Der
Toleranzbegriff
und das Lebensgefühl unserer Zeit
Vortrag
aus dem Jahr 1988
von Weihbischof Prof. Dr. Kurt Krenn, Erzdiözese
Wien (1987-1991)
Das Wort „Toleranz“
trifft ohne Zweifel in das Lebensgefühl unserer Zeit. Wer möchte heute nicht
auch tolerant genannt werden, von seinen Mitmenschen oder von der
Öffentlichkeit? Intolerant genannt zu
werden, ist für viele schrecklicher als der Vorwurf von Rückständigkeit,
Eingebildetheit oder Arroganz. Viel Wertvolles
im Bereich der Mitmenschlichkeit wird vermutet, wenn man sagt, daß ein Lehrer
oder Erzieher tolerant ist, daß ein Mensch inmitten einer fanatisierten Menge
durch Toleranz hervorsticht, daß einem Menschen Toleranz gelingt, wo andere nur
mehr miteinander streiten oder gegeneinander kämpfen. Das Wort Toleranz gilt
als Wert dort, wo man die Freiheit und
die Gleichheit der Menschen in
konkrete Lebenswirklichkeit umsetzen will. Das Wort Toleranz ist aber auch gegen seinen Wortsinn ein einseitiges Wort geworden; denn manch
einer beansprucht heute Toleranz für sich, will aber zugleich den
Andersdenkenden nicht einmal die Spur von Toleranz gewähren. Toleranz ist ein hoffnungsvolles Wort, aber auch ein viel
mißbrauchtes Wort.
Über die Politik mit dem Gebrauch dieses Wortes hinaus steckt jedoch auch im Begriff der
Toleranz eine innere Problematik: Was
soll geschehen, wenn der eine die
Wahrheit kennt, der andere aber
unbeugsam irrt? Hat die Wahrheit mehr
Recht auf Verbreitung und Mitteilung als der Irrtum? Gibt es die die moralische Pflicht, andere von der
Wahrheit zu überzeugen? Bedeutet der Anspruch der Wahrheit gegenüber dem
Irrenden eine ungerechte Unterdrückung von
dessen persönlicher Freiheit? Soll Toleranz in ihrer Praktizierbarkeit
schließlich nichts anderes behaupten als: “Es gibt keine Wahrheit, sondern nur Meinungen, Ansichten oder
Wahrscheinlichkeiten; die Wahrheit ist jeden Tag eine andere; niemand hat die
Wahrheit gepachtet; es gibt keine Wahrheit, sondern nur das Suchen nach Wahrheit; Wahrheit mag es
geben, aber sie ist dem Menschen unzugänglich;
jede Wahrheit ist von der Praxis
widerlegbar ...“? Solche häufig formulierten Ansichten über die
Wahrheit verraten, daß die gemeinte Toleranz sehr bald mehr sein will als die richtige und menschenwürdige Weise des Umgangs miteinander. Vor allem
aus der Sorge, eine eindeutige und letzte Wahrheit könnte den Frieden der
Menschen untereinander gefährden, wird mit dem Wort Toleranz oft auch die
Behauptung transportiert, Toleranz
verneine jede bindende und letzte
Wahrheit.
So läßt sich auch erklären, daß viele meinen, die Theorie der Toleranz sei der Subjektivismus oder der Relativismus oder der Indifferentismus oder Agnostizismus; wer hingegen von einer
Wahrheit überzeugt sei, der könne gar nicht tolerant sein, weil er dem anderen
darin keine Freiheit lasse. Schon
diese wenigen Andeutungen von Gegensatz und Widerspruch zeigen, daß im Problem
der Toleranz das Verhältnis von Wahrheit
und Freiheit zu klären ist.
Die Frage nach der Freiheit rührt bereits an eine Grundfrage
des Menschen. Wie viele Freiheiten mußte sich der Mensch im Verlauf seiner
eigenen Geschichte erkämpfen: Die
Freiheit von der Sklaverei, die Freiheit für seine eigenen und persönlichen
Entscheidungen, die Freiheit für die Schließung einer Ehe und für die Gründung
einer Familie, die Freiheit für Eigentum und Verfügung darüber, die Freiheit
der Meinungsäußerung, die Freiheit für die Wahl des Wohnortes und der
Arbeitsstätte, die Freiheit für die Ausübung der Religion, die Freiheit für
Forschung, Lehre und Kunst usw. Vieles, was dem Menschen wertvoll und heilig
ist, scheint in der Geschichte des humanen
Fortschritts mit der unbedingten
Forderung nach Freiheit verbunden zu sein.
Alle reden von der Freiheit;
alle versuchen, die Zustimmung und Gefolgschaft der Menschen zu gewinnen, indem
sie Freiheit versprechen. Ist die Freiheit vielleicht das Höchste, über das hinaus nichts Höheres mehr gedacht werden kann?
Hat damit auch der Mensch die Freiheit zum Bösen?
Dürfen wir dem Menschen sagen: „Du tust Böses; Du darfst das Böse nicht
tun!“, wenn dieser Mensch behauptet, er verwirkliche damit nur seine
Freiheit? Oder ist alles sittlich erlaubt, wenn der Mensch nur „in
Freiheit“ handelt? Genügt diese Formalität der Freiheit, um jedwedes Tun
des Menschen zu rechtfertigen? Diese Ethik
der Formalität begegnet uns heute mehrfach; denn wir sagen: Hauptsache „demokratisch“
beschlossen, zugleich aber riskieren wir, daß Unrecht und Verbrechen
demokratisch sanktioniert werden, wenn sich eine demokratische Mehrheit dafür
findet. So haben wir dies mit der Fristenregelung
erlebt, die mit dem Schlagwort der „Entkriminalisierung der Abtreibung“
eingeleitet wurde; das nächste Schlagwort könnte die „Entkriminalisierung
der Euthanasie“ sein, mit dem ein neuerlicher demokratischer Konsens für
die Schutzlosigkeit einer anderen Gruppe der Schwachen herbeigeführt werden
soll.
Die Ethik der Formalität ist heute ein weiter Bereich, in dem der Mensch weniger
nach dem, „was“ er tut, sondern nach dem, „wie“ er es
tut, sein Tun beurteilen lassen will. Einige Beispiele dafür: Bei Entscheidungen fragt man manchmal kaum, ob die
Entscheidung sachgerecht und gut war, sondern wie sie zustandegekommen ist: ob alle gefragt wurden, ob es
genügend Gespräche gegeben hat, ob das Verfahren eingehalten wurde. In der
Frage einer ökumenischen Interkommunion
z.B. argumentiert man, daß die eine Seite eingeladen hat, während die andere
dies ablehnt, und fragt, warum nach den Regeln der Höflichkeit hier nicht eine
Einladung mit einer Einladung beantwortet wird; man fragt also wenig nach
objektiven Gründen, sondern beurteilt alles nach dem „wie“ des höflichen Umgangs
miteinander. So löst man heute auch ungern Konflikte
in der Sache, sondern man führt lieber endlose, wenngleich erfolglose
Gespräche. Die ethische Formalität ist oft der einzige Maßstab in der heutigen
Bewertung der Sexualität; nicht mehr,
wer etwas tut oder was jemand tut, wird gefragt, Hauptsache ist nur mehr, mit
welchem „persönlichen Glück“ es geschieht. Und selbst dort, wo man
das Gewissen des Menschen gelten lassen will, bleibt es oft bei der Ethik der Formalität; denn man will dem
Menschen nicht vorlegen und sagen, was er zu tun hat; man sagt ihm nur: Tu es mit Gewissen, handle nach deinem Gewissen.
Fragt der Mensch nun, was er denn mit Gewissen und nach seinem Gewissen tun
soll, schweigt man oft und läßt den Menschen in seiner Ratlosigkeit allein. Oft
geschieht dies, weil man meint, daß alles, was dem Menschen durch ein Gebot oder durch eine Vorschrift gleichsam von außen auferlegt wird, gegen die Autonomie des Gewissens verstößt und
damit die Würde des persönlichen
Gewissens verletzt. Man ist der Meinung, daß die Freiheit des Menschen nur
dann Freiheit ist, wenn sie sich ganz
selbst bestimmt und jede äußere Autorität ausschließt. Man meint also, daß die Freiheit sich ganz selbst machen muß, daß sie total selbstschöpferisch sein
soll und nichts Vorgegebenes anzuerkenen hat. Diesen Grundsatz meldet man vor
allem im Bereich der persönlichen
Werturteile und der privaten
Überzeugungen an; eingeschränkt soll die Freiheit höchstens darin werden, daß
dem anderen kein Schaden zugefügt
werden soll.
Immer mehr setzt sich aber im gängigen Wert- und
Moralbewußtsein die Meinung durch, man könne frei in der Sache und ethisch
zugleich in der Formalität sein. Es ist natürlich etwas Verführerisches,
dem Menschen in allem die Freiheit zu versprechen und ihm gleichzeitig eine
Form anzubieten, die alles noch „ethisch“ erscheinen läßt. Die
Illusion, daß man alles Beliebige „mit Gewissen“ tun kann und
dadurch ethisch gerechtfertigt ist, läßt sich nur aufrecht erhalten, solange
man nicht die schrecklichen Grenzen
dieser Illusion kennt. Schon sind die Schreckenstaten des Weltkriegs und
die Verbrechen am Menschen in den Konzentrationslagern vergessen; wie oft wurden
Menschen getötet, ermordet, verstümmelt und erniedrigt, während man sich die ethische Illusion machte, man handle „aus
Pflicht“. In den vergangenen Wochen wurde unser Land aufgeschreckt durch
Meldungen von der Tötung alter und ungeliebter
Menschen. Hätten die großen Reden von der Freiheit und von der Autonomie
des Gewissens auch nur theoretisch verhindern können, daß alte Menschen durch
Mord beseitigt werden? Vielleicht haben die Täter nicht viel gedacht, als sie
schwache Menschen einfach töteten. Aber in der schrankenlosen Freiheit und im
ungebundenen autonomen Gewissen hätten auch sie noch eine ethische Formalität gefunden, die sie von ihren Untaten freigesprochen hätte. Was kann heute verhindern, daß
Menschen beseitigt werden, weil sie nicht der Selbstverwirklichung, nicht dem
persönlichen Glück, nicht dem Recht auf Freizeit oder nicht dem Recht auf einen
normalen Dienst und auf eine geregelte Arbeitszeit entsprechen? So faszinierend
das Gefühl der Freiheit und der Gewissensautonomie in Zeiten des Wohlstandes und der geordneten Interessen
sein mag, so schrecklich ist in Grenzsituationen des Menschen, wie z.B. Krieg,
unheilbare Krankheit, Verfolgung und Armut, das Bild der unbegrenzten Freiheit
und des autonomen Gewissens. Diese Befürchtung meint nicht, daß Menschen, die eine unbegrenzte Freiheit und Autonomie des
Gewissens lehren, persönlich Übeltäter sind. Dennoch bleibt es unverantwortlich,
ein ethisches System zu lehren, das solche grauenvolle Taten sicher nicht will,
das aber auch nicht einmal theoretisch
in der Lage ist, solche Untaten als objektiv
böse zu beurteilen und dem Menschen zu verbieten. Vieles wird in normalen Zeiten und Situationen durch
eine Ethik der Formalität richtig gesteuert sein; eine Ethik der Formalität
wird aber keine Tat als objektiv
böse, das heißt, als immer unerlaubt
qualifizieren können. Wie oft hört man das Wort: das gibt mir etwas, das
erfüllt mich, das verwirklicht mich - also soll ich es tun, also darf ich es
tun. Solche formalen Prinzipien klingen lange Zeit gut und plausibel; aber was
kann der primitive ethische Formalismus antworten, wenn die Tötung eines Menschen, die Abtreibung eines Kindes, die Untreue in der Ehe, die Brutalität, die ideologisch Borniertheit
oder der Zynismus der Macht dem Menschen „etwas geben“ oder ihm „Selbstverwirklichung und Emanzipation“ verheißen?
Hier bahnt sich eine der wichtigsten Fragen an, deren
Beantwortung auch sehr nachhaltig den Begriff
der Toleranz bestimmt; es ist die Frage: “Gibt es das objektiv Böse im Handeln des Menschen,
das zu tun dem Menschen niemals erlaubt ist, das der Mensch unbedingt meiden
muß?“ Wenn es dieses objektiv Böse gibt, dann hängen Gut und Böse in den
Taten der Menschen nicht einfach von der Situation,
nicht vom sozialen Kontext, nicht vom
subjektiven Geschmack und Empfinden,
nicht von der kulturellen Evolution
und nicht vom Milieu ab. Was man
heute unter „Toleranz“ versteht, wird sich nicht daran stoßen, wenn
man die Frage von Gut und Böse dem subjektiven, relativen und autonomen
Standpunkt des Menschen überläßt. Wo aber
bleibt das Prinzip der Toleranz, wenn wir festhalten: du darfst niemals und
unter keinen Umständen einen unschuldigen Menschen mit Absicht töten; du darfst
die Ehe nicht brechen; du sollst Gott lieben; du sollst die Schöpfung und ihre
Ordnung bewahren; du darfst nicht verleumden usw.? Solche sittlichen Forderungen
werden unbedingt gestellt, ihre Mißachtung
ist niemals erlaubt, auch nicht als Mittel zu einem guten Ziel.
Auch wenn es zuweilen erlaubt ist,
das kleinere sittliche Übel zu dulden,
um ein größeres zu verhindern oder um etwas sittlich Höherwertiges zu fördern,
so ist es dennoch niemals erlaubt -
auch aus noch so ernsten Gründen nicht - Böses
zu tun um eines guten Zweckes willen, das heißt, etwas zu wollen, was seiner Natur nach die sittliche Ordnung verletzt und deshalb als
des Menschen unwürdig gelten muß (vgl. HV 14). Wo also das objektiv Böse
festgestellt wird, dort hat die sogenannte Toleranz ihre harte Grenze, die nicht überschritten werden darf. Denn selbst im Namen
der Toleranz wird man dem Menschen nicht
gestatten, jemand mit Absicht zu töten oder das Töten als erlaubt
hinzustellen. Dies ist sicher die eine Seite jenes Problems, das uns in den
letzten Wochen in der Diskussion um die „Satanischen Verse“ vor
Augen gestellt wurde.
Toleranz ist für viele die Methode der Freiheit für sich und die anderen, Toleranz verspricht
die Wahrung der Würde des Menschen,
Toleranz will jener Raum sein, in dem sich der Mensch entfalten kann, Toleranz
will die Umgangsregel sein, die den Menschen vor Unterdrückung und
Gewalttätigkeit schützt. Die Toleranz stellt aus sich allerdings mehr Fragen als wir meinen, wenn wir uns
einmal nicht in der Mitte des Raumes von Gleichheit, Freiheit und
Brüderlichkeit bewegen: Wenn die harten
Grenzen des menschenwürdigen Zusammenlebens sichtbar werden, stellt sich
sehr schnell das Problem, ob die Toleranz alle
auftretenden Konflikte lösen kann, ob alle
Fragen beantwortet, ob alle Rechte
geschützt, ob alle Freiheiten bewahrt
sind, wenn wir nur einfach Toleranz üben und gewähren lassen, was jeder nach
dem Maß seiner Freiheit ersinnt. Wir werden jedoch bei allen Freiheiten an Grenzen erinnert, so daß wir fragen
müssen: Darf die freie
Meinungsäußerung auch Demagogie und Verhetzung sein? Darf die Freiheit der Lehre die lernenden Menschen zu Skeptikern
und Agnostikern formen, die Interesse und Sensibilität für die Wahrheit
verloren haben? Läßt sich die Freiheit
der Forschung als Freiheit der
Technik, als Freiheit der Ökonomie, als Freiheit der Medizin usw. etablieren,
so daß jedes Resultat legitim ist,
wenn es nur frei erforscht ist? Besonders
im Bereich der Technik, Technologie und Medizin meldet sich heute –
inmitten des Fortschrittsoptimismus – eine neue Bedenklichkeit, die der Freiheit der Forschung eine unerwartete Frage stellt: Kann man das, kann man das erdenken und
machen? war die Grundfrage der freien Forschung; heute hingegen fragt der Mensch: Darf man das?
In der inneren
Logik der Forschung liegt keine Frage nach dem „Dürfen“, denn alles Interesse richtet sich nur nach dem immer
unbegrenzteren „Können“
und „Wissen“. Längst weiß
der Mensch um eine Gefährdung seiner
selbst und seiner Art, die der Mensch durch die Maßlosigkeit seines Könnens und Wissens herbeiführen kann; denken
wir nur an die sattsam bekannten Beispiele
der Umweltzerstörung, der atomaren Unkontrollierbarkeit und der genetischen
Manipulation des Menschenwesens. Kann sich also die Toleranz mit der Freiheit der Forschung grenzenlos verbünden? Oder ist der Mensch ein Wesen, das nicht mit allen denkbaren Freiheiten sagbar, einholbar und schützbar ist? Hat
der Mensch noch eine andere Existenz
und Wahrheit, die nicht in seinen Freiheiten projizierbar ist?
Ähnlich wird heute auch die Frage nach der Freiheit der Kunst gestellt. So sehen
die einen die Freiheit der Kunst bedroht, während andere die beanspruchte
künstlerische Freiheit für eine Bedrohung der gemeinschaftlichen Ordnung und
für eine gefährliche Maßlosigkeit halten. Für die Kirche stellt sich hier oft
eine delikate Frage: Wie die Freiheit zum Menschen gehört, so gehört auch die
Freiheit zur Kunst, denn die Kunst
ist eine der Freiheiten des Menschen
als eines geistbegabten und wahrheitsfähigen
Wesens. Dennoch kann die Kunst ihre Freiheit nie als ein Asylrecht besonderer Art betrachten.
Auch die Kunst muß zur Rechenschaft
gegenüber den fragenden, kritisierenden und interessierten Menschen ständig
bereit sein. Auch die Kunst kann Gefahr laufen, durch Verweigerung der
Kommunikation einfach autoritär zu
sein. Auch die Kunst besitzt nicht jene Unfehlbarkeit, Fehler, Mißstände,
Bewußtseinstrübungen und Fehlentwicklungen des Menschen als Fehler deklarieren
zu können, ohne von diesen Fehlern auch
selbst bedroht zu sein. Auch die Kunst ist keine unfehlbare Methode zur
Rechtfertigung oder Selbsterlösung des Menschen. So kann die Kirche in manchen
Fragen nicht schweigen und die Augen verschließen. Zuweilen sogar muß die
Kirche auch in der Kunst „Katechese
durch Protest“ anwenden, um das Recht des menschlichen Gewissens auf
die Wahrheit des Glaubens und die Würde des Menschen zu schützen.
Auch die Politik
eines freien und zivilisierten Staates wird von der Toleranz geprägt; das Recht
auf freie politische Betätigung, auf
freie Meinungsäußerung und Information, auf den freien Zusammenschluß von
Bürgern in einem gemeinsamen politischen Ziel, auf Einbeziehung des
Bürgerwillens in die Entscheidungen des Staates und vieles andere heutzutage
Selbstverständliche werden mit der Motivation
der Toleranz den Menschen vorgetragen. Dabei kann man sehr deutlich
feststellen, daß nicht alle politischen Optionen auf dasselbe Maß von Toleranz
stoßen; wer heute z.B. die „Bewahrung“
einer Ordnung vertritt, wird weitaus weniger Toleranz beanspruchen dürfen
als jener, der alles in „Frage
stellt“. Schließlich bleibt noch die Frage bestehen: Was hat dann zu
geschehen, wenn für eine Ideologie der
Intoleranz die Toleranz beansprucht wird? Wenn die Toleranz nur die Methode des konfliktfreien Umgangs miteinander
ist, wird sie aus ihren eigenen Ansprüchen heraus mit jenen Ungereimtheiten
konfrontiert werden, daß die Intoleranten
am meisten für sich Toleranz fordern,
um sie anderen nicht zu gewähren; in manchen Auseinandersetzungen geht dies so
weit, daß die Täter für sich nichts
mehr beanspruchen als das Opfer zu
sein. Wenn Toleranz nur die Methode des konfliktfreien Umgangs ohne jede übergeordnete Norm und ohne jedes Wertprinzip sein will, wird
sich die Toleranz nicht vor dem Mißbrauch ihrer selbst schützen können. Soll jedoch
die Toleranz z.B. Schutz für den Menschen, für sein Leben, seine Würde und
seine Rechte oder die Ermöglichung seiner Moralität sein, muß die Toleranz an Normen und Werten festhalten, die sie
im Namen der Toleranz nicht wieder
relativieren kann. Die Toleranz muß also um des Menschen willen z.B. mit sich selbst in den Widerspruch
treten. Das heißt, die Toleranz muß um ihrer Humanität willen eine „Wahrheit“ zur Geltung bringen, die
es nicht mehr erlaubt, alles zu relativieren, alles als gleich-gültig
einzustufen und eine geltende Wahrheit fraglich zu machen.
Man könnte Toleranz so definieren: Duldung von Anschauungen und Handlungsweisen, die sich
von den eigenen unterscheiden. Angesichts der gerade erwähnten Ungereimtheiten
im Selbstverständnis der Toleranz muß jedoch irgendwann die Frage nach jenen Motiven und Einsichten des Menschen
gestellt werden, die eine solche Duldung als politische, soziale, pädagogische und vor allem religiöse Lebensform ermöglichen. Ganz
besonders wird diese Frage den religiösen Menschen betreffen. Wir wollen uns
hier mit der Frage der Toleranz aus der Sicht des christlichen Glaubens und vor allem der Lehre der katholischen Kirche befassen.
Der christliche
Glaube ist der Glaube an einen personalen
Gott, der die Welt und den Menschen geschaffen
und in eine Ordnung gestellt hat. Dieser Gott hat sich jedoch in der Geschichte
des Menschen geoffenbart; jeder Mensch ist aufgerufen, diese
Offenbarung zu hören und anzunehmen, denn der offenbarende Gott ist wahrhaftig
und offenbart dem Menschen nichts als die Wahrheit. Und als die Zeit erfüllt
war, ist der ewige Sohn dieses offenbarenden Gottes ein Mensch geworden und hat durch sein Leben, Leiden, Sterben und
Auferstehen den Menschen von der Sünde
erlöst und zur Würde des Kindes
Gottes erhoben. Dieses Angebot und dieser Anspruch Gottes betrifft jeden Menschen zu allen Zeiten und an allen
Orten. Gott will, daß alle Menschen
gerettet werden und zur Erkenntnis
der Wahrheit gelangen. Dafür gibt es nur den Weg, der über Christus und das Wirken der Kirche Christi führt. Diese Grundzüge
der christlichen Botschaft zeigen deutlich, daß es um einen Gott, um einen
Erlöser, um einen Glauben und um eine seligmachende Kirche geht. Der
christliche Glaube spricht damit eine Wahrheit aus, die nicht neben anderen gleichrangigen Wahrheiten steht. Man wird für
die Wahrheit des christlichen Glaubens das Argument geltend machen können, daß
es Gott selbst ist, der für diese
Wahrheit als der Offenbarer, als der Erlöser und als der Heilige Geist der
Wahrheit einsteht. Man wird vielleicht auch sagen können, daß im christlichen
Glauben schon offenbar ist, was andere
erst ahnen und auf dem Weg des guten Willens suchen. Kann jedoch die christliche
Religion in Verpflichtung und Treue zu sich selbst die „bürgerliche Toleranz“ akzeptieren und in Frieden
leben?
Das Paradigma
der bürgerlichen und aufgeklärten Toleranz hat Gotthold Ephraim Lessing geliefert, der in seinem dramatischen
Gedicht „Nathan der Weise“
dem Verhältnis der jüdischen, islamischen und christlichen Religion zueinander nachgeht. Lessing läßt den weisen
Nathan erzählen, was es mit diesen Religionen auf sich hat: „Vor grauen
Jahren lebt ein Mann im Osten, Der einen Ring von unschätzbarem Wert Aus lieber
Hand besaß. Der Stein war ein Opal, der hundert schöne Farben spielte, Und
hatte die geheime Kraft, vor Gott und Menschen angenehm zu machen, wer In
dieser Zuversicht ihn trug ...“
Dieser Ring sollte vom Vater immer wieder jenem Sohn weitergegeben werden, der ihm am
liebsten war. „So kam nun dieser Ring von Sohn zu Sohn, Auf einen Vater
endlich von drei Söhnen; Die alle drei ihm gleich gehorsam waren, Die alle drei
er folglich gleich zu lieben Sich nicht entbrechen konnte ...“ Jeden
liebte dieser Vater, jedem hatte der Vater diesen Ring versprochen. Es kommt
zum Sterben; keinen der Söhne, die sich alle auf das Versprechen des
Vaters verlassen, will der Vater kränken. Was also tun?
Der Vater sendet den Ring geheim zu einem Künstler,
bestellt bei diesem nach dem Muster seines Ringes zwei weitere Ringe, dem einen Ring vollkommen gleich. Das gelingt dem Künstler.
„... Da er ihm die Ringe bringt, Kann selbst
der Vater seinen Musterring nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft Er seine
Söhne; jeden insbesondre; Gibt jedem insbesondre seinen Segen, - Und seinen
Ring, - und stirbt ...“ (Nathan, Sultan Saladi Daja, eine Christin)
Im Jahrhundert der Aufklärungsphilosophie hat Lessing 1779 das Paradigma der Toleranz
durch seinen „Nathan“ vorgelegt. Die absolut gleichen Ringe, die nicht einmal mehr der Vater
unterscheiden kann, werden für Lessing zum Bild des Verhältnisses der
jüdischen, islamischen und christlichen Religion und zur Grundlage der lebbaren
Toleranz. So glatt und human auch die gleiche
Gültigkeit dieser Religionen beschrieben wird, so sehr ist das Gleichnis
von den gleichen Ringen eine Theorie jenes Agnostizismus,
der die Wahrheitsfrage nicht entscheiden will
und –allem Anschein nach – auch nicht entscheiden kann. Das Wissen um die Wahrheit behält
sich jener vor, der das Gleichnis erzählt. Das innere Urteil über die Religionen ist wohl ein positives, dennoch aber ein völlig
relatives und gleich-gültiges.
In der frühen Geschichte waren es einmal die Christen, die inmitten einer heidnischen
Staatsmacht, die Freiheit der Religionsausübung als eine Form der Gewissensfreiheit
(vgl. Tertullian) forderten. Kritiker des christlichen Glaubens sehen den Einbruch der religiösen Intoleranz zu
jenem Zeitpunkt, in dem die christliche Lehre zur Staatsreligion erhoben wurde. Sie beurteilen das Zusammenwachsen
von geldlicher und weltlicher Macht
im Mittelalter als Ursache dafür, daß Abweichungen von der Lehre als Bedrohung
gesellschaftlicher Ordnung erschienen und zur Inquisition und zur Verfolgung
Andersgläubiger führten (vgl. Waldenser). Im 16.Jahrhundert trifft dieser
Vorwurf auch die Reformatoren: Calvin z.B. wird die Verbrennung des
Ketzers Servet vorgeworfen; Luther
wiederum hieß die Anwendung der obrigkeitlichen Gewalt gegen die radikale Sekte
der Wiedertäufer z.B. gut. Als Vertreter einer Toleranz gelten z.B. Erasmus und vor allem Castello; sie plädierten vor allem auf
eine Einigung durch von allen anerkannte Grundlagen, wie z.B. die Morallehre
der Bibel. Wo keiner der Gegner den absoluten Sieg davontragen konnte, einigte
man sich zuweilen auf einen Modus vivendi:
Augsburger Religionsfrieden 1555, Edikt von Nantes 1598. Überall in Europa, in Frankreich, Holland, England und Deutschland
vor allem, wurde mit wechselndem Erfolg und mit nicht immer gleichen Maßstäben
(z.B. Ausschluß der Katholiken und Atheisten aus den Regelungen) um Toleranz
und Frieden zwischen den Religionsgemeinschaften gerungen. Das Toleranzdenken
der Aufklärungsphilosophie wird vor allem durch Pierre Bayle vorbereitet, der in religiösen Dingen für die
uneingeschränkte Gewissensfreiheit plädiert.
Die Philosophen Leibniz
und Wolff förderten den
Toleranzgedanken, ehe Lessing mit besagter Ringparabel Christen, Juden und
Muslime aufrief, gleichberechtigt nebeneinanderzutreten und ihren Wert im
Wetteifer miteinander zum Heil der Menschheit zu erweisen.
Vor allem in Frankreich
spielte im 18.Jahrhundert die Aufklärung immer wieder dieses Thema mit
den verschiedensten Konsequenzen durch: Die Glaubenssätze
der christlichen Religion sind unvereinbar
mit Vernunft und Erfahrung, sie müssen daher verneint werden; anzustreben ist eine
von Vorurteilen befreite und durch die Philosophie regierte Menschheit. Mit
solchen Argumenten versuchten Philosophen wie Voltaire, Rousseau, Diderot die Herrschaftsansprüche des
christlichen Glaubens zu verneinen, um gleichzeitig für umfassende Toleranz und
Gewissensfreiheit zu plädieren. Niederschlag fand die Toleranzidee sowohl im protestantischen Preußen unter Friedrich
II. wie auch im katholischen Österreich
unter Joseph II. Als ein Höhepunkt der Toleranzbestrebungen wird die Erklärung der Menschenrechte vom 26. August
1789 in der Französischen Revolution
angesehen. (Auch wenn es in der geistesgeschichtlichen Entwicklung des
Toleranzgedankens Anstrengungen und Fortschritte gegeben hat, tritt dennoch immer wieder neu, trotz aller
Deklarationen der Menschenrechte, das Problem der Toleranz und der religiösen
Toleranz dort auf, wo geschlossene
Menschengemeinschaften durch die Entwicklung der Kommunikation oder durch gewaltsame
Ereignisse vermischt werden, wo sich ein nationales Selbstverständnis mit einem
religiösen Selbstverständnis verbindet, wo Interessengruppen auch gleich zeitiggeschlossene
religiöse Gemeinschaften sind, wo ein politisches, kulturelles oder
erzieherisches Programm von besonderen religiösen oder antireligiösen Prinzipien
geprägt ist usw. Da die Religion eine
wesentliche Angelegenheit des Menschen ist,
wird es nie gelingen, bürgerliche Toleranz einfach dadurch zu erreichen, daß
man Religion zur absoluten Privatsache
des einzelnen Menschen erklärt und die religiösen Lebensäußerungen des
Menschen in den rein privaten
Geltungsbereich zurückgedrängt werden. Keine Religion wird es akzeptieren
können, daß gewisse Ideen der Toleranz die „Toleranz“ wie eine Art „Überreligion“ oder „Vernunftreligion“ der konkreten
Religion überordnen. Die Frage der Toleranz bleibt eine ständige Frage der „conditio humana“, die nie endgültig
und allgemeingültig zu beantworten ist, wohl aber jeden Tag gemäß dem
Wohlwollen und der sozialen Phantasie der betroffenen Menschen gelebt werden
kann.
Vergessen darf auch nicht werden, daß die Geschichte
der Toleranz nicht eine ständige bloße Konfliktgeschichte ist.
Zu allen Zeiten gab es/das friedliche, wohlwollende, respektvolle und
konstruktive Zusammenleben in verschiedenen religiösen Überzeugungen. Wenn geschichtliche Fehler und Vergehen gegen
die Würde des Menschen erkannt und bereut werden müssen, soll auch die häufige Selbstverständlichkeit des Wohlwollens füreinander und des Friedens miteinander in Geschichte und
Gegenwart nicht vergessen sein.
Das II. Vatikanische Konzil hat sich vielfach bemüht,
die Konfliktgeschichte der Kirche in
ihrer Vergangenheit zu erkennen und eine Zukunft in Frieden und Brüderlichkeit
aller Menschen zu sichern. Immer war es ein Handlungsgrundsatz der Kirche, den „Irrtum“ zu bekämpfen, aber den „Irrenden“ zu lieben und für die
Wahrheit zu gewinnen. Auch das irrende
Gewissen des Menschen verliert für die Kirche nie seine Würde, wenngleich
die Kirche es als ein Recht des menschlichen Gewissens erachtet, daß dieses zur
Wahrheit geführt wird. Besondere und weltweite Aufmerksamkeit hat die
Erklärung des II. Vatikanischen Konzils zur Religionsfreiheit
(„Dignitatis humanae“) gefunden. Bevor das Entscheidende dieses
Konzilsdokumentes vorgetragen werden soll, gilt es etwas zu klären, was von der
einen Seite mißverstanden und von der anderen Seite (z.B. Erzbischof Lefebvre)
getadelt wurde: Häufig hört man nämlich, die Kirche sei mit dieser Konzilserklärung
von ihrem unbedingten Wahrheitsanspruch in der Lehre abgerückt und betrachte sich auch nicht mehr als der alleinige Weg des Menschen zum Heil. Als
das Konzil sich zur Religionsfreiheit äußerte, hatte es sehr wohl solche
Mißverständnisse und Einwendungen im Blick. Daher sagt das Konzil gleich zu Beginn:
“Fürs erste bekennt die Heilige Synode: Gott selbst hat dem Menschengeschlecht Kenntnis gegeben von dem
Weg, auf dem die Menschen, ihm dienend, in Christus
erlöst und selig werden können. Diese einzige
wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen, apostolischen Kirche, die
von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu
verbreiten ... Alle Menschen sind ihrerseits verpflichtet, die Wahrheit, besonders in dem, was Gott und seine
Kirche angeht, zu suchen und die
erkannte Wahrheit aufzunehmen und zu bewahren ...“(Nr. 1).
Ausdrücklich legt sodann das Konzil fest, daß das,
was das Konzil zur religiösen Freiheit eines jeden Menschen festlegt, „sich
auf die Freiheit von Zwang in der staatlichen
Gesellschaft bezieht“; ausdrücklich hält auch das Konzil fest, daß
mit dieser Erklärung die überlieferte katholische Lehre von der moralischen
Pflicht der Menschen und der Gesellschaft gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche Christi „unangetastet“ bleibt (vgl. Nr.1)
Das Konzil sucht also nicht den Weg der Toleranz durch das Aufgeben ihres
einzigartigen Wahrheitsanspruchs. Man könnte sagen, daß das Konzil die Wahrheit
der katholischen Lehre geradezu als eine besondere
Begründung für die religiöse Freiheit des Menschen erachtet. Nicht im
Aufgeben der Wahrheit, sondern in der Verpflichtung
gegenüber der Wahrheit des Glaubens will das Konzil den Weg der
Religionsfreiheit darlegen, die in der gesellschaftlichen Ordnung zu sichern
ist und in den unverletzlichen Rechten der menschlichen Person gründet.
So lehrt das Konzil: Die menschliche Person hat ein Recht auf religiöse Freiheit. Die
Menschen müssen frei sein von jedem
Zwang, frei von jeglicher menschlichen Gewalt, so daß „in religiösen Dingen niemand gezwungen
wird, gegen sein Gewissen zu handeln,
noch daran gehindert wird, privat und
öffentlich, als einzelner oder in Verbindung
mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem
Gewissen zu handeln“ (Nr.2). Das
Recht der menschlichen Person auf religiöse Freiheit muß in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft so
anerkannt werden, daß es zum bürgerlichen
Recht wird. Ohne die fundamentale Pflicht des Menschen, die religiöse
Wahrheit zu suchen und an der erkannten Wahrheit festzuhalten, aus dem Auge zu
verlieren, versucht das Konzil alle
Notwendigkeiten darzulegen, die der Mensch für seine äußere und innere Freiheit in der Ausübung der Religion braucht. Grenze
der religiösen Betätigung des einzelnen Menschen und der religiösen
Gemeinschaften in der Gesellschaft ist die gerechte
öffentliche Ordnung, die zu bewahren ist (vgl. Nr.2). Keineswegs also will
das Konzil einer Gleichgültigkeit
gegenüber der Wahrheit, einem Agnostizismus
oder einer moralischen Willkür des
Menschen Vorschub leisten; die Erklärung will jedoch den gesellschaftlichen Lebensraum für die Ausübung der Freiheit und des
Gewissens vor allem als ein bürgerliches Recht sichern.
Wenn das Wort „Toleranz“ in der Erklärung zur Religionsfreiheit überhaupt
Verwendung finden soll, so gilt Toleranz nicht
deswegen, weil die Kirche auf ihre Wahrheit und auf ihre Sendung verzichtet,
sondern weil die Wahrheit des Glaubens die
Freiheit und Würde des Menschen fordert und ermöglicht. Übersehen darf auch
nicht werden, daß mit dieser Erklärung gleichzeitig auch die religiöse Freiheit
für die Kirche inmitten einer Welt
der Unterdrückung und Gewalt gefordert wird. Das Konzil bezeichnet die Kirche
einmal als Zeichen zugleich und Schutz
der Transzendenz der menschlichen Person (vgl. GS, Nr.76). Wo die „Gleichheit“ nur funktionierende Gleichheit ohne
Wahrheitsbegründung sein will, zerstört
die „Gleichheit in Toleranz“ sich in den eigenen Widersprüchen und in der Blindheit für ihre Grenzen. Die Kirche hingegen bietet für die Gleichheit
in Freiheit und Gewissen eine ungleiche
und ganz andere Wahrheit als Grund und Norm an: es ist dies die Wahrheit über den Menschen als Bild und Gleichnis des Schöpfers, als Kind Gottes durch die Erlösung, als Person mit Freiheit und unverletzbarer Würde.
Im Bereich der Gesellschaft braucht es „Rechte“,
die den Menschen schützen; die Person
jedoch ist in ihrer tiefsten Wahrheit jemand, der geliebt wird und liebt. Dieser Weg der Liebe, den die Kirche zu gehen hat, schuldet dem Menschen jene Wahrheit, die aus Gott ist und durch
Christus und die Kirche offenbar wurde. Über das gerechte bürgerliche Verhalten hinaus schuldet die Kirche dem
Menschen das „Beste“, das
sie geben kann: die Wahrheit des Glaubens und die Vermittlung des Heils in
Christus. Von der Person her bauen
sich Recht und Gleichheit in der Gesellschaft auf; weil die Person jedoch eine Wirklichkeit der Liebe Gottes ist, darf die Kirche nichts
zurückhalten und verbergen von dem, was ihr Eigentliches und Bestes ist. Die
Kirche muß mit allem Freimut vom Erlöser
sprechen und mit aller Sorge das freie Gewissen des Menschen an der göttlichen Lehre bilden. Die Grenzen der Gleichheit sind in der konkreten Praxis oft schnell erreicht;
es folgen dann Unrecht und Unfreiheit. Wohl den Menschen, die dann eine Kirche
finden, die sich nicht aufgegeben und
gleichgeschaltet hat, weil sie einer göttlichen
Wahrheit treu blieb. Denn die Wahrheit
soll uns frei machen.
Texte
von Altbischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net
mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: Jutta
Kern und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde
erstellt am 20.10.2005.