanziert und jeder Sportler oder Verein dafür bezahlt werden, wie eine
Litfaßsäule mit allerlei Werbung aufzutreten, bleibt dennoch das
Bedenken der Instrumentalisierung des Sports und des Sportlers. Werbung und
Massenmedien, darunter besonders das Fernsehen, sind in einer Weise aneinandergefesselt,
die auch in den Sportbetrieb sehr spürbar einwirkt. Es sind nicht nur die
Beginnzeiten von Sportgroßereignissen, die Reihenfolge der Bewerbe und
ihre Positionierung in den Übertragungen, die heute oftmals die letzte
Entscheidung bestimmen. Die Abhängigkeit vom Massenmedium wird immer mehr
auch in die Regeln und den Betrieb der Sportbewerbe eingreifen; Grund dafür
ist meist auch der steigende Bedarf an Pausen und Unterbrechungen für die
Werbung. Werbung mag sein, immer öfter jedoch wird Werbung in den Übertragungen
für die Zuseher und Zuhörer zu einer unerträglichen Last, die
den Überblick über die Veranstaltung gefährdet.
Sicher sind wir in der werbebedingten Fehlentwicklung noch lange nicht am Ende der Probleme. Irgendwann werden die Verantwortlichen im Sport über mehr als über Fremdfinanzierung durch Massenmedien und Werbung entscheiden müssen. Die formale und regelgerechte Identität der verschiedenen Sportarten muß bewahrt werden, wenn der Sport nicht einfach Teil eines Unterhaltungschaos sein soll.
Die entscheidende Frage aber, die sich für den Glauben des Menschen und
für die humane Kompetenz der Kirche stellt, richtet sich so aus: Im Sport
und im Wettbewerb tritt die Frage auf, wer denn der Mensch ist, der Sport betreibt
und sich den Regeln und Bedingungen des gesamten Sportbetriebs unterwirft. Unser
irdisches Leben, unser geistiges und sittliches Tun, unsere Arbeit und Leistung
sind Erfahrung unser selbst und Ausgangspunkt unseres Selbstverständnisses
und unserer Selbstbeurteilung. In diesem Sinn ist auch der Sport schließlich
Auskunft darüber, wer der Mensch ist. Der Sport kann also mehr an Einsicht
erbringen als den Satz: "Ich bin ich". Wenn der Sport bei weitem nicht
eine absolute Notwendigkeit der menschlichen Person oder der Gesellschaft ist,
hat der Sport dennoch eine Weise kultureller, politischer und wirtschaftlicher
Präsenz, die heute unübersehbar ist, dem Wohl des Einzelmenschen und
der sozialen Gemeinschaft dient und die Welt der Menschen durchaus interessant
und lebenswert gestalten kann. Die Bedeutung des Sports ist heute viel größer
als seine bloße sachliche Notwendigkeit. Vor allem die Menschen im Wohlstand
und im Frieden können die Bedeutung des Sports so überhöhen,
daß der Sport in der Vereinnahmung des Menschen wie ein Religionsersatz
auftritt und die Gefühle der Menschen an sich bindet, ja sogar die Ideale
der Menschen in rein sportliche Werte und Ziele verwandelt. Wer die rituellen
Großfeiern bei Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften und anderen sportlichen
Großereignissen beobachtet, dem wird klar, daß der Sport auch die
religiöse Dimension des Menschen ansprechen will. Immer schon äußern
Denker die Überzeugung, daß der Mensch aus seiner Natur die Sehnsucht
nach Religion und Bindung an etwas Höheres und den Menschen Transzendierendes
hat. So wird die Stimmung in großen Stunden des Sports auch ein Bild dieser
Sehnsucht sein.
Der Sport von heute ist jedoch in seinem Wesen weder Religion noch Ritus; er ist bewegtes Tun des Menschen, das sich messen und mit anderen vergleichen läßt, nicht nach zeitlos gültigen Vorgaben abläuft, sondern immer neu das augenblickliche Tun des Sporttreibenden ist. Ein Spiel von gestern oder eine Leistung von einst bewegt eigentlich nicht mehr. Dem Sport gehört der Augenblick und nur dieser; daher haben in der Bewertung des Sports Erinnerung und Geschichte viel weniger Bedeutung als der immer neue Augenblick, in dem der Sport sich ereignet. Wie eigentlich nur der Augenblick dem Sport gehört, so ist es auch mit den Menschen, die den Sport oft nicht betreiben, den Sport jedoch emotional mitvollziehen: Es ist dies die Schar von Millionen "Fans" aller Altersgruppen, die meist kollektiv und oft irrational Partei ergreifen, aber nicht selten den psychologischen "Heimvorteil" bei Wettkämpfen ausmachen. Zu den Aktiven gehören auch die Scharen der "Fans", die ihre "Leistung" auf einer anderen Ebene erbringen wollen. Die Anhängerschaft nimmt bei steigender Leistung zu und verflüchtigt sich bei Mißerfolg, sie ist launisch und verwandelt rasch ihre Zuneigung zu den Aktiven in Schimpf und Spott.
Es wäre eine unsichere Angelegenheit der menschlichen Persönlichkeitsbildung, wollte der Mensch sich erst durch Sport und Training zur Persönlichkeit formen. Sicher gibt es die humanen Qualitäten des Sportlers wie Ausdauer, Willenskraft, Selbstbeherrschung und Selbstbehauptung, Fairneß und Verläßlichkeit. Es wäre jedoch immer zu wenig, würden solche Qualitäten nur auf den Sport beschränkt oder gar nur am Erfolg orientiert sein. Was der Sportler im Sport beweist, muß immer schon die engen Grenzen des Sports überschreiten und zum ganzen Sein der menschlichen Person gehören, um über den Erfolg und Betrieb hinaus eine humane Weise des Menschen zu sein.
Auch der Sport stellt die Frage nach dem allzeit gültigen Humanen. Auch
die Ziele des Sports müssen sich darin rechtfertigen; sie müssen den
Idealen entsprechen, die für jeden Menschen und zu allen Zeiten gelten.
Es ist der Mensch, der Sport treibt; es ist seine Aufgabe, sich auch im Sport
als Mensch zu verhalten.
Die Bewährung für den Sport liegt in seiner Menschlichkeit, die allerdings auf vielen Ebenen gefährdet werden kann. Menschlich ist der Sport, der nicht über die Grenzen der Gesundheit und des Lebens der Athleten betrieben wird. Unmenschlich ist Doping, das im Wettkampf die wirklichen Grenzen der Leistung überlistet, aber auch den redlichen und ehrenhaften Wettkampf nicht einhält und zur Farce macht. Unmenschlich ist der Wettkampf, der auf Beschädigung des Konkurrenten abzielt. Unredlich ist der Wettkampf, der ohne die menschliche Motivation von Gemeinschaft, Ehre, Treue und Identifikation mit einem geistigen Ziel abläuft und nur mehr den Antrieb von Geld und Reichtum kennt.
Wenn etwas Wichtiges im Sport bevorsteht, hört man oft als Indiz der Wichtigkeit:
Es geht um viel Geld. So ist einst der Sport nicht als eine Weise menschlicher
Kultur entstanden; der Lorbeerkranz antiker Spiele ist heute anderem Lohn gewichen.
Es wird keine Rückkehr zu den alten Idealen geben. Der Sport ist heute
Beruf, Gewerbe und Weg zu sozialem Aufstieg. Man muß auch berücksichtigen,
daß es nur wenige Lebensjahre sind, in denen der Sportler auf dem Zenith
seiner Leistung steht; in dieser Zeit darf jeder Sportler gerechterweise vorsorgen.
Manche Sportarten erreichen jedoch Einkommenshöhen, die sich aus der gebotenen
Leistung nicht mehr rechtfertigen, keine soziale Symmetrie mit anderen Sportarten
und mit der menschlichen Arbeit allgemein einhalten. Solches Geschehen büßt
den Anspruch ein, Vorbild für die Menschen oder Ausdruck von Gerechtigkeit
zu sein. Bei solchen Bedenken sollte Neid keine Rolle spielen; wenn die Gesellschaft
es sich leisten kann, den bezahlten Sport betreiben zu lassen, tut sie nichts
Unrechtes. Wir sollen aber wissen, daß über den Einzelfall hinaus
die Konvertibilität von Sport und Geld die Eigenart des Sports zerstört;
der Sport wird so zur Unterhaltung mit anderen Zielen, Regeln, Maßstäben
und Abhängigkeiten.
Im engen Miteinander von Sport und Geld verschwinden die Ideale und die höheren Regeln der Rücksichtnahme auf das Wohl anderer. Bei solchen Feststellungen maßt sich die Kirche nicht Urteile über den autonomen Bereich des Sport an; denn vieles ist zu regeln, was immer Angelegenheit des Sports ist. Weil es aber um die Menschlichkeit des Sports und um die Verankerung des Sports im Menschen mit all seiner Natur und seinen Gaben geht, die ihn von jedem anderen Lebewesen unterscheiden und abheben, hat die Kirche als Glaubensgemeinschaft die Aufgabe, zugunsten des Menschen die Grenzen und Gefahren solcher Entwicklungen zu bedenken.
Was im Bereich des Menschen dessen Grenzen deutlich macht, ist nicht bloß Anzeige von Begrenztheit; erkannte Grenzen tragen zur Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis des Menschen bei. Erkannte Grenzen zeigen die Absurdität der Maßlosigkeit auf. Auch wenn der Sport sowohl im Bereich der Leistungen als auch in seiner Betreibbarkeit keine Grenzen zu respektieren scheint, ist es das sittliche Gewissen des Menschen, das an Grenzen erinnert, die nicht überschritten werden dürfen; was aber in seiner Maßlosigkeit sich keine Grenzen setzen läßt, zerstört im letzten sich selbst, ob im Sport, ob im Konsum, ob im rücksichtslosen Gewinnstreben, ob in der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Das allgemeine Wissen um die Grenzen des Menschen drückt sich im Gewissensurteil aus: das ist gut, menschenwürdig und menschengerecht - und du darfst es tun; das ist böse, gegen die Ordnung des Schöpfers, gegen die Gerechtigkeit und Liebe, gegen Anstand und Würde - meide das Böse.
Es gibt also durchaus eine Zuständigkeit des christlichen Glaubens und
der Kirche in Bereichen, die Grenzen haben und brauchen, auch der Sport braucht
die Erinnerung an diese Grenzen. Grenze für alles Maßlose ist der
Mensch selbst, der die Gesundheit braucht, der dem Gemeinwohl verpflichtet ist,
der ohne Wahrheit und Liebe nicht leben kann, der in seinem Leben in jeder Selbstverwirklichung
einen Plan Gottes zu erfüllen hat. Maßlosigkeit ohne Grenzen wäre
Chaos, Ehrfurcht vor den Grenzen macht Leistung und Anstrengung menschenwürdig.
Als Christen bejahen wir die Schöpfung; wir bejahen überzeugt
auch den Sport, der sich grenzbewußt gestaltet. So erwarten wir auch die
Beachtung des Vorranges des Religiösen dort, wo das Gewissen des Sporttreibenden
auch andere als sportliche Regeln zu beachten hat. Wir bitten, keine Konfliktfälle
zu schaffen, wenn es um das Sonntagsgebot für Katholiken geht; mit gutem
Willen wird es möglich sein, Sonntagsgottesdienst und Sportbetrieb in Übereinstimmung
zu bringen. Unser Glaube ist Bindung des Menschen an Gott; unser Glaube will
eine konstruktive Erinnerung an das sein, wofür der Mensch wirklich lebt;
Grenzen, die der Glaube aufzeigt, sind keine Mauern, sondern die Erhebung zum
Höheren und Göttlichen. Es kann derselbe Mensch sein, der Sport betreibt
und auch Gottes Willen erfüllt.