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Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn von St. Pölten

Predigt beim Ökumenischen Gottesdienst
in der Niederösterreichischen Landhauskapelle
in St. Pölten am 21. Mai 1997

Der 21. Mai 1997 gehört zusammen mit dem 15. November 1996 zu jenen historischen Tagen, derer noch gedacht wird, wenn niemand mehr von uns lebt, wenn jeder von uns in Gottes Hände sein Leben zurückgegeben haben wird, wenn die Geschichte ganz andere Gestalten gefunden haben wird. Der heutige Tag ist der Tag unseres Bundeslandes Niederösterreich und unserer Landeshauptstadt St. Pölten: Denn der Niederösterreichische Landtag beginnt heute seine politische Arbeit in der Hauptstadt. Superintendent Mag. Santer und der Bischof von St. Pölten wurden vom Präsidenten des Niederösterreichischen Landtags, Mag. Romeder, gebeten, mit Gebet und christlicher Verkündigung für das historische Ereignis den Segen Gottes und die Gebetswünsche des Volkes von Niederösterreich zum Ausdruck zu bringen. So laden wir ein zum Gebet und zum dankbaren Nachsinnen über Gottes Wege, die auch in der politischen Geschichte bedeutungsvoll und für die Menschen wohltätig sein können. Was heute in demokratischer Legitimation als Gesetzgebung und Vertretung der Interessen der Bürger als Landtag vor uns steht, braucht unsere überzeugte Zustimmung, die bewertende Beurteilung durch den Wähler, die Autorität der Wahrheit und der allgemeinen Solidarität, der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls, die Autorität des Friedens und der Übereinstimmung mit Gottes ins Herz des Menschen gelegter Ordnung.

Wir stellen heute den Niederösterreichischen Landtag in die Mitte unseres bekennenden Betens. Den Frauen und Männern, die als Abgeordnete in besonderer Weise das Wohl des niederösterreichischen Volkes sich zur Aufgabe und zum Ziel gestellt haben, wünschen wir alle Gaben des Geistes und des Herzens, damit sie das Notwendige deutlich erkennen, dem Besseren den Vorrang vor dem Guten geben, Hilfe und Vorbild für jene seien, die sie als Wähler entsandt haben; damit sie immer mehr darüber zufrieden werden, Gutes getan zu haben und Gutes tun zu dürfen.

Korrektes politisches Handeln orientiert sich an den Gesetzen, am Wohl der Bürger, an der Gerechtigkeit für alle und an der Stimmigkeit aller politischen Kräfte in einem Ganzen, das die Verfassung festlegt. Dennoch bleibt als letzte Antwort für das Entscheiden und Tun der Abgeordneten die Einsicht, daß der Mensch ohne Liebe nicht leben kann. Im letzten bindet die Liebe zu Gott und zum Nächsten das Gewissen und ermutigt uns im Kampf gegen das Böse als Unrecht, Parteilichkeit, Unterdrückung und Benachteiligung und zum Streben nach dem Guten, das, weil es gut ist, getan werden soll.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Präsidenten, sehr geehrte Klubobmänner! Gemäß der von Ihnen gebilligten Feierordnung sollen alle politischen Optionen dieses Landtags auch im Gebet zu Wort kommen; wir freuen uns über dieses Zeichen der Gemeinsamkeit vor Gott, das immer noch unterscheidet, aber im Ganzen nicht trennt.

Unselige Zeiten der Feindschaft zwischen den Parteien mögen nie wiederkehren. Der Glaube der Christen möge die Menschen einen und zum Guten erleuchten.

Die katholische Kirche hat sich in der Lehre des II. Vatikanischen Konzils dahin festgelegt, daß es autonome Bereiche der irdischen Wirklichkeiten in Wissenschaften, Kultur, Politik, Wirtschaft usw. gibt. Manche irdische Wirklichkeit hat ihre eigenen Ordnungen, Gesetze, Methoden und Lösungen; es ist zunächst Pflicht der Kirche, diese Autonomien zu respektieren. So ist es für die Kirche durchaus denkbar, daß Christen in der Politik bei gleicher Gewissenhaftigkeit in der gleichen Frage dennoch rechtmäßig zu einem anderen Urteil und zu anderen Lösungen kommen. Innerhalb dieser autonomen Bereiche sollte niemand die parteiliche Unterstützung der Kirche anfordern (vgl. GS 43). Gegensätzliche Urteile bedürfen jedoch des ehrenhaften Dialogs; als Maß für alle Auseinandersetzungen gilt die göttliche Wahrheit über den Menschen und die Ordnung des Schöpfers, dem alles sein Dasein und sein Ziel verdankt.

Wir haben den Politikern im Niederösterreichischen Landtag keine Ratschläge zu geben; ihre Kompetenz liegt im Wählerauftrag, im recht gebildeten Gewissen und in jenen Charismen, derentwegen sie von den Bürgern gewählt wurden. Wir stellen aber auch freimütig und dankbar fest, daß der Niederösterreichische Landtag und die Niederösterreichische Landesregierung viele gute Entscheidungen und Maßnahmen setzen, die im Sinne Christi zum Wohl der Menschen sind. Für die katholische Kirche kann ich feststellen, daß das Einvernehmen mit der Landesregierung, mit dem Landtag und mit der Landesverwaltung ein überaus gutes und langerprobtes ist; Gott gebe auch in der Zukunft Zeiten des Friedens und des guten Einvernehmens in unserem Land Niederösterreich.

Mit dem Landtag und seinen politischen Kräfteverhältnissen ist die Landesregierung eng verbunden. Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll, seinen Stellvertretern und allen Mitgliedern der Niederösterreichischen Landesregierung gelten unsere besten Segenswünsche. Wir haben Vertrauen, daß für unser Bundesland gelingen wird, was nunmehr in St. Pölten an einem historischen Anfang steht. Selten gibt es in einem Land gemäß dem Willen der Bürger eine so tiefgreifende Veränderung, die eine so beeindruckende Perspektive der Hoffnung birgt.

Gott lohne allen jene Leistungen, über die wir uns heute freuen; Gottes Lohn dem Landeshauptmann, der Landesregierung, dem Landtag, der Landesverwaltung, den Bauleuten. Mit großem Dank gedenken wir heute jenes Politikers, dessen mutiger und weitblickender Initiative sich dieses Werk verdankt: Siegfried Ludwig. Er hat die neue Geschichte Niederösterreichs zusammen mit vielen begonnen, und in guten Händen ruht heute die Sache Niederösterreichs.

1000 Jahre Österreich haben wir gefeiert, damit auch 1000 Jahre Niederösterreich. Unserer Geschichte, unseren Familien und Kindern, den arbeitenden Menschen, den Lebensräumen unseres Landes, den Sorgen und Freuden der Bürger, den Lehrenden und Lernenden, den Hoffenden und Bangenden, den Gestaltenden und Beschenkten widmen wir diese Stunde des Gebets. Unser Gebet tragen wir nicht nur Gott vor, zu dessen Ehre alles geschehen möge. Wenn wir heute für unser Land und seine Politiker beten, mögen unsere Gebete die politischen Ziele inspirieren und sie gottgefällig machen.

Herr Präsident, verehrter Landtag! "Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut" (Ps 127,1). Gottes Güte und Weisheit ist überall am Werk, wo Menschen in Gerechtigkeit, Frieden und Gottesfurcht ihre Häuser bauen.


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Texte von Bischof Krenn werden im Internet auf hippolytus.net mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Kurt Krenn publiziert. Verantwortlich: DI Michael Dinhobl und Dr. Josef Spindelböck. Die HTML-Fassung dieses Dokuments wurde erstellt am 23.10.1997.

 

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